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Für viele ein Stein des Anstoßes

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Er könnte heuer seinen „75er“ feiern, der einst für Wiens Kunstszene überaus renommierte Hagenbund, der immerhin in zwei seiner Phasen Bedeutung gewonnen hat: in den Jahren voi dem Ersten Weltkrieg — 1914 wurde er durch politische Zenso reta in seiner Wirkung beeinträchtigt — und dann in der Zwischenkriegszeit bis zur Auflösung durch die Nationalsozialisten

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Er könnte heuer seinen „75er“ feiern, der einst für Wiens Kunstszene überaus renommierte Hagenbund, der immerhin in zwei seiner Phasen Bedeutung gewonnen hat: in den Jahren voi dem Ersten Weltkrieg — 1914 wurde er durch politische Zenso reta in seiner Wirkung beeinträchtigt — und dann in der Zwischenkriegszeit bis zur Auflösung durch die Nationalsozialisten

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Erinnerungen an den Hagenbund: Sie sind rarer geworden als man glaubt Sein einst besonders originelles Haus, die Zedlitzhalle, wurde zuerst seiner Jugendstilfassade beraubt und schließlich abgerissen. Viele Werke der Hagenbund-Mitglieder sind heute unauffindbar, weil in Privatbesitz und auch durch Kriegswirren verstreut, das Archiv des Hagenbunds ist im Wirbel von 1938 verlorengegangen; nicht einmal Katalog- und Plakatsammlung sind vollständig erhalten. Um so bedeutender nun der Versuch des Historischen Museums der Stadt Wien, dem Künstlerbund in seinem Schaffen und in seiner Wirkung noch einmal auf die Spur zu kommen. Wenn auch hauptsächlich aus Eigenbeständen des Museums (ergänzt durch Arbeiten aus Albertina, österreichischer Galerie usw.), aus Rezensionen in Kunstzeitschriften, den Reaktionen der Tagespresse von einst...

Die Geschichte des Hagenbundes läßt sich etwa bis 1880 zurückverfolgen, als sich eine Künstlerrunde zuerst im Restaurant Ganse, dann im Hotel Zillinger auf der Wieden, im berühmten Cafe Sperl, schließlich im Gasthaus „Zum Blauen Freihaus“ regelmäßig traf. Dieses „Blaue Freihaus“ gehörte dem Wirt Josef Haa-gen, nach dem schließlich die Runde sich nannte: „Künstlerbund Hagen“.

Den entscheidenden Anstoß zur Gründung des Hagenbundes hatte wohl die Gründung der Wiener Se-cession gegeben. Denn viele 'Mitglieder, die zuerst gehofft hatten, in die Secession aufgenommen zu werden, wurden enttäuscht: Sie genügten nicht den exklusiven Ansprüchen der Secessionisten; andere, die wieder Künstlerhausmitglieder waren, wollten sich mit den in dieser Institution herrschenden Institutionen nicht zufriedengeben. Also gründete man am 3. Februar 1900 die Vereinigung „Künstlerbund Hagen der Genossenschaft bildender Künstler Wijens“. Eine Studien- und Skizzenausstellung der Mitglieder und eine weitere Schau im Deutschen Saal waren der Hagenbund-Konstituierung vorausgegangen. Die Presse hatte darauf überaus günstig reagiert, sogar der der Secession nahestehende Ludwig Hevesi berichtete positiv. Im November 1900 verließ der Hagenbund endgültig das Künstlerhaus. Auf der Suche nach einer eigenen Ausstellungsmöglichkeit und mit öffentlicher und privater Unterstützung wurde schließlich ein Teil der alten Zedlitzmarkthalle adaptiert, und zwar vom Hasenauer-Schüler, Architekt Joseph Urban, der sich mit diesem Bau betont als Otto-Wagner-nahe auswies.

