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Braucht die Gesellschaft Wirtschaftswachstum?

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Wirtschaftswachstum - ja oder nein? Wenn ja, wie bisher oder anders? Das Thema entzweit heute weniger die Parteien ”untereinander als in sich. Sepp Wille, seit 1965 Zentralsekretär der Gewerkschaft Metall, Bergbau, Energie, hat dazu in den „Roten Markierungen '80” die Linie der Wachstumsskeptiker vertreten. Die FURCHE hat den Wirtschaftswissenschafter Felix Butschek vom Institut für Wirtschaftsforschung, einen Parteifreund Willes, um die Formulierung einer Alternativposition ersucht.

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Wirtschaftswachstum - ja oder nein? Wenn ja, wie bisher oder anders? Das Thema entzweit heute weniger die Parteien ”untereinander als in sich. Sepp Wille, seit 1965 Zentralsekretär der Gewerkschaft Metall, Bergbau, Energie, hat dazu in den „Roten Markierungen '80” die Linie der Wachstumsskeptiker vertreten. Die FURCHE hat den Wirtschaftswissenschafter Felix Butschek vom Institut für Wirtschaftsforschung, einen Parteifreund Willes, um die Formulierung einer Alternativposition ersucht.

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Plädoyer für eine stabile Wirtschaft

Die weitverbreitete Behauptung, daß gesellschaftliche Stabilität von wirtschaftlichem Wachstum abhängig sei, ist niemals überzeugend bewiesen worden, noch ist die Behauptung plausibel.

Wirtschaftliche Stabilität hätte etwa das sogenannte Nullwachstum zur Folge. Was bedeutet das?

Österreich wird also 1980, als eines der reichen Länder dieser Erde, ein Bruttosozialprodukt von rund eintausend Milliarden Schilling erwirtschaften. Ein Nullwachstum hätte zur Folge, daß wir auch in den kommenden Jahren immer eintausend Milliarden Schilling zur Verfügung hätten. Klar ist, daß Österreich damit von Jahr zu Jahr reicher würde, weil wir ja zum vorhandenen Vermögen jährlich ein neues legen könnten. Diese Tatsache wird jedenfalls eine „fortgeschrittene” Gesellschaft kaum in den Zusammenbruch führen.

Solche Ideen erweisen sich immer mehr als Fehlspekulationen der Wissenschaft, denn die Menschen fordern doch nicht Wachstum und immer wieder Wachstum. Das Gegenteil ist wahr. Die Menschen sind im allgemeinen mit hohem, sozialem Verantwortungsbewußtsein ausgestattet und wollen mehr Wohlstand bei Bewahrung der Umwelt und bei Sicherung der Zukunft.

Eine ebenso ernste Frage, wenn auch ebenso verwirrend, ist die Frage der Vollbeschäftigung bei wirtschaftlicher Stabilität. Natürlich brächten Wissenschaft und Forschung auch bei einem sogenannten Nullwachstum starke Produktivitätsfortschritte. Das muß aber doch nicht heißen, daß wir mit immer weniger Arbeitskräften unser Ein-tausend-Milliarden-Sozialprodukt erwirtschaften, sondern eben mit immer weniger Arbeit, also in kürzerer Arbeitszeit.

Es ist schrecklich, zu glauben, daß eine soziale Demokratie nicht den Gestaltungswillen aufbringen sollte, um mit diesen Herausforderungen fertig zu werden.

Wachstum wird oft auch gefordert, weil Wohlstand für alle wichtig sei. Diese Vorstellung geht von der Annahme aus, daß im übrigen die heute recht unbefriedigenden Einkommensstrukturen und Proportionen nicht zu verändern sind, und von der Hoffnung, daß bei Wachstum die unteren Einkommen auf ein befriedigendes Niveau gehoben werden können. Dazu: Welches Niveau ist denn befriedigend, wenn die Gerechtigkeit fehlt?

Auch wird behauptet, daß bei Stabilität die sozialen Spannungen zunehmen müßten, weil der Kampf um den Kuchen härter werden würde und sich doch niemand etwas wegnehmen lasse. Die heutigen Einkommensstrukturen werden oft zu Recht kritisiert, aber wir nehmen sie hin. Würden wir nicht auf höherem Niveau ebenso Ungerechtigkeit hinnehmen, oder ist die Gerechtigkeit nicht alle Tage, heute und morgen, doch zu erreichen?

Richtig ist doch die Annahme, daß die Gesellschaft bei Stabilität überschaubar wird, ein Grund, bei Stabilität eher an eine effiziente Politik zu glauben.

Wehren wir uns doch gegen die Auffassung, wir wären mechanistischen Entwicklungen ausgeliefert, bekennen wir: Die Zukunft liegt in unseren Händen! Die Auffassung, daß nur Wachstum Vollbeschäftigung, Gerechtigkeit und Wohlstand bringt, ist jedenfalls eine Auslieferungstheorie, eine Abhängigkeitstheorie, weshalb sie abzulehnen ist.

Vollbeschäftigung, Gerechtigkeit und Wohlstand sind in den reichen Nationen dieser Erde auch unter anderen Bedingungen erzielbar. Wie wenig Wachstum mit Lebensqualität zu tun hat, zeigt die Kluft, die zwischen Einkommen und Verbrauch einerseits und der Entfaltung der Persönlichkeit andererseits liegt.

Ebenso verdächtig ist auch die Tatsache, daß nicht nur die Armen immer zuwenig haben, sondern auch die Reichen nie genug bekommen. Die Wachstumstheorien werden in „entwickelten” Ländern formuliert, die bereits - wie die USA, die Schweiz, Schweden, Dänemark, Norwegen, die BRD und Belgien - über ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von rund 10.000 Dollar verfügen, während in den Ländern der Habenichtse lediglich einige Hundert Dollar erzielt werden.

Gigantismus, der uns schon da und dort überwuchert - in der Großtechnik, in Großunternehmen, in Großstädten, im Verkehr-, wuchert auch in der Wirtschaft, wir beginnen ihn zu sehen ...

Entfaltung kann auch im Verzicht sein, wir sollten das nicht ganz vergessen!

OhneWachstum geht es derzeit nicht!

Von FELIX BUTSCHEK

Es ist heutzutage üblich, daß einander ausschließende Argumente nahe zusammenliegen. So heißt es einerseits, das gegenwärtige Leben, die heutige Gesellschaft seien derart kompliziert geworden, daß sie der Staatsbürger gar nicht mehr überblicken könne, andererseits ergibt sich die Lösung aller Probleme durch ganz einfache Ideen, wie beispielsweise durch das Ende des Wirtschaftswachstums. Wer nicht über die Gabe der genialen Vereinfachung verfügt, dem stellt sich zu dieser Aussage jedoch sofort eine Reihe prinzipieller Fragen.

1. Zunächst jene, wovon eigentlich gesprochen werde, wenn von „Wirtschaftswachstum” die Rede sei. Üblicherweise versteht man darunter die Zunahme der Menge von Gütern und Dienstleistungen in einer Zeiteinheit.

Ich weiß nicht, was sich Wille unter Steigerung der Lebensqualität vorstellt, aber - und das sind eingestandenermaßen Präferenzen des Verfassers-wenn diese in mehr Lektüre, Theater-und Konzertbesuchen oder erweiterten Bildungsmöglichkeiten bestehen sollten, dann ist das nach Wille vorbei, weil solche Dinge selbstverständlich massives Wirtschaftswachstum verursachen.

2. Die „Wissenschaft”, zumindest die Nationalökonomie, hat niemals schlechthin behauptet, daß Wirtschaftswachstum unbedingt nötig sei. Dem widerspricht jede historische Erfahrung. Spürbares und relativ stetiges Wachstum gibt es in den letzten 200 Jahren der Menschheitsgeschichte.

Da es nirgendwo im menschlichen Leben exponentielles Wachstum gibt -man stelle sich etwa eine exponentiell wachsende Graugans vor -, sondern stets logistisches, ist zu erwarten, daß auch diese expansive wirtschaftliche Phase einmal zu Ende gehen wird (wie übrigens ein Studium der sogenannten Engel-Kurven, also der Nachfrageentwicklung nach einzelnen Konsumgütern, zeigt). Die Frage ist nur: wann?

3. Weiters wäre zu fragen, warum wir eigentlich wachsen. Wirtschaftliches Wachstum ergibt sich einfach aus dem Streben nach Einkommenssteigerung. Solange Unternehmer Maschinen und Arbeitskräfte kombinieren, um ihr Einkommen zu erhöhen, solange Unselbständige den Arbeitsplatz suchen, auf dem sie das bestmögliche Gehalt erreichen, solange gibt es Wirtschaftswachstum.

Wollte man das Wirtschaftswachstum gewaltsam drosseln, dann ergäbe sich tatsächlich eine Fülle von Problemen, etwa im legendären „Nullwachstum”. Man könnte glauben, daß in diesem Fall dennoch unser Vermögen wüchse, weil wir den gleichen Sparbetrag jährlich zurücklegten. Das jedoch dürfte nicht funktionieren.

Bisher erhielten wir die Zinsen auf unsere Spareinlagen deshalb, weil die ersparten Mittel von Unternehmern entliehen und investiert werden. Bei Nullwachstum jedoch werden nur die verschlissenen Anlagen ersetzt und keine neuen geschaffen. Für einen Teil unserer Ersparnisse gäbe es sohin keine Verwendung, die gesamte Nachfrage würde kleiner, das Wachstum wäre somit nicht Null, sondern ginge in eine formidable Schrumpfung über - wie schon gehabt.

Man kann daher nur hoffen, daß sich eine Änderung der wirtschaftlichen Verhaltensweisen langsam vollzieht, um den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen die Chance zu reibungsloser Anpassung zu geben.

4. Bleibt letztlich die Frage, warum man denn überhaupt das Wirtschaftswachstum beenden solle. Schauermärchen, wie sie der Club of Romc verbreitet hat, können doch nicht die Basis für eine seriöse Politik abgeben! Warum soll man dem Wunsch einer erdrückenden Mehrheit in der Bevölkerung nach mehr Einkommen nicht willfahren?

Ich empfinde ganz im Gegenteil den Glauben an das Nullwachstum als eine Resignationshaltung. Weil man sich nicht in der Lage sieht, auf die Gesellschaft gestaltend einzuwirken, flüchtet man zum Deus et machina „Nullwachstum”. Daß sich Glück nicht automatisch einstellen muß, wenn die Güterfülle wächst, ist evident. Daß es dann zwangsläufig kommen soll, wenn diese nicht mehr zunimmt, ist unerfindlich.

5. Wenn man sich aber nicht davon abbringen lassen will, das Wirtschaftswachstum zu beenden, dann muß man neue Verhaltensweisen verbreiten, und zwar nicht verbal - woran wahrlich kein Mangel besteht -, sondern tatsächlich.

Man sollte beispielsweise darangehen, eine - überparteiliche - Organisation zu gründen, deren Mitglieder automatisch jede Einkommenssteigerung, die über die Abgeltung der Inflation hinausgeht, der Caritas, der Volkshilfe oder den Entwicklungsländern spenden.

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