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Cicero im Vatikan

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Rom, im Dezember Monsignore Antonio B a c c i ist der beamtete Latinist des Vatikans. Sein offizieller Titel ist etwas langatmig: Secretarius ab epistulis Ponti-ficis Maximi ad prineipes. Das heißt, er ist der Vorsteher jenes Amtes, in dem die an die ausländischen Staatsoberhäupter gerichteten Briefe des Papstes abgefaßt werden. Bacci ist ein bescheidener, liebenswürdiger und humorvoller Mann, man kann ihn nur aus seiner Ruhe bringen, wenn man etwa das Latein als tote Sprache bezeichnet.

Tot? Das Lateinische ist lebendiger als jede andere Sprache. Es hat eine größere kapillare Verbreitung als jede andere, das Englische inbegriffen. Wo immer es eine höhere Schule in der Welt gibt, wo immer ein katholischer Missionär seinen Fuß gesetzt hat, wird es verstanden, geschrieben, studiert. Seine Revue „Latinitas“ darf als einzige Zeitschrift der Erde den Ruhm in Anspruch nehmen, in allen Zonen Leser zu besitzen. Sie wird nach Yemen und Feuerland, nach Grönland und Bali verschickt. Das Lateinische ist niemals fertig und abgeschlossen. Es hält mit der Entwicklung unserer

Wissenschaft, Kultur und Zivilisation Schritt und erweitert täglich seinen Wortschatz.

Der interne Briefverkehr der Kirche wickelt sich in lateinischer Sprache ab, die lateinischen Enzykliken des Papstes befassen sich mit modernsten Sachgebieten, mit Film und Sport, mit neuen Ideologien und Wissenschaften. In ihrer Verlegenheit geeignete Ausdrücke zu finden, wenden sich die Uebersetzer an Monsignore Bacci um Rat. Aus solchem täglichen Bedürfnis heraus ist Baccis Lebenswerk entstanden, ein italienisch-lateinisches Wörterbuch, das allerdings ausschließlich moderne, neugeprägte oder schwierig zu übersetzende Ausdrücke enthält. Die Vorbereitung des Werkes hat ein Jahrzehnt in Anspruch genommen, aber einmal auf dem Büchermarkt, hat es in kürzester Zeit die dritte Auflage erreicht. Das jetzt nicht weniger als 10.000 neue termini umfassende Wörterbuch ist seit kurzem in allen römischen Buchhandlungen zu sehen.

Die gründliche Kenntnis des überlieferten Wortschatzes erwies sich als durchaus unzureichend, um das Ziel zu erreichen. Es bedurfte einer wahrhaft universalen Bildung, einer

gründlichen, profunden philosophischen Schulung und einer weitreichenden Spezialisierung auf allen technischen Gebieten, um den Gedankeninhalt eines neuen Wortes in möglichst kurzer, prägnanter Weise wiederzugeben. Ein kleines Beispiel: „Die soziale Funktion des Eigentums“ enthält drei Wortelemente, von denen jedes, aus dem Zusammenhang gelöst, leicht übersetzbar erscheint. Die richtige Ueber-setzung dieses Ausdrucks muß jedoch der wörtlichen Bedeutung weit ausweichen und ihren philosophischen Inhalt zu erfassen suchen. Bacci übersetzt daher „proprietatis munus in uni-versorum utilitatem“, worin also „sozial“ und „Funktion“, obwohl ursprünglich lateinische Wörter, vollkommen fehlen.

