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WiJcf die Roboter unserer Zeit

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Jeder Flieger kann heute aus der Höhe in zwanzig Minuten tausende kleiner Kinder mit einem Maximum an Bequemlichkeit erledigen, und übel wird ihm dabei nur beim schlechtem Wetter, wenn er unglücklicherweise zur Luftkrankheit neigt... Liebe Leserin, es ist völlig unnütz, daß Sie sich aufregenl Sicher gehört Ihr Mann oder Ihr Geliebter — der Mann Ihres Lebens — einer solchen Bomberformation an und trägt ihre Uniform, die ihn so kriegerisch erscheinen läßt. Ich setze voraus, daß er Ihnen auch in den heimlichsten Augenblicken die Rücksicht und das Zartgefühl entgegenbringt, wie man es von einem Menschen der Elite erwartet, und Sie erlauben es mir gewiß nicht, daß ich ihn mit einem deutschen Landsknecht des 16. Jahrhunderts vergleiche, einem Totschläger, der Ihnen gewiß, wenn es sich gerade so argeben hätte, an der erstbesten Ecke einer in Flammen stehenden Straße Gewalt angetan hätte, ohne sich vorher noch die Mühe zu geben, seine besudelten Hände abzuwischen. Gerade diese Tatsache läßt mich ja an der Zukunft verzweifeln, daß das Vierteilen, Zerreißen und Zerfetzen von mehreren tausend Unschuldigen eine Aufgabe ist, mit der ein Gentleman zurechtkommen kann, ohne sich seine Manschetten, ja nicht einmal sein Bewußtsein zu beschmutzen. Denn der Gentleman hat ja nichts gesehen, nichts gehört, nichts berührt, die Maschine hat ja alles erledigt. Das Gewissen des Gentleman ist unbelastet, seine Erinnerung ist nur um einige sportliche Erlebnisse bereichert. Wenn ihr auch beschränkt seid,' begreift ihr jetzt, begreift ihr endlich, daß es nicht das Hinschlachten einiger tausend Unschuldiger ist, das uns an der Zukunft verzweifeln läßt? Ungeheuerlichkeiten lassen uns an euch verzweifeln, Greuel, die nicht mehr die Frage eines individuellen Gewissens aufwerfen. Wären diese Greuel auch noch zehnmal furchtbarer, so würden sie dennoch nicht schwerer wiegen, oder noch immer schlimmer: ihre immer weiter zunehmende Ungeheuerlichkeit würde in ebenfalls zunehmendem Maß, wenn ich so sagen darf, die verhältnismäßig engen Grenzen des persönlichen Gewissens überschreiten. Was nun das Kollektivgewissen anbelangt, so erlassen Sie mir diesen Scherz, und bringen Sie mich nicht zum Lachen! Es gibt kein Kollektivgewissen. Ein Kollektiv hat .kein Gewissen. Wenn es den Eindruck erweckt, als habe es eins, so liegt das daran, daß es im Kollektiv noch die nötige Anzahl aufsässiger Geister gibt, das heißt Menschen, die disziplinlos genug sind und die dem Gott Staat das Recht absprechen, zu entscheiden, was gut und was böse ist. Meine liebe gnädige Frau, ich bezweifle, daß der Elitemensch, dem Sie Ihre Liebe weihen, der zuletzt genannten Art angehört. Ich nehme an, daß er zu sehr ein Mann von Welt ist, als daß er sich nicht den Befehl gäbe, zu sein „wie alle Welt“. Zweifellos spürt er in sich nicht die geringste Berufung zur Aufsässigkeit. Aber seien wir gerecht! In der Frage des totalen Krieges gibt es im Grunde keine Aufsässigen, denn alle sind sich in ihr einig. Seit einiger Zeit beobachte ich sogar, daß man nun auch schon die Ausrufe der Entrüstung und auf den Augenaufschlag zum Himmel verzichten zu können glaubte, mit denen manche empfindsamen und frommen Frauen meinten, das Lesen der Berichte über Bombenangriffe begleiten zu müssen. Erzählen Sie mir nur ja nicht, es sei immer so gewesen, der Soldat habe sich immer als Werkzeug ohne eigene Verantwortung betrachtet, als eine Maschine zum Töten. Ich möchte darauf zunächst antworten, daß, wenn es wirklich immer so gewesen ist, es absolut notwendig wäre, diese Frage von neuem zu prüfen. Denn das verantwortungslose Werkzeug früherer Zeiten mit seinen zwei Armen, zwei Beinen und einigen Waffen, deren Wirksamkeit sich einige Jahrtausende hindurch kaum veränderte — denn eine Armbrust aus dem 16. Jahrhundert war kaum mörderischer als der Bogen der Numidier oder Perser, und die Kriege, die im gleichen Jahrhundert in Italien geführt wurden, gehörten dank der Rüstungen zu den unblutigsten der Geschichte —, dieses Werkzeug 6ieht heute seine Vernichtungsmöglichkeiten mit jedem Tag durch technische Neuerungen, die ja erst recht kein Verantwortungsbewußtsein haben können, vervielfacht. Das Werkzeug von ehedem wurde zu einer ungeheuren Kombination von Maschinen, und es fällt einem schwer, zu entscheiden, welche unter ihnen vielleicht etwas weniger vollkommen, etwas weniger wirksam ist; wahrscheinlich die, die noch etwas Gehirnmasse besitzt. Das große Unglück der Menschheit besteht ja nicht darin, daß es ihr an Wahrheiten fehlt; sie sind immer da, die Menschheit hatte immer ihren Bestand an Wahrheiten, nur versteht sie es unglücklicherweise nicht mehr, sich ihrer zu bedienen; oder noch genauer: sie sieht sie nicht mehr. Sie hat ihnen nicht die Vernunft, sondern das Herz verschlossen. Die Menschen sind in ihrer Dummheit fähig, endlos irgendeine Frage zu erörtern, aber sie hüten sich wohl, sie so zu stellen, daß sie gezwungen wären, sie zu beantworten. Sie werden sich auch niemals sagen: „Nun, es ist schon richtig, daß der Soldat unserer Zeit und seine technischen Mittel nur noch eine einzige fürchterliche Maschine darstellen.“

