Im Mai 1221 verläßt er Rom: er entfernt sich nun für immer. Zweimal hat ihn das Fieber unerwartet niedergeworfen, ohne ihm noch sein letztes Geheimnis entreißen zu können: den demütigen Tod, den Gott in ihm vorbereitet und der bereits In aller Stille in seinem Herzen erglänzt wie' das getreue Lämpchen im Heiligtum, ehe der ewige Morgen naht. Nach einer letzten Begegnung mit seinem Freunde, dem Kardinal Ugolino, in Venedig, erreicht er das Kloster in Bologna mit einem letzten Flügelschlag seiner weiten, seiner unermüdlichen Schwingen. Sterbend kommt er an.Unser Todeskampf trägt das
Das Aergernis in unserer Welt ist nicht das Leid, es ist die Freiheit. Gott hat seiner Schöpfung die Freiheit gegeben, das ist das Aergernis der Aergernisse, denn alle anderen entspringen aus ihm.Wenn einige von euch nicht recht verstehen, was ich damit sagen will, so habe ich mich schlecht ausgedrückt. Aber wozu all die Erklärungen?Irgendwo in der Welt, im Dunkel irgendeiner verlassenen Kirche, in einem gewöhnlichen Haus oder vielleicht an einem einsamen Kreuzweg faltet in diesem Augenblick ein elender Mensch die Hände, und aus der Tielfe seiner Not, ohne zu wissen, was er sagt, oder
Wozu die Freiheit? Zweifellos ist das ein guter Titel, und ich gebe es um so bereitwilliger zu, als ich ihn nicht selbst erfunden habe. Wozu die Freiheit? ist ein berühmter Ausspruch Lenins, der überdeutlich und mit erschreckender Klarsicht jene Art von zynischer Abkehr von der Freiheit zum Ausdruck bringt, die schon das Gewissen so vieler korrumpiert hat. Die größte Gefahr für die Freiheit besteht nicht darin, daß sie einem genommen werden kann — denn wer sie sich hat nehmen lassen, kann sie wiedererringen —, die größte Gefahr besteht darin, daß man verlernt, sie zu lieben oder
Wir können unser Handeln, unser Leben nicht rechtfertigen, wenn wir uns stolz des Besitzes der vollen und lebendigen Wahrheit, wahre Menschenfreund zu sein, rühmen, und uns elend hinter einer Art Maginot-Linie defensiv verhalten, während es unsere Berufung ist, Brüder zu sein. Wir wissen alle, daß gute Gedanken zu haben, das sicherste Mittel ist, schlechten Absichten zu begegnen. So wenig, wie Gott tot ist, ist unser Mitmensch für uns gestorben. Wir können nur glauben, wenn wir auch an ihn glauben, wenn wir für den Irregeleiteten genau so beten wie für den, der ihn verführt. Die
Das Sprechzimmer im Karmel zu Com-piegne im Jahre 1789. Die Priorin und Blanche de la Force, Tochter des Marquis de^la Force, sprechen miteinander durch das schwarzverschleierte Doppelgitter hindurch. Frau de Croissy, die Priorin, ist eine alte, sichtlich leidende Frau. Sie macht einen linkischen Versuch, ihren Lehnstuhl ans Gitter zu rücken. Es gelingt ihr mit. Mühe. Dann beginnt sie, ein wenig außer Atem, lächelnd zu sprechen.DIE PRIORIN: Glauben Sie nicht, dieser Lehnstuhl sei ein Vorrecht meines Amtes wie der Fußschemel der Herzoginnen! Wie gern würde ich mich darin wohlfühlen,
