Der diskrete Charme des Grantelns

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Meine erste Begegnung mit Fritz Muliar war rein akustischer Natur. Auf einer jener Schallplatten, die mir als Kind mein Vater schenkte, spielte und sang sich Muliar mir als Knieriem in Nestroys "Der böse Geist Lumpazivagabundus", vor allem mit dem berühmten Kometenlied, unauslöschlich ins Gedächtnis. Auf einer anderen Platte las er Texte von Roda Roda, ich kann mich noch gut erinnern, wie sprachgewandt er zum Beispiel "Die Gans von Podwolotschyska" oder "Johann Kiefer" vortrug und wie gekonnt er dabei die Pointen setzte.

Mit den Augen nahm ich Muliar erstmals in einer TV-Aufzeichnung des Lustspiels "Das Protektionskind" von Gustav Davis aus dem Wiener Volkstheater wahr. Als Offizial Bohrmann, der durch sein Tarockspiel zum Präsidialsekretär aufsteigt, erwies sich Muliar darin als ein Komödiant, der den diskreten Charme des Grantelns meisterhaft beherrschte. Später erlebte ich Muliar in unzähligen Rollen - vom Sancho Pansa im Musical "Der Mann von La Mancha" über seine Paradefigur, den braven Soldaten Schwejk, oder den sächselnden Theaterdirektor Striese bis zum Pontifex in "Der Tag, an dem der Papst gekidnappt wurde".

Am 3. Mai ist für Fritz Muliar nach über 89 Lebens- und 73 Bühnenjahren, nach mehr als 100 Kino- und Fernsehfilmen der letzte Theatervorhang gefallen. Noch am Nachmittag vor seinem Tod trat er in Peter Turrinis "Die Wirtin" im Theater in der Josefstadt auf, in jenem Haus, dem er von 1964 bis 1977 und ab 1994 wieder angehörte, und das er letztlich als seine künstlerische Heimat ansah. Wir werden seinesgleichen nicht mehr sehen.

Sein Debüt 1936 im Kabarett "Der liebe Augustin" verdankte Muliar der legendären Stella Kadmon, später wurde Karl Farkas sein Lehrmeister. Von 1951 bis 1963 spielte er am Volkstheater und parallel dazu am Kabarett "Simpl", von 1974 bis 1994 am Burgtheater, von dem er im Clinch mit Claus Peymann schied. Zuvor feierte er dort noch in Felix Mitterers "Sibirien" unter der Regie von Franz Morak seinen größten Erfolg als Charakterdarsteller. Bis zuletzt blieben Peymann und der patriotische Volksschauspieler Muliar, der die Mätzchen des deutschen Regietheaters zutiefst ablehnte, unversöhnliche Gegner.

Fritz Muliar, am 12. Dezember 1919 in Wien-Neubau geboren, in der NS-Zeit wegen Wehrkraftzersetzung zum Tod verurteilt, dann zu fünf Jahren Haft begnadigt, konnte nicht nur redend, sondern auch schreibend gut mit dem Wort umgehen, wie nicht nur seine Autobiografie bewies. Jahrelang schrieb er - für ein bescheidenes Honorar - Texte für die FURCHE, von 1997 bis 2002 eine ständige Kolumne "ex tempore", in der er hochpolitische Themen aufgriff, aber einmal auch seinen Hund ansprach. Er schätzte diese Zeitung sehr, kam gerne zum FURCHE-Heurigen (oder entschuldigte sich schriftlich) und wirkte im Hörspiel "Wir werden es der Welt noch zeigen" des langjährigen FURCHE-Redakteurs Hellmut Butterweck mit, das Ö1 am 9. Mai um 14 Uhr ausstrahlen wird.

Fritz Muliar war Kammerschauspieler, Professor und Träger vieler Auszeichnungen, für das Volk aber vor allem "der" Muliar. Als homo politicus gab er sich als "überzeugter sozialdemokratischer Monarchist". Er bekannte sich zum Glauben an Gott, aber nicht an ein Leben nach dem Tod: "Nur die Taten eines Menschen leben weiter. Und solange man von einem Menschen spricht, ist er wohl gestorben, aber nicht tot."

* Der Autor ist Ressortleiter bei der "Wiener Zeitung"

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