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HEINRICH GLEISSNER / EIN ÖSTERREICHISCHER POLITIKER

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Österreichs politisches Leben verfügt über nicht viele profilierte Köpfe. Dazu kommt als ein wichtiges Moment, die geringe Neigung gerade in der ersten/ Regierungspartei, „junge Männer“, „Jungtürken“, starke Individuen, die „auffallen“, in Rang und Führungsstellen einrücken zu lassen.

In dem großen Leerraum, der so entstanden ist, steht wie ein vom Kahlschlag der Zeit und von den Blitzen der Geschichte verschonter aufrechter Baum: Heinrich Gleiß ner. Den Landeshauptmann von Oberösterreich, Doktor Heinrich Gleißner, feiert an seinem 70. Geburtstag, am 26. Jänner 1963 sein Land Oberösterreich durch eine Festsitzung des Landtages, und seiner gedenken in diesen Tagen alle guten Österreicher, die unsere Vergangenheit nicht vergessen haben, unsere Gegenwart kritisch liebend zu verantworten suchen und der Zukunft mit wacher Sorge und Vertrauen entgegensehen.

Das Linz, in dem Heinrich Gleißner 1893 als Sohn eines Abteilungsleiters einer Lokomotivfabrik geboren wurde, trug noch die Züge der Stifter-Stadt. Was ist aus diesem Linz geworden? Die Stadt einer aufstrebenden Sozialdemokratie, die sich im „Linzer Programm“ um ein radikales Selbstverständnis bemüht; die Stadt des jungen Adolf Hitler-, die Stadt der Hermann-Göring-Werke. Heute: eine dynamische Großstadt (für österreichische Verhältnisse), Zentrum der Vereinigten Österreichischen Stahlwerke, eines ehrgeizigen und zielstrebigen kulturellen Lebens, Sitz bald auch einer Hochschule neuen Typs, die sich mit den Problemen und Aufgaben in der industriellen Großgesellschaft befassen wird. Diesen Werdegang der Landeshauptstadt hat Heinrich Gleißner früh wachen Auges beobachtet und zunächst miterlebt, dann mitgestaltet.

Gleißners Anfänge stehen im abendlichen Schatten des alten Reichs: Er beginnt 1912 sein Studium an der Karls-Universität in Prag, rückt 1914 beim Kaiserschützen-Regiment Nr. 3 ein, erhält als Oberleutnant die Goldene und Große Silberne Tapferkeitsmedaille und andere Auszeichnungen. 1919 aus italienischer Gefangenschaft entlassen, setzt er sein Studium in Innsbruck fort, promoviert daselbst 1920. Nun beginnt eine Beamtenlaufbahn in Linz, die im großen Krisenjahr Deutschlands und Österreichs, 1933, plötzlich in die Politik führt. Der österreichische Patriot Doktor Gleißner springt in einem Moment, in dem sich so viele Beamte und andere in öffentlichen Diensten stehende Männer vorsichtig zurückziehen oder gar bereits rück-zuversichern beginnen, in die Bresche. Bundeskanzler Dr. Dollfuß beruft ihn als Staatssekretär für Land- und Forstwirtschaft in sein Kabinett. Am 1. März 1934 wird Gleißner Landeshauptmann von Oberösterreich.

Es ist keine leichte Aufgabe, die Heinrich Gleißner da übernommen hat; gleichzeitig ist er, in diesen Jahren 1934 bis 1938 führend an der politischen Front des Gesamtstaates tätig, der sich in vielen einzelnen Gefechten auf seinen letzten Kampf vorbereitet.

Der März 1938 bringt ihn ins Gefängnis, in zwei Konzentrationslager. Der Entlassene wird mit seiner Familie nach Berlin als Arbeitsort verwiesen, lm Herbst 194$ ist Dr. Heinrich Gleißner wieder Landeshauptmann: in einem Lande, in dem die Russen und die Amerikaner stehen, in dem selbst die Hauptstadt geteilt ist. In diesem Lande Oberösterreich ist „der Gleißner“ für Menschen sehr verschiedener politischer und weltanschaulicher Überzeugungen zu einem lebendigen Symbol von Rechtschaffenheit, Offenheit, Anständigkeit geworden. Dieser einzige heute noch aktive Politiker aus der „vaterländischen“ Zeit vor 1938 hat es verstanden, mit Gegnern von gestern zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zu kommen; nicht nur aus „taktischem“ Interesse, sondern aus weiterem Blick. Dr. Gleißner gehört zu der kleinen Schar österreichischer Politiker, von denen man weiß, daß sie Bücher lesen, sich für geistige und kulturelle Probleme wirklich interessieren. Dieses Interesse, seine „Neugierde“ dem Lebendigen, dem Künftigen, Kommenden gegenüber, läßt heute den Siebzigjährigen oft als viel jünger erscheinen als Politiker wirken, die halb so alt sind wie er.

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