Eine späte Vergeltung?

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Der Bildband zur rechten Zeit: Salvador Allendes Ende, seine Mörder und deren Chef.

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Der Bildband zur rechten Zeit: Salvador Allendes Ende, seine Mörder und deren Chef.

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Am 11. September 1973 bombardieren und stürmen die chilenischen Putschisten in Santiago den Präsidentenpalast La Moneda. Präsident Salvador Allende nimmt sich im brennenden Gebäude das Leben. 25 Jahre später wird Augusto Pinochet, die herausragende Figur unter Allendes Mördern, in einem Londoner Krankenhaus festgenommen. Spanien fordert die Auslieferung und will ihn unter Mordanklage stellen, da sich unter seinen Opfern spanische Staatsbürger befanden. Kommt es nun zur späten Vergeltung?

In Chile wird für und gegen Pinochet demonstriert. Von der menschlichen Situation des alten Mannes und seiner Familie ist jetzt plötzlich viel die Rede. In einer Diskussionssendung im spanischen Radio rief vor wenigen Tagen eine Hörerin an und fragte, wer denn an die menschliche Situation der Mütter, Ehepartner und sonstigen Angehörigen denke, die man über das Schicksal ihrer unter Pinochet ermordeten Angehörigen auch heute noch im unklaren lasse.

Der Fotoband "Salvador Allende - das Ende einer Ära" des Berliner Aufbau-Verlages erschien also genau zum richtigen Zeitpunkt. Wer zu jung ist, um den Putsch der chilenischen Obristen und Generäle bereits bewußt mitbekommen zu haben, findet hier, was er wissen muß, um sich ein Urteil darüber zu bilden. Wer ihn als Zeitgenosse erlebte, kann all das nachlesen, was in der Erinnerung verblaßt ist. Denn die Regierung Allende hat seit dessen Wahl zum Präsidenten am 4. September 1970 auch hierzulande die Meinungen polarisiert. 1968 lag damals gerade zwei Jahre zurück. Allende und Chile wurden zu Hoffnungsträgern der Linken.

Die Feststellung, daß die von zwei in Deutschland lebenden lateinamerikanischen Autoren herausgegebene "visuelle Erzählung" das Notwendige für eine eigene Willensbildung liefere, bedeutet keine "neutrale" Darstellung. Ähnlich wie dann, wenn von der Nazizeit die Rede ist, wird auch bei der Behandlung der jüngsten Geschichte Chiles eine korrekte Wiedergabe der Fakten gerne mit Parteinahme verwechselt. Das braucht uns nicht zu wundern, denn dies ist stets dann der Fall, wenn die nackten Fakten "für sich", das heißt massiv gegen eine der polarisierten Positionen sprechen. Aus diesem Grund verdächtigen die Verharmloser der Nazizeit die Zeitgeschichte als parteiisch. Beim Thema Chile läuft es ähnlich.

Salvador Allende, der am 26. Juni 90 Jahre alt geworden wäre, wurde von den Wählern einer linken Volksfront an die Macht gebracht und stand für einen sozialistischen Weg, für Chiles "linkes Experiment". Die Polarisierung der Meinungen darüber ist legitim. Auch jede demokratische Opposition gegen diesen Weg war legitim. Hingegen ist es keine Meinungssache, sondern historisches Faktum, daß sich Allende als gewählter Präsident als lupenreiner Demokrat erwies, daß er bis zuletzt die demokratischen Spielregeln beachtete, daß er all jene Kräfte in seiner Volksfront, welche die demokratischen Spielregeln nicht beachten und den linken Weg mit verfassungswidriger Gewalt weitergehen wollten, im Zaume hielt.

Chile war und blieb das einzige Land, in dem die sozialistische Transformation der Gesellschaft auf konsequent demokratische Weise versucht wurde. Nicht Salvador Allende und nicht seine Volksfront, sondern seine konservativen Feinde haben, mit Unterstützung der amerikanischen CIA, den demokratischen Weg verlassen. Daran muß immer wieder erinnert werden. Rechte Militärs, an ihrer Spitze Pinochet, haben gegen eine Regierung geputscht, die nicht nur verfassungsmäßig gewählt worden war, sondern sich auch stets verfassungsmäßig verhalten hatte, und sie haben Massenmorde schrecklichster Sorte verübt.

Das ist Geschichte. Doch welches Schicksal gebührt Pinochet? Um sich auch darüber eine Meinung zu bilden, muß man wissen, welches tiefe persönliche Vertrauen Allende diesem Augusto Pinochet entgegengebracht hat. Dieses Vertrauen ging noch viel tiefer, als es die beiden Buchautoren darstellen. Pinochet war kein deklarierter Feind Allendes, sondern Freund, Verräter, Mörder. Er wiegte ihn in Sicherheit. Auch du, mein Sohn Brutus, mag Allende in seinen letzten Minuten gedacht haben.

SALVADOR ALLENDE - DAS ENDE EINER ÄRA Herausgeber: Fernando D. Garcia, Oscar Sola; Vorwort: Isabel Allende Aufbau Verlag, Berlin 1998 224 Seiten, viele Fotos, Pb., öS 364,-

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