Wenn man die Sache so darstellt, erweckt man leider den Eindruck, als sei man der Ansicht, daß zu allen Zeiten der Soldat sich immer nur für ein willenloses Werkzeug gehalten hat. Nichts ist falscher. Ich wünsche keineswegs als ein Schriftsteller zu gelten, der darauf versessen ist, das alte Rittertum zu verteidigen. Aber auch der größte Dummkopf würde es nicht wagen, zu behaupten, daß ein Ritter des 11. oder 12. Jahrhunderts sich von seinem Beruf eine solch gemeine Vorstellung gemacht hätte. Weit entfernt davon, sich für ein einfaches Werkzeug in den Händen seiner Führer zu halten, verpflichtete sich der Ritter durch heilige Eide, daß kein Befehl, nicht | einmal irgendeine Notwendigkeit, ihn hätte veranlassen können, sich gegen sie zu vergehen. Er verpflichtete sich nicht nur, sich aller Handlungen zu enthalten, die als verbrecherisch galten, und darüber hinaus verpflichtete er sich, aus freien Stücken andere Handlungen zu begehen, die ihm das allgemein gültige Sittengesetz niemals hätte auferlegen können. Diese Handlungen entsprangen nur seiner persönlichen Auffassung von der Ehre. Er handelte wie auf Grund einer Eingebung, wie man auch von gewissen Handlungen der Heiligen spricht, sie seien eine Eingebung des Heiligen Geistes. Seine Handlungen waren eine Eingebung der Ehre. Wenn ein Angehöriger des Templerordens zum Beispiel den Eid ablegte, jeden Kampf aufzunehmen, vorausgesetzt, daß die Zahl seiner Feinde nicht mehr als drei betrüge, so befand er sich damit gewiß nicht in Ubereinstimmung mit den Grundsätzen des modernen Krieges und schon gar nicht mit denen des amerikanischen totalen Krieges. Denn, viel eher ließ der gute General Patton seine boys den Eid ablegen, nach Möglichkeit jeden Kampf zu meiden, in dem sie nicht zu dritt auf einen Gegner kämen... Ich frage euch, was hat die individualistische Auffassung vom Krieg eines Tempelritters noch mit einer Auffassung zu tun, die vom Mann blinden und automatisch einsetzenden Gehorsam verlangt, von einem Mann, den sein Beruf jeder moralischen Verpflichtung entbindet und ihn dadurch außerhalb des Sittengesetzes überhaupt stellt? Es ist klar, der Krieg war immer eine Wissenschaft, aber er war in früheren Zeiten auch eine Kunst, und unsere christlichen Vorfahren haben es sogar verstanden, in ihm eine gewisse Heiligkeit zu sehen. Jährhunderte hindurch galt es als ehrlos, im Kampf das Pferd des Gegners zu erschlagen, das heißt ihn zum Absteigen zu zwingen. Tausende von Menschen haben auf diese Weise verzichtet, ihr Leben zu retten, als sie im Kampf einen stärkeren oder im Kampf erfahreneren Gegner gegenüberstanden. Ihr seid vielleicht der Ansicht, daß diese Menschen uns zu fern stehen, aber was glaubt ihr, hätte in einer gar nicht so weit zurückliegenden Zeit Bayard für ein Gesicht gemacht, wenn ihn jemand überzeugt häjfe, daß der Beruf des Kriegers ihm das Recht gäbe, sich wie ein Türke oder Maure aufzuführen, ohne mehr als ein Hund Gefahr zu laufen, deswegen verdammt zu werden. Der edle Ritter hätte so einen Menschen wahrscheinlich am Hosenboden gepackt und als Verderber soldatischer Tugend zum Fenster hinausgeworfen. •

Ich weiß, diese Betrachtung des Krieges empört die Dummköpfe. Die Dummköpfe wollen den Krieg unbedingt als eine unvorhergesehene Naturkatastrophe betrachtet wissen, weil sie ihn selber nicht vorhersahen. Wenn nicht vor rund 60 Jahren in Deutschland ein Narr mit Namen Adolf und in Italien ein anderer Narr mit Namen Benito geboren worden wäre, würden die Menschen auf nichts anderes warten, als ihre harmlosen Tätigkeiten unterbrechen zu dürfen und um einander unter Freudentränen in die Arme zu sinken. So stellen es sich jedenfalls die Dummköpfe vor und sind in dieser Behauptung nicht zu erschüttern. Dabei wissen sie doch sehr gut, daß die Menschheit seit 1918 in ihrem Leib den abgestorbenen Fötus des Friedens trägt, und keinem Arzt ist es bisher gelungen, sie von diesem Eiterherd zu befreien. Sie können zwar sehen, wie der riesige Körper unaufhörlich Eiter ausscheidet, aber auf den Gedanken, daß doch der ganze Körper diesen Eiter immer von neuem hervorbringt, solange bis die Ursache des Übels entfernt ist, auf den Gedanken kommen diese Dummköpfe nicht. Und wenn ihnen tatsächlich jemals ein solcher Gedanke gekommen wäre, hätten sie sich gehütet, es zuzugeben, denn sie sind ja selbst ein Element dieser Fäulnis. Ätsächlich erscheint mir mehr und mehr die Dummheit, eine neue Art von Beschränktheit, als die eigentliche Ursache der Verderbtheit der Nationen. Die zweite ist die Habsucht. Der Ehrgeiz der Diktatoren kommt erst an dritter Stelle. •

Wir sind heute nicht Zeugen des natürlichen Endes einer großen Kultur in der Geschichte der Menschheit, sondern Zeugen der Geburt einer unmenschlichen Zivilisation, die sich nach einer ungeheuren, maßlosen und die ganze Welt umfassenden Auslaugung der höchsten Werte des Lebens ausbreiten wird. Denn trotz allem, was ich eben auseinandersetzte, handelt es sich hiebei viel weniger um eine Zersetzung als um eine Versteinerung. Die Barbaren waren unfähig, die Ruinen aufzubauen. Immer mehr Ruinen säumten die Straßen ihres Vormarsches. Aber wie ein riesiger Brand fand schließlich auch dieses Chaos durch Mangel an Nahrung sein Ende. Unsere heutige Zivilisation hingegen ist durchaus fähig, alles in dem Maß, in dem sie es zerstört, wieder aufzubauen, und zwar mit immer größerer Schnelligkeit. Soviel steht fest: Sie wird weiterhin fast bis ins Unendliche ihre Experimente durchführen. Und ihre Experimente werden sich zu immer größeren Ungeheuerlichkeiten steigern.

Aus „Wider die Roboter“, Verlag Gustav Kiepenheuer, Köln

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