Lieber Herr Pfarrer!Ich denke mir, Sie haben diese Anrede lieber als Hochwürden. Habe ich Sie doch als unkonventionellen Menschen, aus der Entfernung zwar, aber doch immerhin kennengelernt. Ich möchte Sie mit diesem Brief nicht belästigen. Nein, nein, ganz gewiß nicht, fürchte aber, daß ich es doch tue, tun muß, denn Sie sind meine letzte Hoffnung.Ich weiß auch nicht, ob Sie mich dem Namen nach kennen, Herr Pfarrer. Ich fürchte, nicht. Aber Sie haben mich bestimmt schon in der Kirche gesehen. Ich kam zwar erst drei Jahre, nachdem Sie unsere Pfarrei übernommen hatten, zum erstenmal,
Es gibt gewiß amüsantere Dinge zu schildern als die Gedanken eines Pfarrers, wenn er nach der anstrengenden Installation und allen anschließenden mehr weltlichen Feiern nachzudenken beginnt.Solche Gedanken können den Schlaf rauben, die Nacht ausdehnen und Angst schaffen, wo anfangs keine war. Michael Daun hatte gedacht, eine Pfarre von vierzehntausend Seelen zu übernehmen, von vierzehntausend getauften Christen, und nun schien es ihm, als hätte er nur ein Bündel Vereine und Vereinchen übernommen, die zum Teil in wütendem Gegensatz zueinanderstanden und sich insgesamt gegenüber den
Steine haben meist ihre Geschichte, wie aber der Meilenstein in die Geschichte gekommen ist, ist mir unbekannt. Während die Petrographie, die Lehre von den Steinen, ziemlich ausführlich über das Entstehen von Gesteinsarten, von Konglomeraten, von Schottern und Sanden Aufschluß gibt, während jede Illustrierte, die etwas auf sich hält, einerseits von modischen Steinen, ganz oder nur halbedel, berichtet, anderseits das medizinische Wissen des Betrachters bereichert, indem sie weitläufig über Entstehung und Bekämpfung von Nieren- und Gallensteinen berichtet, jedes bessere Zahnpastainserat
Unsere Geschichte beginnt damit, daß es zunächst einmal zwei Gärten gibt, die fast wie einer aussehen. Sagen wir: ein Garten mit zwei Häusern. Die Nachbarn hatten sogar auf eine trennende Hecke verzichtet. Jeder wußte, was ihm und was dem anderen gehörte, und das war das wichtigste.Selbst um die Obstbäume, die an der Grenze standen, gab es nie Streit. Fiel ein Apfel von Schröders Baum in Kuhns Garten, so war es klar, daß der Apfel weiterhin Schröder gehörte, fiel eine Birne von Kuhns Baum in Schröders Garten, blieb sie natürlich Kuhns Eigentum.So ging es eine gute Zeit, bis beide
Unsere Geschichte begann damit, daß in der Elternversammlung des Goethe-Gymnasiums die Mutter eines minderbegabten Schülers aufstand und laut erklärte, ihr Sohn werde von der SJchule überfordert, und eine radikale Aende- rung des Lehrplanes sei daher das dringende Gebot dieser Stunde.Sofort sprang der gesamte Lehrkörper von seinen Sitzen und lehnte einstimmig und mit aller Entschiedenheit ein solches Ansinnen ab.Daraufhin erhob sich nicht minder erregt der Vater eines ebenso unbegabten Schülers — er hatte in seinem Leben bereits einiges von der Demokratie gehört — und erklärte
ALS UNS DER FREUNDLICHE BESITZER des kleinen Hotels, in dem wir geschlafen hatten und nun das reichhaltige Frühstück einnahmen, erklärte, daß wir uns etwa sechs Meter unter dem Meeresspiegel befinden, blieb mir zunächst das Stück Weißbrot mit Roastbeef im Munde stecken. Wer bisher so gut wie möglich über dem Meeresspiegel gefrühstückt hat, erlebt bei solch einer Ankündigung einen denkwürdigen Augenblick. Es war unser erstes „depressives“ Frühstück. Und wir waren gar nicht deshalb nach Holland gekommen. Grund unseres Besuches war das holländische Erdöl, das bei Schoonebeck
Man muß es gleich im voraus betonen: es gibt nichts gegen den sehr erfolgreichen Herrn Reckenwaldt zu sagen. Er ist ein tüchtiger Mann, kennt nur seine Arbeit und steigert Jahr um Jahr die Produktion seiner Betriebe. Ein äußerst tüchtiger und umsichtiger Mann ist dieser Herr Reckenwaldt. Nichts gegen ihn, denn er ist zudem sehr fortschrittlich, schwört auf die neuesten Maschinen und die modernsten Produktionsmethoden. Modern und produktiv sind seine Lieblingswörter, und deshalb kann und darf man auf keinen Fall einen Menschen verdammen.Für Herrn Reckenwaldt müßte der Tag 48, 72 oder
