Blättern im Buch der Geschichte

Werbung
Werbung
Werbung

Ein drei Jahrtausende altes Pharaonengrab - japanische Wissenschaftler entdecken nahe Kairo eine Grabkammer mit Tausenden Grabbeigaben aus Ton und Stein sowie Knochen, die wahrscheinlich von antiken Grabräubern stammen; Schatzfund aus dem Mittelalter - bei Freistadt in Oberösterreich werden Schmuckstücke, Silbermünzen und verschiedene Rohmaterialien entdeckt, die wohl ein Goldschmied vor nahenden kriegsbedingten Plünderungen im 13. Jahrhundert vergraben hatte: Die Archäologie ist die einzige Geisteswissenschaft, deren Ergebnisse es regelmäßig in die Schlagzeilen schaffen. Kostbare Schätze, geheimnisumwitterte Gräber, das Faszinosum vergangener Epochen und die mitunter tragischen Schicksale ihrer Bewohner - das ist der Stoff, der die Phantasien eines nach Sensationen hungernden Publikums beflügelt.

So sehr sich Archäologen über das öffentliche Interesse an manchen Früchten ihrer Tätigkeit freuen - noch nie waren sie in ihrem beruflichen Selbstverständnis weiter von Schatzsuchern entfernt als heute. Das Aufspüren kolossaler Monumente und wertvoller Kostbarkeiten zählt schon lange nicht mehr zur Aufgabe von Archäologen: "Die Überwindung der alten Rolle des Museum-Füllens ist immer noch eine unserer wichtigsten Aufgaben", erklärte Fritz Krinzinger, Direktor des "Österreichischen Archäologischen Instituts" anläßlich der 100-Jahr Feier des ÖAI: "Wir sind kein Grabungsinstitut, sondern ein Forschungsinstitut."

Dem aktuellen Bewußtseinsstand entsprechen kleine, unspektakuläre Grabungen, aus denen ein Maximum an Information herausgeholt wird. Was für den Laien nach nichts aussieht, spricht für den Experten Bände: Wenn er Schicht für Schicht die Überreste von Siedlungen, Militärlagern oder auch nur einzelner Gebäude freilegt, so ist es, als schlage er Seite um Seite im Buch der Geschichte auf. Soziale Strukturen, Handelsbeziehungen, Kriegshandlungen - all das können die Forscher anhand der Überreste detailgenau nachvollziehen. Die Kehrseite der Medaille: Der Aufwand steigert sich ins Unermeßliche. "Überall lautet die Tendenz: immer schneller. Nur bei uns geht es immer langsamer", seufzt Manfred Kandler, Professor am ÖAI. So hat etwa der Spaten als Instrument ausgedient. Archäologen gehen heute fast nur noch mit Spachtel und Pinsel ans Werk - eine zeitraubende Tätigkeit.

Noch langwieriger ist die wissenschaftliche Aufarbeitung: Am ÖAI stapeln sich die Kisten mit Material, das noch nicht wissenschaftlich aufgearbeitet ist, ebenso am Institut für Ägyptologie der Universität Wien: Um die 400 Kisten mit jüngst ausgegrabenen minoischen Wandmalereien aus dem alten Ägypten wissenschaftlich zu untersuchen, bräuchte man 50 Jahre, stöhnt Institutsvorstand Manfred Bietak. Die Folge: Manches wird erst gar nicht ausgegraben, wie etwa in Ephesos das "Hanghaus 3", die vielversprechenden Überreste eines antiken Wohnkomplexes für die bessere (römische) Gesellschaft. Nicht nur, daß die personellen Ressourcen für die Aufarbeitung fehlen, ein moderner Archäologe muß sich auch über die Konservierung den Kopf zerbrechen: "Unter freiem Himmel sind die antiken Ruinen bald nur mehr ein Schutthaufen", weiß Manfed Kandler. Teile eines Kastells und einer Lagerstadt, die er in Carnuntum ausgegraben hat, wurden nach vollendeter Dokumentation wieder zugeschüttet und warten darauf, irgendwann einmal wieder freigelegt zu werden und fachgerecht vor Wind und Wetter geschützt zu werden.

Die Archäologie hat in Österreich eine lange Tradition - wobei Archäologie in Österreich nicht unbedingt Archäologie auf österreichischem Territorium bedeutet. Denn die wohl wichtigsten von Österreichern durchgeführten Grabungen befinden sich im Ausland: * Ephesos: Als ehemalige Hauptstadt der römischen Provinz Asia war Ephesos eines der wichtigsten Zivilisationszentren der Antike. Unter der Ägide des ÖAI wurden weite Teile der heute auf dem Gebiet der Türkei liegenden antiken Großstadt ausgegraben.

