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Riesen oder Zwerge?

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Der bereits seit April vorigen Jahres dem Ministerrat vorgelegene Entwurf einer 4. Novelle zum ASVG, der die Teilsanierung der Krankenkassen zum Gegenstand hat, ist nun endlich Gesetz geworden. Die Novelle wird den Krankenkassen, deren Verbindlichkeiten gegenüber den Pensionsversicherungsanstalten für nichtabgeführte Beiträge schon zum 31. März 1958 151 Millionen Schilling betrugen, durch gewisse Maßnahmen (Krankenscheingebühr von 5 Schilling pro Schein und Vierteljahr, Zahlung eines Jahrespauschales von 5 5 Millionen Schilling seitens der Unfallversicherungen an die Gebietskrankenkassen für die Behandlung der Unfallpatienten auf Kosten der Krankenkassen und Erhöhung der Beiträge in der Rentnerkrankenversicherung auf 8,2 Prozent der ausgezahlten Rentenbeträge) jährliche Mehreinnahmen von 13 5 Millionen Schilling erschließen. Damit wird sie zwar der Krankenversicherung noch keinen goldenen Boden schaffen, aber die normale Betreuung der Versicherten jedenfalls auch weiterhin sicherstellen; alles andere wird sich dann in Zukunft weisen, besonders wie sich die nunmehr auch bei uns eingeführte Selbstbeteiligung der Versicherten an den Kosten der Behandlung auswirken wird, ob sie nämlich mehr als eine erzieherische Maßnahme darstellen, ob sie eine finanzielle Ersparnis bringen wird.

Vor allem von den Rentnern wird aber eine in die 4. Novelle aufgenommene Bestimmung begrüßt werden, wonach ab 1, April dieses Jahres die Renten von 220.000 Beziehern der Ausgleichszulage von 5 50 Schilling auf 600 Schilling, sofern es um Ehepaare geht, von

750 Schilling auf 825 Schilling monatlich erhöht werden; hierzu kommt dann noch die Wohnungsbeihilfe von 30 Schilling. Hat der Rentner füi Kinder zu sorgen, so erhält er für jedes 75 Schilling. Waisenrenten werden auf 22? Schilling, Doppelwaisenrenten auf 337.50 Schilling monatlich erhöht.

Anläßlich der Beratungen über die 4. Novelle wurde im Ministerrat seitens der SPOe auch ein Antrag eingebracht, die Beitrags-, beziehungsweise Bemessungsgrundlage in der Krankenversicherung von 2400 auf 3600 Schilling und in der Pensionsversicherung von 3600 aul 4800 Schilling zu erhöhen. Damit wären wohl die Beiträge neuerlich erhöht, demgegenüber aber auch das Krankengeld und die Renten der hochverdienenden Angestellten ganz erheblich verbessert worden. Es wäre dadurch, möglich geworden, nach 40 Versicherungsjahren 72 Prozent, nach 45 Arbeitsjahren aber nahezu 80 Prozent der erhöhten Bemessungsgrundlage von 4800 Schilling, demnach also einen Monatsrentenbezug von 3840 Schilling zu erreichen. Die OeVP lehnte diesen Antrag jedoch mit der Begründung ab, es müsse zunächst eine grundlegende Reform der Krankenversicherung durchgeführt werden.

Was versteht man nun darunter? Nicht sosehr die Rückführung gewisser, satzungsgemäß von den Krankenkassen weit über das gesetzliche Maß ausgeweiteten Leistungen, sondern vor allem die Aufspaltung der „Mammutversicherungsträger“, der Gebietskrankenkassen, in eine Reihe kleinerer, einander konkurrierender Institute; zunächst nach Arbeitern und Ange stellten und dann weiter noch nach gleichartigen Betrieben und Branchen. Diese Kassen sollen dann nach den bewährten wirtschaftlichen Grundsätzen der Privatinitiative ihre Geschäfte führen.

Dazu ist einiges zu sagen. Im September vorigen Jahres zahlten 2,188.795 Arbeiter und Angestellte Krankenversicherungsbeiträge, 1,4 Millionen Familienangehörige waren beitragsfrei mitversichert und erhalten Leistungen. Eine weitere Million Personen (Rentner, Kriegsopfer und Arbeitslose) sind zwar auch versichert, zahlen aber nur unzureichende Beiträge. Wo ist nun das private Versicherungsinstitut, das bei der Erstellung der Beiträge die Familienangehörigen prämienfrei mitversichern und sc schlechte Risken, wie die am häufigsten von Krankheiten heimgesuchten Rentner und Kriegsopfer, zu derart niedrigen Beiträgen annehmen wird? Das kann eben nur eine Institution, die nicht auf Gewinn ausgerichtet ist, sondern eine sozialpolitische Sendung zu erfüllen, einen heute bereits umfassenden, allgemeinen Volksgesundheitsdienst zu betreuen hat.

