Harald Vilimsky, Herbert Kickl und Mario Kunasek. - © Foto: APA / Erwin Scheriau

Warum die "Nazi-Keule" gegenüber der FPÖ berechtigt ist

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Nein, man kann die „Nazi-Keule“ gegenüber der FPÖ nicht einpacken. Denn diese Partei spielt auf dieser Klaviatur. Eine Beschwörung am Vorabend der Nationalratswahl.

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Nein, man kann die „Nazi-Keule“ gegenüber der FPÖ nicht einpacken. Denn diese Partei spielt auf dieser Klaviatur. Eine Beschwörung am Vorabend der Nationalratswahl.

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Man solle, so ein gängiges Argument, gegenüber Herbert Kickl und der FPÖ die „Nazi-Keule“ am besten eingepackt lassen. Denn jeder Verweis auf Parallelen zu den dunkelsten Kapiteln der heimischen Geschichte nütze den radikalen Rechten, die auf einen Wahlsieg hoffen. Die Stichhaltigkeit dieses Arguments nachzuweisen, ist schwer. Zudem bieten Worte und Agieren der Freiheitlichen einfach zu viele Beispiele, als dass man sich die Verweise auf die geschichtlichen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus verbeißen könnte.

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In der letztwöchigen FURCHE warnte Aurelius Freytag an dieser Stelle die ÖVP vor den Gefahren, die durch ein Zusammengehen der ÖVP mit der radikalisierten FPÖ dräuen. Ein luzider und punktgenau treffender Kommentar. Vorangestellt wird ihm freilich folgender Satz: „Die FPÖ des Jahres 2024 ist nicht die NSDAP von 1933.“ Das stimmt zwar in abstrakt-historischer Betrachtung, denn 2024 ist ganz einfach nicht 1933. Aber mittlerweile bedienen sich Kickl und Co zur Untermauerung ihrer politischen Botschaften derart ungeniert aus den Setzkästen der Nationalsozialisten, dass es keine Frage mehr ist, auf welcher Ideologie diese Partei fußt, auch wenn ihre Vertreter im Zweifelsfall Kreide gefressen haben.

FPÖ hat Grundkonsens verlassen

Der zu Ende gehende Wahlkampf hat weitere Masken fallengelassen: Wenn sich der Parteivorsitzende als „Volkskanzler“ plakatieren lässt, so ist dies weit mehr als eine Provokation gegen „politische Korrektheit“. Wer mit der einstigen Bezeichnung für Adolf Hitler zu reüssieren sucht, zeigt, mit welchem Geist er diese Gesellschaft vergiftet. Die Saat solcher Sprache – „Lügenpresse“, „Systemparteien“, „Volksgemeinschaft“ etc. – treibt mittlerweile hässliche Blüten. Man muss auch daran erinnern, dass Herbert Kickl schon einmal gefordert hat, Flüchtlinge in Lagern „zu konzen­trieren“, womit er längst bewiesen hat, dass er durch diese Anspielung nicht einmal vor den größten Menschheitsverbrechen haltmacht. Es gehört zur Rhetorik des Rechtsextremismus, die Erinnerung an die Konzentrationslager lächerlich zu machen und herunter­zuspielen.

Herbert Kickl kann relevante Institutionen unter seine Kuratel bringen – den ORF quasi mit einem Federstrich.

Klar ist, dass die FPÖ den mühsam errungenen gesellschaftlichen Grundkonsens verlassen hat: Die Zweite Republik wurde auf den Trümmern des Nationalsozialismus, aber auch der Ersten Republik gebaut, die bekanntlich im Ständestaat geendet hatte. Der Wiederaufbau war eine gemeinsame Anstrengung der politisch relevanten Kräfte; aber es dauerte bis in die 1990er Jahre, dass auch die Einsicht in die Mitverantwortung für die Ereignisse zwischen 1938 und 1945 Teil des Grundkonsenses wurde.

Dazu gehört(e) das Bekenntnis zu einem „Nie wieder!“, das natürlich auch das Ächten von NS-Sprache und NS-Gedankengut beinhaltete. Natürlich gibt es diesbezüglich den Versuch, dies legistisch durchzusetzen (Verbotsgesetz …). Dass nun eine Partei reüssiert, die sich gerade nicht an derartige Ächtung hält und im Gegenteil die längst vergangen geglaubten Geister wieder ruft, ist eine der bedrückenden Dia­gno­sen des aktuellen Zustandes der Gesellschaft.

Es bleibt in dieser Lage nichts anderes übrig, als diesen Grundkonsens zu beschwören und vor den Verächtern desselben zu warnen. Dazu gehört auch, sich einmal mehr mit den Mechanismen des Aufstiegs der NSDAP 1933 auseinanderzusetzen. Dass dieser Aufstieg ohne tätige wie unfreiwillige Mithilfe der Konservativen nicht möglich gewesen wäre, hat sich leider nicht in alle bürgerlichen Kreise – die heute wieder eine Zusammenarbeit mit dieser FPÖ für möglich halten – herumgesprochen.

Es läuft einem schon kalt über den Rücken, wenn man beim Presse-Leitartikler Klaus Knittelfelder liest: „Die FPÖ soll ruhig scheitern dürfen“, man solle ihr „die Chance geben, bei einer Regierungsbildung krachend zu scheitern. Alles andere würde nur zur weiteren Radikalisierung einer Großpartei führen.“ Ein Blick in die Geschichtsbücher über den Jahreswechsel 1932/33 hätte genügt, um zu sehen: Auch damals hatte eine gängige bürgerliche Einschätzung zu Adolf Hitler und Co gelautet, man müsse die Nazis nur in die Mühen der Regierungsarbeit zwingen, dann würden sie binnen weniger Wochen weg vom Fenster sein.

Den ORF zurechtbiegen

In den letzten Tagen wurde in den Medien auch die Frage erörtert, ob Herbert Kickl bei einem Wahlsieg tatsächlich die Demokratie gefährden könnte. Er kann, wenn es ihm gelingt, relevante Institutionen unter seine Kuratel zu bringen. Ein Szenario wäre etwa der ORF, der das weitaus größte Medienunternehmen im Land darstellt. Kickl muss es nur gelingen – analog zur Dominanz bestimmter Landeshauptleute auf die Regionalberichterstattung –, die Österreichebene zu beeinflussen. Dann ist im ORF das Wort „Klimakrise“ nicht mehr zu hören oder wird nicht mehr über Impfprogramme berichtet werden. Dafür werden Beiträge über die Tagesaktivitäten von FPÖ-Ministern zu sehen sein. Herbert Kickl müsste also den ORF gar nicht abschaffen, sondern ihn „nur“ für seine Zwecke zurechtbiegen. Das geht legistisch quasi mit einem Federstrich.

Man kann sich weitere Szenarien ausmalen, die einer freien, liberalen, demokratischen ­Gesellschaft den Garaus machen. Es geht an diesem 29. September also wahrlich um viel.

Der Autor war bis April 2024 stv. Chefredakteur der FURCHE.

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