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Vorsicht! Halbe Wahrheiten!

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Gibt es etwas Problematischeres als eine bewußte Verzeichnung der Vergangenheit? Nach der Lektüre eines soeben erschienenen Buches*, das die Person und die Kirchenpolitik des 1955 verstorbenen Erzbisehofs von Wien in schwerer Zeit, Kardinal Dr. Theodor Innitzer, zum Gegenstand hat, wissen wir es: Es sind dies halbe Wahrheiten. Halbe Wahrheiten, die von dem anscheinend durch die Erlebnisse und Gefühle seiner eigenen Jugend überwältigten Verfasser einer vergeßlichen Mitwelt und einer voraussetzungslosen jungen Generation angeboten werden.

Eigentlich wollte Viktor Reimann gar keine Innitzer-Biographie schreiben. Er hatte ganz andere Absichten. „Kardinäle im Widerstand“ sollte sein Buch heißen. In einzelnen Kapiteln plante der Verfasser so verschiedene Persönlichkeiten wie Innitzer, Mindszenty und Beran einander gegenüberzustellen. Aber es sollte anders kommen. Durch eine nicht ganz durchschaubare Verkettung verschiedener Umstände öffneten sich vor Viktor Reimann die Faszikel des sogenannten „Innitzer-Archivs“ im Wiener Erzbischöflichen Palais, die bisher gegenüber allen, auch durch einschlägige Arbeiten bereits ausgewiesene Historikern verschlossen geblieben waren.

Um es gleich zu sagen: Der Verfasser nähert sich der Person des verewigten Wiener Kardinals durchaus mit Respekt... Er zeichnet den Lebensweg des 1875 im nordböhmischen Neugeschrei geborenen Sohnes armer Posamentierer aus dem Erzgebirge zum Theologieprofessor, Minister und schließlich Nachfolger Kardinal Piffls mit viel Gefühl nach. Selbstverständlich bildet Kardinal Innitzers Haltung während der stürmischen Märztage 1938 wie überhaupt in der Zeit des Dritten Reiches das Kernstück des vorliegenden Buches. Es ist dies ein schmerzliches Kapitel nicht nur im Leben des Kardinals, der buchstäblich bis zu seiner letzten Stunde auf dem Totenbett mit der Problematik seines seinerzeitigen Verhaltens rang, es ist dies ohne Zweifel auch die Beschwörung eines Schattens, der auf dem Bewußtsein österreichischer Katholiken noch lange lasten wird.

„Non abbiamo paura“, das Wort Leos XIII., mit dem er der Öffnung der Vatikanischen Archive zustimmte, ist bekannt. Auch die österreichischen Katholiken brauchen keine Angst zu haben, mit der historischen Wahrheit konfrontiert zu werden. Das haben unter anderem die profunden Arbeiten von Univ.-Dozent Dr. Erika Weinzierl „Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus“ („Wort und Wahrheit“, Nr. 6, 7, 8, 9/1963 und 12/1965) schon unter Beweis gestellt. Die von Reimann nun ans Tageslicht gehobenen Dokumente sind nur eine Bestätigung dieser These.

Ansonsten ist Reimanns Bestreben deutlich, den „Volksbischof“ Innitzer den gütigen Menschen und Helfer der Armen gegenüber dem der rauhen Politik nicht gewachsenen Seelenhirten herauszuarbeiten. Klar ist auch die Tendenz erkennbar, eben den „Volksbischof“ Innitzer gleichsam als politischen Spiegel der österreichischen „Volksseele“ der Nachwelt zu präsentieren.

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