Kunst - © Bild: Anita Kaiser-Petzenka

Der Umgang mit Scham: Mit Kunst das Trauma überwinden

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Die Künstlerinnen Karin Birner und Anita Kaiser-Petzenka galten lange als „Fall für die Psychiatrie“. Durch das Malen fanden sie einen Weg, mit ihrer Andersartigkeit und der damit verbundenen Scham umzugehen. Vor Kurzem waren ihre Werke in Wien zu sehen.

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Die Künstlerinnen Karin Birner und Anita Kaiser-Petzenka galten lange als „Fall für die Psychiatrie“. Durch das Malen fanden sie einen Weg, mit ihrer Andersartigkeit und der damit verbundenen Scham umzugehen. Vor Kurzem waren ihre Werke in Wien zu sehen.

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In den ersten fünf Minuten zeigt sich alles, so sagt man, das ein Film den Zusehern vermitteln soll. Ein guter Regisseur weiß also sein Thema in Worten, Bildern und Geräuschen schon ganz zu Beginn ins Herz des Betrachters zu pflanzen. Ähnlich intensiv fühlen sich die ersten Minuten meiner letzten Begegnungen mit Karin und Anita an. Karin Birner ist 56 Jahre alt und sehr psychiatrieerfahren. Die Tage verbringt sie hauptsächlich in ihrer 50m₂ Wohnung nahe des Nürnberger Bahnhofsviertels. In den Nächten „läuft sie sich tot“, wie sie – nicht aggressiv wie früher, sondern resignativ – in den ersten fünf Minuten meines Besuchs herauspresst. Woher kennen wir uns – ich, die Journalistin aus Wien, sie, die Nürnberger Zeitungsausträgerin?

Fiese Bilder

Unser Kontakt ist „alt“: Kennengelernt haben wir uns vor über 15 Jahren, wie könnte es anders sein, über das Internet. Ich recherchierte damals für meine Dissertation zur Schnittstelle von Kunst und Psychiatrie. Künstlerinnen mit Psychiatrieerfahrung wollte ich finden, keinen Wölfli oder eine Aloïse – nein, reale Personen für reale Studien, um darüber sprechen, ob und wie Kunst zu seelischer Gesundheit beitragen kann. Das Heilsversprechen des kreativen Ausdrucks im 21. Jahrhundert prüfen. Karin Birners großformatige Acrylbilder in kräftigen Primärfarben sprangen mich förmlich an, damals auf meinem ersten Laptop. Mailadresse – Fehlanzeige. Wir lernten uns also per Brief kennen. „Liebe Frau Birner“, schrieb ich. „Ich habe Ihre Kunstwerke im Internet gesehen.

Gerne würde ich mehr über Sie und Ihre Kunst erfahren.“ 2005 saß ich dann zum ers ten Mal im Zug ins unbekannte Franken und landete genau in der Wohnung in der Flaschenhofstraße, in der ich auch heute wieder stehe. Alles ist anders als damals. Zwischen Leinwandstößen bahnt sich ein enger Weg durch den aufgrund der Bildermassen immer schmäler werdenden Gang in Richtung Küche. Auch hier sieht es nicht anders aus: Bilderstapel liegen auf dem Esstisch aufgetürmt, vermischt mit Postsendungen, Büchern und Zeitschriften. Früher füllten nur Karins Bilder die Wohnung – heute sind die Materialberge anderer Natur. Ein Sessel ist noch frei für mich.

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