Ich war verwegen genug, sechs Kinder großzuziehen, und das in einer Epoche, wo die Familienväter mehr denn je den ungewöhnlichen Titel verdienen, den ihnen Peguy zuerkannt hat, als er sie die „großen Abenteurer der modernen Welt“ nannte.Der mittelmäßige Christ ist verachtenswerter als jeder andere Mittelmäßige, er fällt tiefer, fällt mit dem ganzen unwägbaren Gewicht der empfangenen Gnade. .Ich bin der Meinung, daß keiner, wenn er nicht ein Narr ist, für den außergewöhnlichen Wert eurer Helden, ihr unvergleichliches Menschentum unempfindlich sein kann. Die Bezeichnung Held
Jeder Flieger kann heute aus der Höhe in zwanzig Minuten tausende kleiner Kinder mit einem Maximum an Bequemlichkeit erledigen, und übel wird ihm dabei nur beim schlechtem Wetter, wenn er unglücklicherweise zur Luftkrankheit neigt... Liebe Leserin, es ist völlig unnütz, daß Sie sich aufregenl Sicher gehört Ihr Mann oder Ihr Geliebter — der Mann Ihres Lebens — einer solchen Bomberformation an und trägt ihre Uniform, die ihn so kriegerisch erscheinen läßt. Ich setze voraus, daß er Ihnen auch in den heimlichsten Augenblicken die Rücksicht und das Zartgefühl entgegenbringt, wie
Die folgenden Auszüge sind Briefen von Georges Bernanos an den brasilianischen Schriftsteller Alceu Amoroso Lima entnommen. Von 1938 bis Kriegsende war Bernanos in Brasilien, wo er eine Farm bewirtschaftete. Die bisher unveröffentlichten Briefe erschienen kürzlich in der Zeitschrift „Esprit“.Ich weiß, daß Sie ein wertvollerer Mensch sind als ich. Ich sage das nicht, weil ich mich vor Ihnen erniedrigen will — o nein —, sondern weil ich jedes Mißverständnis vermeiden möchte. Ich kann Ihnen nichts geben, was Sie nicht schon besäßen. Mir scheint, ich komme zu Ihnen im Namen
Ein Christ, der Christus nicht lebt, sinkt auch als bloßer Mensch zum Nichts herab; das unvorstellbare Geschenk, das uns ohne ein geringstes Verdienst zuteil geworden, zieht eine so furchtbare Verpflichtung nach sich, daß sein Verrat uns unter die Durchschnittsmenschen sinken läßt, uns zu Ungeheuern im ursprünglichsten Sinne des Wortes macht. Wären die Christen tiefer von dieser Wahrheit überzeugt, so könnten sie die Ungläubigen kaum mehr leichthin verachten und das Menschengeschlecht in Gute und Böse einteilen — sich selbst natürlich zu jenen zählen. Sie würden verstehen, daß
Die Hoffnung, das ist das Wort, das ich schreiben wollte. Die übrige Welt wünscht, begehrt, fordert, und sie nennt all das .hoffen“, da sie weder Geduld noch Ehre hat; sie will nur genießen, und der Genuß kann nicht warten im eigentlichen Sinne des Wortes; die Erwartung des Genusses kann sich nicht Hoffnung nennen, sie ist eher ein Fieberwahn, eine Agonie, übrigens lebt die Welt viel zu schnell, sie hat keine Zeit mehr zu hoffen. Das Innenleben des modernen Menschen hat einen zu schnellen Rhythmus, als daß in ihm ein so heißes und so zärtliches Gefühl entstehen und reif werden
Im Jahre 1920 zog ich den Soldatenmantel aus wie alle anderen auch. Ich war zweiunddreißig Jahre alt und hatte gelernt, gut zuzuhören und zu beobachten. Ohne Zweifel machte ich mir schon damals nicht viel mehr Illusionen über die angeblichen Kreuzzüge für die Freiheit als heute. Ich redete mir nicht ein, daß „die Pforte zum Paradies auf Erden Verdun heißen wird“, wie irgendein Redakteur des „Echo de Paris“ damals schrieb. Glaubt mir nur, ich war weit davon entfernt, eine Zeit des Wohlstandes, des Uberflusses und vor allem der Sicherheit zu erwarten. Ich sagte mir damals: