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Scliau zuruck im Regen!

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Ich stehe nun in meinem achtunddreißigsten Jahr, und dort draußen, vor meinem großen Fenster, das eine so weite und schöne Aussicht über die Berge, das Tal und den See bietet, rinnt der Landregen herab, mit vielversprechender Beharrlichkeit, die diesem Regen im Salzkammergut seinen Namen gab und berühmt machte.

Somit bin ich nicht allzu weit vom vierzig' sten Jahr entfernt. Damit ist keiner alt, besonders dann nicht, wenn man sich durch Freiluftleben, Landaufenthalt und viel Sport relativ jung erhalten hat, Aber aus der „ersten Jugend“ ist man denn doch schon erheblich hinaus — leider! Vielleicht ist der Umstand, daß ich wieder und noch auf dem gleichen lieben Platz bin, wo ich meine glückliche Kindheit und frühe Jugend überwiegend verbrachte, schuld daran, wenn mir diese nahezu vierzig Jahre mitunter so kurz und flüchtig erscheinen, als sei das nur eine bewegte Stunde gewesen, dies Ganze, oder auch ein „einziger Wimpernschlag Gottes“ ...

Um der Wahrheit einmal die Ehre zu geben — ich habe nicht gerade titanische Anstrengungen unternommen, um einen Anspruch auf irgendwelche „Unsterblichkeit“ zu gewinnen. Wohl gab es einst auch bei mir in sehr jun<?on Jahren Träume vom Ruhm, vom großen Erfolg.sagenhaften Erfüllungen. In unserer Vorstellung müssen wir wohl alle gelegentlich einmal die Welt erobern. Dann kam der Krieg, beschäftigte mich von meinem 20. bis zu meinem 25. Jahr, und reinigte meine bewegliche Phantasie rigoros und gründlich von solchen und ähnlichen Abenteuerlichkeiten. Man unterschätze die Kräfte und Mächte des Materiellen, des Blutigen und Bösen nicht! In jenen Jahren war wohl in uns allen ein harter und fleißiger Gärtner am Werke, viel Unkraut auszurupfen — darunter freilich auch manches, das hübsche und freundliche Blüten trug!

Mit diesen Lebensläufen, die stark abseits von Norm und Konvention verlaufen (auch wenn sie, rein äußerlich, mit diesen nützlichen Einrichtungen notdürftig in Einklang gebracht erscheinen!) ist es so eine eigene Geschichte. Solche Lebensläufe verlieren sich leicht in der Breite und Weite, im Ungewissen. Und doch haben sie eben ihren besonderen Reiz. Tauschen möchte man ernstlich wohl doch nicht. Uebri-gens hat man sich weder da noch sonst irgendwo viel aussuchen können: Man wird geboren und muß leben, wie man eben leben kann und muß. Vielerlei Käuze bevölkern diese bunte Erde und machen sie noch bunter, und das mag gut sein und hat wohl auch seinen tieferen Sinn . ..

Doch, allen Ernstes — wohin sind mir nur diese vielen, vielen Jahre geraten? Manchmal will mit scheinen, ich hätte sie, zurückschauend, alle hübsch ordentlich beieinander, wie in einem mäßig aufregenden,“ ziemlich alltäglichen, ein wenig zu schlecht rezensierten Film. Dann aber kommt wieder alles ins Fließen, wird unbestimmt und ungewiß, und die Versuche, Leitlinien und Hauptadern, ein echtes „Grundmotiv“ herauszufinden, werden krampfhaft und gewaltsam und ermangeln des Natürlichen.

Ich habe einige Bücher geschrieben — Bestseller wurden es nicht! Etwa hundert Geschichten, ein Bündel Gedichte dazu, und manch anderes. Ich konnte einst zeichnen und malen und war einige Jahre mit der Berichterkamera unterwegs, im Krieg und im Frieden — oder was so dafür gilt! Ich kann Holz hacken, montieren, anstreichen und einen Gemüsegarten fast vorbildlich bestellen. Ich wandere gerne in den Bergen, ohne ein „Gipfelstürmer“ zu sein, habe einige hundert Bücher gelesen und zwei, drei Sprachen erlernt. An die tausend Male startete ich als Langstreckenläufer, Mehrkämpfer, Schwimmer, Ruderer, Rennpaddler und Allround-athlet. Und ich tat eine Menge anderer guter und weniger guter Dinge ...

Meiner Abstammung gemäß hätte ich wohl Artist werden sollen, Tänzer oder Schauspieler. Das wäre übrigens keine schlechte Art gewesen, drei wesentliche Dinge zu verbinden: Es in den Augen der „Leute“ zu etwas zu bringen — eine Kunst auszuüben (und sei es auch auf fragwürdige Weise) und einen sehr starken und beherrschenden Freiheits- und Bewegungsdrang zu betätigen. Am liebsten wäre ich jedoch Sportprofessional geworden — aber solch einer, der von der Geschicklichkeit und Kraft des Körpers sowie den Fähigkeiten und der Anmut der Bewegung zu leben vermag, um sich nebenher und doch in erster Linie den schönen Dingen des Daseins widmen zu können: Büchern, Bildern, Skulpturen, Reisen, Landschaften, Theater, Musik... vor allem aber Menschen und Tieren, soweit sie erfreulich und schön sind! Aber, wie es oft so geht, war mir eher ein umgekehrter Weg beschieden: Geschäftssinn und journalistisches Geschick mußten entwickelt und in' Anwendung gebracht werden^um^sozusagen,. a^f?i'flr.tf>i^.{essipnal leben zu können!

Ich liebte es immer so sehr, die schmale Laufspur meiner Dornenschuhe über abgeerntete Felder und durch einnickende Wälder zu legen, wenn der rauhe Ruf der Krähen und Häher aus den Tälern und Schluchten ruft. Oder die Spur meines Kajaks leise und gleitend über den dunstigen See, auf den die rückkehrenden Taucher und Wildenten einfielen. Oder auch die Spur gleitender Langlaufskis über die gleißende Weite einsam-unberührten Schnees.

Im Frühling konnte ich kaum schlafen, wenn ich die Zugvögel zurückkommen hörte, ohne von einer ungeheuren Freude erfüllt zu sein. Sie galt dem Sommer und der Sonnenwärme nach unseren langen Bergwintern, heißen Felsen, auf die man sich strecken konnte, dem warmen See mit seinem klaren, reinen Wasser und dem Chor musizierender Grillen, der einem wie ein großes ununterbrochenes Konzert entgegenhallt, wenn man jäh, mit raschem Paddel- oder Ruderschlag, in die Heimatbucht einbiegt. Jedoch waren all diese großen und kleinen Herrlichkeiten mehr oder weniger ausschließlich mein Besitz, erfüllten und beherrschten mich überaus stark und ließen daneben kaum viel Sinn entstehen für Geldverdienen, „Es-zu-etwas-Bringen“, für Amt und Rang und Geltung und all die „Notwendigkeiten“ unserer so hochstehenden Zivilisation!

Die Menschen auf den verschiedenen Schaubühnen der Welt zu beobachten, hat mich interessiert. Nicht nur auf dem Theater und im Zirkus, vornehmlich auf den vielen Kampfbahnen und Sportplätzen, wo so viel Zeit meines Lebens vergangen ist. Natürlich sah ich früh ein, daß •dies kaum der richtige Weg sein konnte, der zu den „wahren Quellen“ führt. Was ich sah und mitmachte, war ziemlich unromantisch, zweckverhaftet, nicht besonders edel und trug viele Kennzeichen abwegiger Entwicklung. Und doch ging bedeutende Faszination davon aus. Leider beginnt gerade um diese Jahre der „Staub“ den „Glanz“ der Rennbahn fast gänzlich zuzudecken. Das ist sehr schade um eine große und reine Idee, in der viel Heilvolles war. Die Schatten der Idealisten schwinden dahin, Coubertins Herz modert in Olympia. Im Tempel, wo die Stille und Erhabenheit herrschen sollten, machen sich der Lärm, das gemeine Getriebe und die schlechten Manieren des „Marktes“ breit und vertreiben die letzten Reste jener schönen Illusion, daß sich die Götter mit den Besten der Menschen in einem edlen . Wettstreit messen könnten ... Ich weiß nicht, ob diese Entwicklung sich noch aufhalten und zum Guten wenden läßt. Auch nicht, ob sie unvermeidbar und unaufhaltsam gewesen ist. Aber ich weiß ebensowenig, ob es unvermeidbar und unaufhaltsam gewesen ist, wenn wir allesamt nun vom Atomtod, von Radioaktivität, Managerkrankheit, Neurosen und Lebensangst bedroht und gefoltert werden . .. Wahrhaftig, ich weiß nicht, wann und wo und durch wen das gute, gnadenvolle, freundliche Erbe des Menschengeschlechtes, wie es von Gott kam, verspielt und vergeudet wurde ... \“