Ausstellungen wie „Kunst im Leben des Kindes“ (1902), ^Künstlerischer Wandschmuck für Schule und Haus“, Illustrationen für Gerlachs Jugendbücherei (hauptsächlich von HagenbundrMitgliedern), eine Kaiser-Huldigungsausstellung 1908, repräsentative Ausstellungen modernen Kunstgewerbes gaben den Ton an. Eine „heroische Zeit“ nennt, etwa Robert Waissenberger in seinem Katalogvorwort die ersten zehn Hagenbund-Jahre, da selbst Künstler wie der junge Kokoschka und Schiele hier präsentiert wurden, und zwar im Rahmen der „Neukunstgruppe“ (1911 und 1912), wo im übrigen auch Gütersloh, Kolig, Laske, Georg Merkel, Wiegele u. a. vertreten waren. Je sensationeller die Ausstellungen waren, desto größer wurden allerdings auch die Schwierigkeiten. Vor allem Schieies und Kokoschkas Werke provozierten schließlich die Schließung des Ausstellungshauses. Denn politische Funktionäre fühlten sich beleidigt, ein Mitglied des Kaiserhauses soll sich sogar ablehnend geäußert haben. Der Mietvertrag wurde durc die Gemeinde Wien nicht erneuer das Haus als Kartoffelkeller, ii

Ersten Weltkrieg als Lazarett verwendet

Erst 1919 konnte der Bund wieder seine Räume beziehen. Die Öffentlichkeit begriff nun, „daß es seinerzeit eine sehr ungünstige Politik der Gemeinde Wien gewesen war, diese wichtige Künstlervereinigung aus ihrem alten Haus auszusperren und damit die Zedlitzhalle als Ausstellungszentrum der Stadt zu entziehen“.

Die Schwierigkeiten der dreißiger Jahre ließen auch den Hagenbund in die große Krise -schlittern:-Es fehlte das Geld, um das Haus zu erhalten, von den Ausstellungen wurde kaum etwas verkauft. Subventionen gab es kaum. Dennoch war das künstlerische Angebot außerordentlich: Kubismus, Expressionismus, „Neue Sachlichkeit“ verschmolzen hier allmählich zu jener Stileigenart, die man als „Hagenbund“-Note heute unverkennbar findet Künstler wie Carry Hauser, der Ende der zwanziger Jahre Präsident der Vereinigung war, der Plastiker Georg Ehrlich, der Malerzeichner Ferdinand Stransky u. a. prägten diesen Bund, der es immer zu den wichtigsten Aufgaben zählte, jungen Talenten den Weg zu bahnen, und auf Künstler aufmerksam zu machen, die man hierzulande übersah oder falsch einschätzte.

So kam es zur Kollektive mit Werken Constantin Meuniers (1906), zu Präsentationen Liebennanns, Corinths und Slevogts, MestroviCs, Kupkas und Gutfreunds, sowjetischer Avantgarde der zwanziger Jahre u. a. 1938 erfolgte die Auflösung des Hagenbunds, dessen Arbeiten von den Nationalsozialisten als „entartet“ klassifiziert wurden; und sie erfolgte vor allem auch, weil etliche der führenden Mitglieder Juden waren. Eine „verschwörerische Tätigkeit“ wurde dem Bund nachgesagt. Er war wieder einmal Stein des politischen Anstoßes. Seine Mitglieder zerstreuten sich: Ehrlich ging nach England, Floch nach New York, Merkel über Prag nach Paris.

... Der große Bogen vom Jugendstil, der „Stilkunst“, mit dem der Hagenbund „gemäßigt modern“ seine Wirkung begonnen hatte, und der über Expressionismus, Kubismus und Neue Sachlichkeit bis zur Kristallisation eines eigenen Idioms reichte, war vollendet. Religiöse Aspekte wie sozialkritische Momente waren da ebenso zu finden wie Märchenhaft-Phantasievolles oder die Dominante forrnalarchitekfoni-schen Denkens (man sehe sich nur Carry Hausers bewegte Figuren in der Landschaft an, die sich vor allem mit rhythmischen Problemen auseinandersetzen). In den späteren zwanziger Jahren taucht dann auch das Problem konstruktiver Festigung auf. Cezanne wird neu überdacht Bauhaus und Liebe zur Geometrie führen zu einer Straffung der Formen. Ein immer wiederkehrendes Wechselspiel manifestiert sich, zwischen Sachlichkeit und Romantik, Konstruktion und impressionistischer Formauflösung. Der Entwicklungsgang des Hagenbundes und seiner Mitglieder spiegelt dieses Wechselspiel.

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