"Verbindliches Abkommen in keiner Weise absehbar"

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Stefan Schleicher über die trüben Aussichten für die Klimakonferenz in Cancún, den herrschenden Unilateralismus und Fortschritte Chinas bei grüner Energie.

Stefan Schleicher ist Ökonom und forscht für den Weltklimabeirat an den ökonomischen Auswirkungen der Klimakrise. Er ist auch an der Erstellung des neuen IPCC-Reports 2014 beteiligt.

Die Furche: Nach der Klimakonferenz von Kopenhagen lobte die Politik eine eigentlich gescheiterte Konferenz und verwies auf die Nachfolgekonferenz von Cancún. Montag beginnt dieser Klimagipfel unter düsteren Auspizien. Wo stehen wir?

Stefan Schleicher: Cancún ist die Antithese zu Kopenhagen. Vor Kopenhagen gab es die Erwartung, ein großes Klimaabkommen erreichen zu können. Doch die dort vorgestellte Einigung bedeutet, dass ein völlig neues Design diktiert wurde. Zu Cancún gibt es nun kaum Erwartungen, was sich auch in der Teilnehmerzahl ausdrückt: In Kopenhagen waren es 45.000 Teilnehmer, in Cancún werden es etwa 4500 sein.

Die Furche: Sie sprechen von einem neuen Design. Was verstehen Sie darunter?

Schleicher: Bisher hatten wir ein international verbindliches Abkommen zwischen Staaten, nämlich das Kyoto-Protokoll. Nun ist in keiner Weise absehbar, wie es in einem Vertrag überleben könnte, in dem es solche gemeinsamen Ziele gibt.

Die Furche: Es ist auch eine Frage der Möglichkeiten. Selbst wenn die US-Regierung einem neuen Abkommen zustimmen würden, die Republikaner würden es im US-Kongress sofort zu Fall bringen.

Schleicher: Es ist nicht nur das. Die USA treten auch im Verhältnis zu China auf der Stelle und ihre Sorgen mit ihrer Handelsbilanz dürften ebenfalls eine Rolle spielen.

Die Furche: Halten Sie dann überhaupt Fortschritte in Cancún für möglich?

Schleicher: Das ist nicht gesagt: Wir sind beispielsweise auf dem besten Weg, ein Übereinkommen über die Waldnutzung zu erreichen. Demnach könnten Waldbesitzer dafür entschädigt werden, ihre Forstflächen unangetastet zu lassen und nicht zu schlägern. Das wäre fraglos ein Fortschritt. Außerdem gibt es von Kopenhagen her noch die Zusage, die ärmsten Länder der Welt bis 2020 mit 100 Milliarden Dollar zur Finanzierung von Klimaschutzprogrammen zu versorgen. In Cancún könnte es dazu konkrete Zusagen für diesen Green Fund geben.

Die Furche: Das klingt alles nach dem Motto: Jeder für sich und keiner für alle. Ist das nicht ein schwerer Rückschlag?

Schleicher: Ja und nein. Wenn Sie sich die Entwicklung Chinas ansehen, zeigt das in die Gegenrichtung: Das Land ist heute Weltmarktführer bei Windturbinen und Fotovoltaik und hat ein aggressives Programm zur Entwicklung von Elektroautos laufen. Es tut sich also etwas auch ohne Abkommen. Die USA wiederum sind führend, was die Forschung bei innovativen Energietechnologien betrifft.

Die Furche: Europa kommt in Ihrer Aufzählung nicht vor.

Schleicher: Die EU ist durch Kopenhagen sehr verunsichert. Die eigene Politik der ambitionierten Ziele ist wohl in den Zahlen erfolgreich, dahinter steckt aber der Zusammenbruch der alten Wirtschaftsstrukturen der neuen Mitgliedsstaaten. Die Klimapolitik wechselt derzeit vom Wettlauf um Ziele auf den Wettbewerb bei Technologien.

Die Furche: Wie sehr schlägt die Finanz- und Schuldenkrise bei den Zusagen durch?

Schleicher: Man spürt eine gewisse Zurückhaltung.

Die Furche: Hat die Krise im Klimabeirat IPCC auch zum drohenden Misserfolg von Cancún beigetragen?

Schleicher: Nein. Dass sich das Klima ändert, ist zunehmend unbestritten. Die Pannen, die es gab, werden auch zu umfassenden Änderungen führen.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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