Gerechte unter allen Völkern

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Walter Homolka eröffnet den FURCHE-Religionsdialog: Das Judentum hat einen Weg entwickelt, wie Menschen, die verschiedenen Glaubensrichtungen und Religionen angehören, in Frieden zusammenleben können.

Der offene Dialog zwischen Juden- und Christentum ist das Ergebnis eines langen und schmerzhaften Prozesses. Erst musste die Trennung von Staat und Kirche und damit die Gleichberechtigung aller Religionen erreicht werden, um sich auf gleicher Augenhöhe zu treffen.

Aus dem Unvermögen der Kirchen, die christliche Ethik dem Unrechtsregime im Dritten Reich wirksam entgegenzusetzen und die jüdischen Brüder und Schwestern vor der Ermordung zu schützen, ergab sich nach dem Zweiten Weltkrieg ein Ansatz für ein neues Miteinander von Christen und Juden. In den letzten Jahrzehnten haben sich gute Beziehungen zu den christlichen Kirchen entwickelt. Judentum und Islam sind ebenfalls auf vielfältige Weise verbunden.

Aber letztlich hat erst das Trauma des Holocaust den nötigen Bruch der Kirchen mit ihrer Vorstellung von der Absolutheit des Christentums herbeigeführt. Diese Art von Wahrheitsanspruch sollte aus der Erfahrung des ethischen Scheiterns endgültig der Vergangenheit angehören.

Nicht die einzige Wahrheit

Das Judentum hat über die Jahrhunderte zu einer Zwei-Wege-Lehre gefunden, die der Erwählung Israels und seiner Entscheidung für die Tora Gottes eine legitime Alternative an die Seite stellt: den Gerechten der Völker. Die Erkenntnis, dass die eigene Position nicht die einzige Wahrheit sein muss, die Gott zulassen kann, ist für das Judentum kein Problem. Es bildet die Basis für ein entspanntes Miteinander der Religionen.

Die Vision einer solch universalen Verbundenheit wird in der rabbinischen Literatur bekräftigt. So heißt es im Midrasch Tanhuma: "Zum Laubhüttenfest opferten die Israeliten siebzig Ochsen für die siebzig Nationen der Erde." Im Opferkult Israels waren also alle - auch die fremden Völker - mitgedacht und mitbedacht.

Das rabbinische Judentum fordert vom Nichtjuden, der mit Juden in einem Gemeinwesen zusammenleben möchte, nicht den Übertritt zur herrschenden Religion, nicht den Glauben an den Gott Israels, nicht die Unterwerfung unter die 613 Ver- und Gebote der Tora. Es fordert lediglich die Einhaltung der Gebote, die traditionell verbunden werden mit dem Bund Gottes mit Noach in der Sintfluterzählung, und die daher "noachidische Gebote" heißen. Dem Anderen wird seine Identität nicht genommen, er wird gerecht durch die vernunftmäßige Erkenntnis einer universalen Moral, die alle Menschen verbindet und aus dem Fremdling den Nächsten macht.

In den noachidischen Geboten liegt nach jüdischer Auffassung das Heil aller Völker begründet. Damit besitzt die jüdische Tradition also ein Fundament für die Offenheit gegenüber der Anerkennung des Anderen als eines Anderen.

Das verweist auf die Überzeugung des Judentums, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, Anteil an der kommenden Welt und Wohlgefallen vor Gottes Angesicht zu erhalten.

Der Fremdling, der im Judentum als "Sohn Noachs" betrachtet wird, ist dabei ganz genauso Geschöpf Gottes wie der Jude selbst. Durch die noachidischen Gebote als allgemeine Möglichkeit, vor Gott Gerechtigkeit zu erlangen, wird aus dem theologischen Begriff des Menschen als Geschöpf Gottes der politische Begriff des Mitmenschen, des Mitbürgers.

Damit tritt die Idee der "Frommen der Völker der Welt" in eine interessante Spannung zur jüdischen Anschauung, dass Israel das auserwählte Volk ist. Diese Erwählung kann so erkannt werden als das, was sie ist: Die Auswahl für eine bestimmte Aufgabe und Funktion im Verhältnis mit Gott führt keineswegs dazu, dass andere Menschen nicht ebenso fromm gegenüber Gott leben und ihm gegenüber Gerechtigkeit erlangen könnten.

Gebote, die Noach gegeben wurden

Doch um welche Normen handelt es sich überhaupt? In der rabbinischen Tradition schwankt die Frage nach der Anzahl zwischen eins und dreißig. Doch schon bald entwickelte sich die übereinstimmende Vorstellung, dass die Zahl dieser Gebote sieben sei. Sechs der sieben Gebote seien schon Adam gegeben worden, das siebte Noach (Gen 9,1-6), was ihren universellen Charakter eher noch unterstreicht.

Der jüdische Religionsphilosoph Hermann Cohen (1842-1918) hat das so zusammengefasst: "Sechs Gebote wurden Adam mitgeteilt: a) das Verbot des Götzendienstes, b) das Verbot Gott zu lästern, c) das Verbot Blut zu vergießen, d) das Verbot der Blutschande, e) das Verbot des Raubes, f) das Gebot der Gerichtsbarkeit … dem Noach wurde noch das Verbot, Glieder von lebendigen Tieren zum Essen wegzuschneiden, hinzugesetzt … folglich sind es zusammen sieben Gebote."

Cohen erläutert weiter: "… als Noachide wird er [der, Fremdling'] nicht an das Gesetz Moses gebunden, sondern nur an sieben Vorschriften, die, sieben Gebote der Söhne Noachs' … Und diese sieben Vorschriften sind lediglich sittlichen Charakters … Der Glaube an den jüdischen Gott wird nicht gefordert."

Erkenntniswege zu Gott

Nach jüdischer Tradition wurden mit den noachidischen Regeln also in Bezug auf Gott (Verbot des Götzendienstes und der Gotteslästerung), den Mitmenschen (Verbot des Mordes, des Diebstahls, der sexuellen Promiskuität) und die Natur (Verbot der Tierquälerei) sowie die Gesellschaft (Gebot einer gerechten Gesellschaft mit gerechten Gesetzen) grundlegende Handlungsanweisungen für alle Menschen gesetzt.

Jeder Nichtjude, der diese einhält, so beschreiben es jüdische Quellen vom Talmud über Maimonides bis hin zu Moses Mendelssohn und Hermann Cohen, sei als ein Gerechter unter den Völkern anzusehen. Diese haben genau die gleiche geistige und moralische Stufe erreicht wie zur Zeit des Heiligtums in Jerusalem der Hohepriester im Tempel.

Die der jüdischen Religion wesentliche Vorstellung, dass alle Menschen Gottes Ebenbild sind, bedeutet für Juden wie Nichtjuden, dass beiden ein Erkenntnisweg zu Gott offensteht und beide die Möglichkeit besitzen, die Vernunft als Mittel zur ethischen Vollendung anzuwenden: zur Erreichung der Freiheit.

Der Autor ist Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs in Potsdam.

Weltethos aus den Quellen des Judentums

Von Hans Küng und Walter Homolka.

Verlag Herder, Freiburg 2008. 224 S., kt., € 17,40

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