Und die Auftragsangelegenheiten? Das sind jene, die mit der Krankenversicherung überhaupt nichts zu tun haber und von den Kassen für die Rentenversicherungsträger und den Bund nur deshalb durchgeführt werden, weil das billiger und praktischer erscheint. Dazu gehören die Einhebunt der Beiträge für die Renten- und Arbeitslosenversicherung und der Wohnbauförderungs- unc Wohnungsbeihilfenbeiträge. Was würde e kosten, wenn etwa die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten sich wieder, wie es schon einmal der Fall war, einen eigener Apparat für die Einhebung der Beiträge auf- ziehen müßte? Aber natürlich erfordert di« gegenwärtige Regelung auch eine entsprechend« Honorierung der Kassen für die damit verbundenen Arbeiten und Auslagen. Leider isl aber diese bisher völlig unzureichend. Glaubet nun wirklich diejenigen, die die durchgreifend« Reform der Krankenversicherung in einer Zerschlagung der Gebietskrankenkassen und Einführung von sich gegenseitig Konkurreni machenden Kleinstkassen sehen, daß diese neuer Gebilde dann fähig oder auch nur bereit wären, diese Angelegenheiten zu übernehmen;

Noch ein Wort zur „P a 1 a s t i t i s“. Wi« bei allen übrigen Behörden und Anstalter haben wohl auch die Beamten und Bediensteter der Krankenkassen den Anspruch darauf, ir modernen, gesunden Räumen ihrer Arbeit nach- . zugehen, und-die Versicherten, ohne Dränger V und »stundenlanges- Warten ihre Wünsche» vor- zuhrifigeifc: Und im übrigen: Die „Paläste" waren doch das einzige, was jeweils nach einen Weltkrieg den Versicherungsträgern als Vermögenswert zurückblieb. 98 Millionen Reichsmark Reichsschatzscheine, Anweisungen unc Anleihepapiere im Besitz der Krankenkasse! harren seit 1945 noch immer einer Entschädigung, während der Bund der Privatversicherung mit 420 Millionen Schilling hilfreich beisprang.

Ob wohl die Selbstbeteiligung dei Versicherten an den Kosten der Heilung die Wartezimmer der jetzt überlaufenen Aerzt« leeren und ihnen so Zeit zu einer sorgfältiger therapeutischen Behandlung der schweren Fäll« geben wird? Ein wenig zu dieser Umerziehung dieser Hebung des Verantwortungsbewußtsein! der Patienten müßte wohl auch der Arzt selbsi tun und auch seinerseits jeden von ihm konstatierten versuchten Mißbrauch der Leistungen zv verhindern suchen. Allerdings, nie darf di« Selbstbeteiligung so hoch festgelegt werden, daf sie den Weg zum Arzt versperrt, denn das war« gleichbedeutend mit einer allgemeinen Verschlechterung der Volksgesundheit. Gottlob ist dies bei unserer Fünf-Schilling-Krankenschein- gebühr nicht zu befürchten.

Daß schließlich die allgemeine Erhöhung de« Durchschnittsalters und die damit' verbunden« Zunahme früher seltener Alterskrankheiten, abei auch das in den letzten Jahren ständig gestiegene Bewußtsein der Versicherten für die Bedeutung der Gesundheitspflege die ärztlicher Leistungen immer mehr zunehmen läßt, ist klar. Aber ebenso klar ist es, daß der in Oesterreich eingeschlagene Weg der Betreuung der Volksgesundheit, nämlich der der Krankenversicherung, angesichts der ständig steigenden Kosten der modernen Medizin der einzige ist, auf dem sich der einzelne ärztliche Leistungen noch sichern kann und den Aerzten ihre Honorare garantiert werden.

Zusammenfassend: Reformen können manchmal gut sein; wenn sie sich aber ausschließlich auf dem Sektor „Organisation der Krankenversicherung“ auswirken sollen und dabei Verschlechterungen und finanzielle Neubelastungen mit sich bringen würden, sind sie wohl noch ernsthaft und kritisch zu prüfen.

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