Die Jungs, der Ball und die Einheitsfront

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Die Erfolge der ungarischen Fußballer bei der EM versetzten das Land in Ekstase. Dahinter stecken auch hunderte Millionen Euro an Sportförderung - und die extreme Fußballbegeisterung des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán.

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Die Erfolge der ungarischen Fußballer bei der EM versetzten das Land in Ekstase. Dahinter stecken auch hunderte Millionen Euro an Sportförderung - und die extreme Fußballbegeisterung des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán.

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Das Wort Euphorie wäre eine Untertreibung. Ungarn ist in nationaler Ekstase. Zehntausende Fußballfans feierten in den vergangenen Tagen auf den Straßen von Budapest das überraschend erfolgreiche Abschneiden ihrer Nationalmannschaft bei der EM 2016 - erst den spektakulären Sieg gegen Österreich, dann das dramatische Unentschieden gegen Island. Ob in den ungarischen Medien oder bei Auftritten ungarischer Politiker - überall sind "die Jungs" der National-Elf das Topthema. Der Erfolg der Nationalmannschaft habe das traditionell politisch tief gespaltene Land zu einer "Einheitsfront zusammengeschweißt", schreibt das Portal hvg ironisch.

Jahrzehntelang spielte Ungarns Fußball international keine Rolle. Nach den traumhaften Erfolgen der 1950er Jahre, als die "Goldene Elf" um den Jahrhundert-Fußballer Ferenc Puskás fast Weltmeister geworden wäre, ging es für Ungarn fußballerisch stetig bergab, parallel zum lähmenden politischen und gesellschaftlichen Stillstand nach der blutigen Niederschlagung der Revolution von 1956. Doch nun scheint Ungarn auf die internationale Fußballbühne zurückzukehren. Nach 44 Jahren nahm das Land erstmals wieder an einer Fußball-Europameisterschaft teil. Mehr noch: Ungarns Auswahl schaffte es eine der größten Überraschungen der Vorrunde zu werden.

Dabei kommt die Renaissance des ungarischen Fußballs nicht unerwartet. In kaum einem europäischen Land wird der Fußball derzeit staatlich so sehr gefördert wie in Ungarn. Ausdruck dafür ist der Bau Dutzender Fußballstadien. Budapest wird 2020 einer der Austragungsorte der Europameisterschaft sein, dafür wird derzeit das ehemalige "Volksstadion" umgebaut. Geschätzte Kosten: 320 Millionen Euro. Auch der Nachwuchs wird mit der Gründung diverser Fußballakademien systematisch hochgepäppelt.

Fußballfan seit der Kindheit

Verantwortlich für das Fußball-Konjunkturprogramm ist Ungarns starker Mann, der Ministerpräsident Viktor Orbán, dessen Fußballbegeisterung jeder in Ungarn seit langem kennt. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2010 sind im Staatshaushalt jährlich dreistellige Millionensummen für Sportförderung vorgesehen, ein Großteil geht in den Fußball. Ein von Orbán initiiertes Gesetz ermöglicht es Firmen seit 2011, durch finanzielle Zuwendungen für "sehenswürdige Gruppensportarten" Körperschaftssteuern zu sparen.

Die Fußballbegeisterung des ungarischen Regierungschefs reicht zurück bis in seine frühe Kindheit. Er wuchs in einem winzigen nordwestungarischen Dorf auf, in bescheidenen Verhältnissen. Fußball war für Orbán die Möglichkeit, der familiären Enge und der Bedürftigkeit zu entkommen. Orbán spielte sogar noch während seiner ersten Amtszeit als Regierungschef von 1998 bis 2002 in der Fußballmannschaft seines Heimatdorfes -und trainierte eisern.

Das hat er inzwischen aufgegeben. Doch fußballbegeistert ist er noch immer. Morgens liest er als erstes ausführlich die ungarische Sportzeitung Nemzeti Sport (Nationaler Sport). Dem Ex-UEFA-Präsidenten Michel Platini sagte er einmal scherzhaft, er arbeite eigentlich für den Fußball, Politik mache er nur in der Freizeit. Eine seiner Maximen lautet: "Sport lehrt, unter fairen Bedingungen zu gewinnen und mit erhobenem Haupt zu verlieren. Wer das kann, der hat die größten Lebensfragen schon beantwortet."

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