* Avaris: Die ehemalige Hauptsadt der Hyksos ("Herrscher der Fremdländer") in Ägypten bringt neues Licht in die wenig erforschte Zeit zwischen dem Mittleren und dem Neuen Reich der ägyptischen Pharaonen. Die vom Institut für Ägyptologie der Universität Wien geleiteten Ausgrabungen könnten auch wesentlich zur Klärung ungelöster Datierungsfragen im gesamten Mittelmeerraum beitragen (siehe Seite 15).

Doch auch die Ausgrabungen in Österreich selbst können sich sehen lassen. Die materielle Hinterlassenschaft der Kelten und vor allem der Römer ist beträchtlich, immerhin zog sich der Limes quer durch das Gebiet des heutigen Österreich, jener Befestigungswall, der die Grenze zwischen dem Imperium Romanum und den germanischen Barbaren markierte. Auch Mittelalterarchäologie ist mittlerweile eine anerkannte Disziplin, seit die Archäologen auch andere Epochen als die klassische Antike zu schätzen gelernt haben. "Wir alle bedauern es, daß viele Quellen etwa zur spätantiken Nutzung griechischer und römischer Städte undokumentiert weggeräumt wurden, weil frühere Generationen anders dachten", bekennt Fritz Krinzinger.

Auch für Laien, die den Überresten der Vergangenheit Aug' in Aug' gegenüberstehen möchten, ist in Österreich viel geboten. Neben den zahlreichen Museen sind es zwei Grabungsstätten, die Touristen und Ausflügler anziehen: * Carnuntum, die nahe der Grenze zur Slowakei in Niederösterreich gelegene ehemalige Hauptstadt der Römischen Provinz Pannonia superior und * der Magdalensberg, eine ausgedehnte keltische, später römische Siedlung nördlich von Klagenfurt.

Die österreichische Archäologie genießt international ein hohes Ansehen. Auch in Österreich selbst wird sie als selbstverständlicher Teil des kulturellen Erbes betrachtet. In Zeiten von Sparpaketen bestand nicht die Gefahr, die Archäologie totzusparen; in Zeiten, wo die Finanzierung von Geisteswissenschaften in Frage gestellt wird, hat die Archäologie keine Legitimationsprobleme. "Wir haben mit der Freizeitwirtschaft mehr zu tun, als zum Beispiel ein Indogemanist", sagt ÖAI-Direktor Krinzinger im Furche-Gespräch. Antike Ruinen sind nämlich gut besucht und fördern den Tourismus der umliegenden Region - das überzeugt selbst den eingefleischtesten Neoliberalen. Auch der menschlichen Neugier kommt die Archäologie entgegen: Mit ihren zentralen Fragen "Was ist das?" und "Woher kommt das?" werde diese Wissenschaft immer im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen, ist Krinzinger überzeugt.

Gefahr droht der Archäologie von anderer Seite: "Innerhalb von 40 Jahren sind 80 Prozent des unter der Erde verborgenen kulturellen Erbes zerstört worden", erklärt der junge Archäologe Stafan Groh: "Und wenn ich zerstört sage, dann meine ich: unwiederbringlich weg." Straßenbau, Industrie, Landwirtschaft und Zersiedelung sind die Gründe für den rasantene Schwund an archäologischen Objekten in Österreich. Groh schuftet als Leiter von Notgrabungen an vordester Front im Kampf um Österreichs kulturelles Erbe: Er dokumentiert archäologische Funde, bevor sie dem Bagger zum Opfer fallen (siehe Seite 14).

Wenig optimistisch blickt auch Fritz Krinzinger in die Zukunft: "Wir werden in Österreich bald keine römischen Villen mehr haben, weil sie alle weggedüngt sind, denn der moderne Kunstdünger löst die Kalkbindungen des antiken Mauerwerks auf. Oder keine Ringwälle, weil zu tief geackert wird: Mit einem kleinen Griff auf der Hydraulik seines Traktors kann jeder Bauer die Tiefe seines Pluges verändern und dann ist alles weg, was zuvor über tausend Jahre im Boden überstanden hat."

Zum Dossier Mit den bedeutenden Ausgrabungen in Ephesos und Avaris gehören Österreichs Archäologen zur Weltspitze. Forschung statt Schatzgräberei, wissenschaftliche Aufarbeitung statt Museum-Füllen - auch hierzulande folgt man den Trends einer Zunft, die wohl immer im Mittelpunkt der menschlichen Neugier stehen wird.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung