Gerührt, aber nicht erschüttert

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Annette Schavan kämpft um ihre Ehre, Angela Merkel kämpft um ihre Macht. Der Rücktritt der Bildungsministerin war "alternativlos“, meint die FAZ.

Am Ende fehlte nur noch der Große Zapfenstreich. Von solchem parteiübergreifenden Respekt, wie ihn Annette Schavan erfuhr, ist schon lange kein Rücktritt eines Politiker mehr begleitet worden. Die Rührung über ihren Fall reichte sogar bis in die Reihen der Grünen hinein. SPD-Chef Gabriel besang höchstpersönlich ihren Anstand und ihre Kompetenz. Kaum ein Nachruf, der ohne das Wort Tragödie auskam.

Das ist nun auch von den Nachrufern so hochanständig, dass man sich fragen muss, warum Frau Schavan, an deren Engagement, Fleiß und persönlicher Integrität niemand zweifelte, dann überhaupt zurücktreten musste. Der CSU-Vorsitzende Seehofer gab denn auch zu Protokoll, er hätte ihr geraten, im Amt zu bleiben, wenn sie nicht gerade Bildungsministerin gewesen wäre.

Will er uns damit sagen, dass beispielsweise ein Justizminister sein Amt fortführen könnte, wenn ihm gerade sein Doktorgrad wegen Plagiaten in seiner Dissertation entzogen worden wäre, von Ressorts mit noch geringeren Bezügen zu Ehrlichkeit, Recht und Gesetz einmal zu schweigen? Seehofer wird sich doch nicht schon Sorgen um den promovierten Müllermeister Ramsauer machen?

Keine Illusionen

Die Bundeskanzlerin, obschon Frau Schavan politisch und vor allem persönlich viel enger verbunden als Seehofer, gab sich solchen Illusionen nicht hin, auch wenn sie es sich ausdrücklich anmerken ließ, dass sie all die Fragen bewegten, die auch viele andere Politiker und noch mehr "einfache“ Bürger in diesem Fall und in ähnlich gelagerten Fällen beschäftigten: Ist es nicht übertrieben, dass eine allseits geschätzte Ministerin, die ihren Beruf als Berufung verstand, ihr Amt aufgeben muss wegen eines, wie von der Universität Düsseldorf behauptet, vorsätzlichen oder, wie von ihr selbst beteuert, allenfalls fahrlässigen Fehlverhaltens vor mehr als dreißig Jahren, das mit ihrer aktuellen, untadeligen Amtsführung nichts zu tun hat? Kann das Weglassen von "Gänsefüßchen“ überhaupt ein Vergehen sein? Und gibt es nicht, wenn schon keine rechtliche, so doch wenigstens eine politische Verjährung? Die Meinungen dazu gehen auseinander, in der Wissenschaft, in der Politik und am Stammtisch.

Die Ehre über das Amt gestellt

Die Kanzlerin machte mit ihrer zweimaligen Äußerung, sie habe Frau Schavans Rücktritt nur "sehr schweren Herzens“ angenommen, mehr als deutlich, welches Urteil sie als Privatperson über ihre Freundin fällt. Doch handeln musste sie als Regierungschefin, die die politischen Fakten zu berücksichtigen hat. Der Entzug der Doktorwürde ist ein solches politisches Faktum. Eine Bildungsministerin, der der Doktorgrad aberkannt worden ist mit der Begründung, sie habe in ihrer Dissertation vorsätzlich getäuscht, ist politisch nicht mehr tragbar.

Den zweiten zwingenden Grund lieferte Frau Schavan selbst mir ihrer Klage gegen die Universität Düsseldorf, die sie als die eigentliche Ursache für ihren Rücktritt angab. Die Ministerin hätte danach ihr Amt nicht mehr souverän und unbefangen ausüben können. Frau Schavan wehrt sich mit ihrer Klage gegen einen Vorwurf, den sie als falsch, ungerecht und verletzend empfindet. Sie kämpft um ihre Ehre, die ihr wichtiger ist als ihr Amt. (...)

Der weitere Verlauf und der Ausgang des politischen Prozesses dagegen wären absehbar gewesen. Wäre Annette Schavan nicht zurückgetreten, dann wäre das Mitleid der Opposition schnell in schneidende Kritik umgeschlagen. In acht Monaten ist Bundestagswahl.

Aus Frankfurter Allgemeine, 11. Februar 2013

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