Papst und Kyrill - © APA / AFP / Vatican Media / Handout   -   Videokonferenz von Papst Franziskus mit Patriarch Kyrill am 16.3.2022

Der Papst im Shitstorm

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Fordert Franziskus die Ukraine zur Kapitulation auf? Auch wenn hier auf ein Interview einmal mehr ein übliches Empörungsritual folgte: Die Position des Papstes zur Ukraine bleibt prekär.

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Fordert Franziskus die Ukraine zur Kapitulation auf? Auch wenn hier auf ein Interview einmal mehr ein übliches Empörungsritual folgte: Die Position des Papstes zur Ukraine bleibt prekär.

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Der Sturm der medialen Entrüstung, der dieser Tage über Franziskus hinwegfegte, war beachtlich: Eine Passage aus einem TV-Interview des Papstes für einen italienischsprachigen Schweizer Sender wurde von vielen Kommentatoren als Aufforderung an die Ukraine zur Kapitulation aufgefasst. Der Wiener evangelische Theologe Ulrich Körtner etwa meinte, Franziskus habe da „den letzten Rest von moralischer Glaubwürdigkeit und Autorität verspielt“. Er müsse sich als Protestant „wegen des Papstes fremdschämen“.

Allerdings war das ganze Interview noch gar nicht on air, sodass auch der Kontext weitgehend unbeleuchtet blieb, in dem die Äußerung vom „Mut zur weißen Flagge“ fiel, die der Ukraine sinngemäß nahelegte, weiteres massenhaftes Sterben auf den Schlachtfeldern entlang der Frontlinie durch Verhandlungen zu beenden.

Soviel weiß man: Das Interview für den Sender RSI drehte sich um die Farbe Weiß in vielen Facetten; und es kam dabei auch die weiße Fahne zur Sprache. Auf diesen Kontext gingen die heftigen Reaktionen nicht ein. Allerdings war es auch das Papst-Medium Vatican News selber gewesen, welches Franziskus’ Interviewaussage per kontextloser Schlagzeile verbreitet hatte: Einmal mehr entpuppt sich der aktuelle Shitstorm auch als römisches PR-Desaster. Man erinnert sich, wie ein vermeintlich islamkritisches Wort aus der „Regensburger Rede“ Benedikts XVI. 2006 zu einem Aufruhr in der islamischen Welt geführt hatte – auch damals war ein aus dem Kontext gerissenes Zitat Ursache für den Furor wider den Papst.

Franziskus geradezu kleinlaut

Den Kontext im Blick zu haben, sollte für seriöse Medien eine Selbstverständlichkeit sein. Und abwägende Kritik, die natürlich auch dem Papst gegenüber legitim ist, erweist sich nur dann als glaubwürdig, wenn nicht nur eine Einzelaussage in den Blick genommen wird.

Hier gilt dennoch ganz sicher, dass beim Ukrainekrieg das Agieren und das Sprechen von Franziskus im Gesamten nicht dazu angetan sind, der katholischen Kirchenspitze moralische Autorität zuzubilligen. Denn um den Menschen in der Ukraine Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist es unabdingbar, Ross und Reiter beim Namen zu nennen. Doch Franziskus war bislang kaum imstande, Wladimir Putin klar als Aggressor zu benennen, noch protestierte er gegen den Missbrauch des Christentums durch Patriarch Kyrill II., der das Morden quasi unter Gottes Schutz stellte. Sonderbar, dass der römische Pontifex, der Ungerechtigkeit etwa Flüchtlingen gegenüber lautstark anprangert, hier als geradezu kleinlaut wahrgenommen wird.

Eigentlich müsste der Papst Klartext sprechen, zumal mit den griechisch-katholischen Glaubensgeschwistern in der Ukraine Katholiken besonders bedroht sind: Stalin ließ diese mit Rom unierte Kirche verbieten – und aus den von Russland okkupierten Territorien mehren sich Berichte, dass griechisch-katholische Gemeinden wieder der russischen Orthodoxie einverleibt werden. Das ist Krieg. Das spricht der Ökumene Hohn. Das darf ein Papst nicht hinnehmen.

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