Ich gewann Literaturpreise. Aber die Herren Redakteure der großen, gewinnbringenden Illustrierten schreiben, meine Geschichten „kämen nicht an“ beim breiten Lesepublikum. Und so wird es ja wohl sein — sie müssen es ja wissen! Und man sollte sich ändern, so wird empfohlen, sich „dem Rhythmus, der Stimmung und dem geistigen Klima unserer Zeit besser anzupassen“ und so weiter. Goldene Worte, gewiß! Aber der „Rhythmus“ ist recht abgehackt, die „Stimmung“ bei näherem Besehen ziemlich flau, und das „geistige Klima“ läßt einen bisweilen erschauern ... um so frischer und frecher rüstet man deswegen überall auf!

Ja — man sollte sich ändern!

Man sollte strebsam und „tüchtig“ werden, bürgerlich-nützlich! Um so mehr, als man Familie hat und seit einiger Zeit sogar eine süße kleine Tochter mit blauen Augen und blonden Haaren, die mit ihren kleinwinzigen Zehen spielt und lacht! Man sollte endlich die Reste phantastischer, unzeitgemäßer Lebensauffassungen über Bord werfen und „vernünftige Ziele anstreben“. Erfolgsautor werden (wenn möglich)oder nach einem Amte streben. Sich auf irgendeine öffentlich tolerierte Weise um den „Fortschritt der Menschheit“ verdient machen! Man sollte — man sollte ...

Und man sollte aufhören, mit Leuten, die halb so alt sind, sportliche Wettkämpfe zu bestreiten. Man sollte statt bunter Tri'kots und heller Hosen seriöse Anzüge und Schuhe mit Ledersohlen tragen, die so ungemein ehrbar knarren können. Statt sich darüber zu freuen, sollte man sich eher schämen, wenn einem die Leute sagen, man sähe wie fünfundzwanzig aus. Auch den Staat sollte man erfreuen und ihm, der sich in so vielerlei Gestalt ein Leben lang verdient um unseremen gemacht hat, zu gediegenen Steuereinnahmen verhelfen. Aus einem Waldbohemien sollte man sich zu einem ernsthaften „Staatsbürger“ entwickeln. Sollte man!

Beinahe achtunddreißig Jahre alt und noch kein Schimmer von Unsterblichkeit und Ordensverleihungen in Sicht! Ach ja! Es regnet. Es tropft beharrlich und elegisch von den schönen alten Birnbäumen und Kirschbäumen im Garten. Aus dem Regenwald ruft der Kuckuck seinen Zauberruf. Es geht alles vorbei. Es wird alles vergessen. Vielleicht ist alles nur Wahn, Illusion, Fata Morgana eines großen Träumers!

%Wir wissen nichts, werden nichts wissen. Vielleicht ist morgen schon der Tag X und alles zu Ende! Vielleicht wiegt das süße Lied des Amselhahns, mit dem er sein brütendes Weibchen unterhält und uns beglückt, den ganzen Shell-Konzern auf, und die NATO dazu! Vielleicht... vielleicht schreibt einer in Angola schon am erlösenden Werk für die Menschheit! Mir ist manchmal zumute, als hätte ich vor langen Zeiten jenes Zauberwort gekannt, das alle Schatzberge dieses Daseins mühelos öffnet. Ei muß mir irgendwann, irgendwo abhanden gekommen sein!

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