Wo immer es anging, wendete sich Bacci an den Wortschatz der lateinischen Klassiker. Wo diese stumm blieben, suchte er bei den Humanisten Rat. Wenn auch diese versagten, wendete er sich um Hilfe beim Griechischen, wie es schon Cicero empfohlen hat. Erst wenn jeder dieser Wege zu keinem Ziele führte, griff er zu eigener neuer Wortprägung. Einige dieser Neubildungen überraschen durch ihre Schönheit, Treffsicherheit und Einfachheit. Flugzeug ist für Bacci „velivolum“, was an den Begriff des Fliegens. volare, und an die Gestalt (velum — Segel für Tragfläche) denken läßt. „Hubschrauber“ ist dann ein „velivolum perpendiculum exsurgens“, oder kürzer „helicopterum“. Die Wasserstoffbombe heißt bei Bacci pyrobolus ab hydrogeno, das Radar radioelectricum instrumentum prae-ponens, Sozialisierung privatorum bonorum communitas. Wir finden die lateinischen Wörter für Luftschutz, Diplomatengepäck, Ueber-mensch, Schwarzmarkt, Fallschirmjäger, Agit-Prop, Sowjetisierung, Fußball, Existentialismus, Linotype usw. Hin und wieder freilich bleibt man zweifelnd vor einem Wort wie Nationalsozialismus, den Monsignore Bacci in dieser Weise umschreibt: imperiosum ac praepotens suae gentis amplificandae Studium. Es will uns erscheinen, daß das Wesen des Nationalsozialismus damit nicht ausgeschöpft ist. Aber dann erinnern wir uns, daß Bacci nicht Deutscher, sondern Italiener ist und ihm das Machtstreben als vorherrschender Zug erscheinen mußte.

Ein Blättern im Buche Baccis kann dem Vergnügen kulturgeschichtlicher Ausflüge gleichkommen, da der gewissenhafte Latinist vielfach die Wege andeutet, auf denen er zu seiner Uebersetzung gekommen ist. Der „Lift“ etwa ist eine durchaus moderne Einrichtung und war • dem alten Rom natürlich unbekannt. Beim Studium klassischer Texte (Seneca, Ep. 88, Juvenal, IV, 122, Vitruvius, X, I) stieß er jedoch auf die Bezeichnungen „anabathrum“ und „pegma“, Vorrichtungen, die als Aufzüge mit Handbetrieb angesehen werden können. Im Theater dienten sie dazu, die in der Rolle von Göttern auftretenden Schauspieler von oben plötzlich auf die Bühne herunterzulassen („deus ex machina“) oder sie in die Höhe zu entführen. Sklaven drehten die Handkurbeln mit den Schleifen, die die Aufzüge bewegten. „Lift“ ist also anabathrum electricum. „Klavier“ machte Bacci besondere Schwierigkeiten. Die Humanisten kannten das Clavicymbalum, aber Clavicembalo ist ein Begriff für sich. Weder das Cymbalum, noch das altrömische plectrum, mit dem die Saiteninstrumente angeschlagen wurden, werden für sich dem Terminus Klavier gerecht, zusammen aber umschreiben sie recht gut das technische Prinzip des Klaviers: plectrocymbalum. „Zentralheizung“ läßt an das hypocaustum der römischen Villen denken, das jedoch eine unterirdische Heizanlage war. Bacci schlägt calefacientis aquae duetus, die Neuschöpfung caleductus oder das griechische Wort thermosyphon vor. Mit schmunzelndem Erstaunen erfahren war, daß das Bidet keineswegs eine moderne hygienische Einrichtung ist, sondern auch im Altertum wohlbekannt. Es hieß damals mannus, was soviel wie kleines Pferd bedeutet. Plinius empfiehlt in seinen Briefen: „Sorge dafür, daß im Bad oder in der Latrine das mannus nicht fehle; es ist wirklich notwendig und man soll nie vergessen, es auch zu gebrauchen.“ Bidet heißt also hydraulicum mannus.

Daß Bacci auch eine humoristische Ader hat, beweist die liebevolle Aufmerksamkeit, die er dem italienischen Nationalgericht, der pasta asciutta, widmet, in allen ihren vielfältigen Erscheinungsformen, von denen zwei internationale Berühmtheit erlangt haben: Makkaroni — pasta tubulata, Spaghetti — pasta vermiculata .. *

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