Er schüttelte den Kopf-und lauschte. Schlagartig war alles in ihm wach und alarmiert, er streckte sich hin, und Jana legte sich neben ihn. Es war mehr ein Vibrieren der Luft als ein Geräusch, eine Vorwarnung, die ein Geräusch ankündigte. Erst jetzt vermählte sich dieses Vibrieren mit ihrer Umgebung, wurde wahrnehmbar. es war wieder Motorenlärm. Langsam kroch er heraus, etwas später merkten sie, daß es nun nicht mehr so dicht schneite, ein blasser gedämpfter Lichtschimmer drang durch das graue Geriesel von der Straße zu ihnen herauf.Hoffentlich fahren sie weiter, flüsterte Jana, dann
Erst als er vor seiner Tür stand, merkte er, daß er keine Schlüssel hatte. Er mußte sie liegen gelassen haben, als er morgens fortging.Und seine Frau war wohl schon auf dem Bahnhof. Sie fuhr ins Gebirge. Auf drei Monate. Etwas mit ihrer Lunge stimmte nicht. Deshalb mußte sie in bessere Luft, Renate. Es war ganz gut so.Er blickte auf die Uhr. Es war 17.43 Uhr.In 25 Minuten, um 18.08 Uhr, ging ihr Zug. Renate hatte das andere Schlüsselpaar. Und die Schlüssel brauchte er, denn abends wollte Ilse kommen, in seine Wohnung. Wenn er ein Auto nahm,- konnte er seine Frau noch erreichen. Knapp,
Zuerst waren die Bitten der Kinder da. Fortwährend und von jenem Nachdrück, der schließlich zum Erfolg führt.Und nun sitzen wir auf einer wackeligen Bank und bestaunen das Spiel. Das Wunder, das sich ein paar Schritte vor uns begibt.Wir Großen könnten auch geringschätzig tun und sagen, daß vor uns nichts steht als ein , schwarzer Kasten mit einem rechteckigen Ausschnitt. Wir könnten anführen, daß der König manchmal wie der Minister und der Minister zuweilen genau so wie der König spricht. Die wackelnden Säulen des Schlosses wären zu erwähnen. Sie wackeln durchaus nicht
Du mußt zugeben, daß du es schön hast. Von deinem Tisch aus kannst du auf die Straße sehen, auf der alle, die zu dir wollen, kommen müssen. Du kannst also nicht überrascht werden, wenn es klingelt.Das ist schön, wenn du es nicht wissen solltest. Auch die Berge, die du hinter der Straße siehst, die sanften besonnten Hänge, auf denen der Wein gedeiht, auch die sind schön. Und du kannst sie sehen von deinem Tisch aus. Wehn du von deiner Arbeit aufblickst oder von einem Buch, um einen Gedanken durchzukosten. Ja, dann mag dein Blick gerade auf die Berge fallen. Es ist vielleicht Herbst
Guten Tag, sagte der junge Mann vor der “Įur, mein Name ist ohne Belang, dürftp ich Ihren Sohn interviewen?Das wird ein Irrtum sein. Mein Sohn ist erst vier Jahre alt.Vier Jahre, jawohl, stimmt. Gerade deswegen komme ich zu ihm.Ich verstehe nicht…Sie brauchen auf keinen Fall besorgt zu sein, es ist nur…Bitte kommen Sie weiter, sagte jemand.Ich sah mich um. Es war Michael. Er führte den Fremden in mein Zimmer, bot ihm einen Sessel an und setzte sich auf meinen Platz beim Schreibtisch.Rauchen Sie, fragte Michael freundlich und schob dem Eindringling die Schachtel mit meinen besten
Es hat midi ein wenig umhergetrieben, das muß ich zugeben. Es, das ist die Zeit, die du ja kennst, die Not. Das ist alles, was uns bedrückt, unsern Herzschlag stocken läßt.Ich könnte dir von einer Stadt erzählen, einer fernen, kleinen Stadt, die wir niemals mehr betreten werden. So fern ist sie. Und es ist mehr zwischen uns gelegt als diese Entfernung. Es ist eine Stadt, die ihren Namen verloren hat. Ihren alten Namen. Und der neue paßt nicht für sie. Sein Klang wird ihr immer fremd sein. Und die Stadt wird hie so sein wie dieser reue Name. Darum sollst du den alten und den neuen Namen
Gabriele saß am Fenster und sah hinaus. Aber sie nahm nicht wahr, was draußen vor sich ging, und ihr Ohr war gleichsam verschlossen. — Sie saß und blickte durch die gegenüberliegenden Häuser hindurch, wie sie durch die Scheibe des Fensters schaute, und ihre Augen waren seltsam ruhig, fast teilnahmslos, als empfände die Netzhaut nicht die Strahlen des Lichtes. — Ihre Hände lagen im Schoß, bewegungslos, als kreiste kein Blut mehr unter ihrer wächsernen Haut.Das machte: Über ihre Seele war der Schatten des Grauens gefallen. Das Licht in ihren Augen war unendlichen Tiefen zugesunken