Wadjda - © Filmladen

Haifaa Al Mansour: "Mein Land braucht Zeit für die Veränderung“

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"Das Mädchen Wadjda“: Ein Spielfilm aus einem Land, wo es keine Kinos gibt. Regisseurin Haifaa Al Mansour ist von Umwälzungen in Saudi-Arabien überzeugt.

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"Das Mädchen Wadjda“: Ein Spielfilm aus einem Land, wo es keine Kinos gibt. Regisseurin Haifaa Al Mansour ist von Umwälzungen in Saudi-Arabien überzeugt.

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Fahrradfahren ist Frauen verboten. Kinos gibt es in Saudi-Arabien auch nicht. Haifaa Al Mansour, 38, hat nun den ersten saudischen Spielfilm gedreht. Die Regisseurin will mit "Das Mädchen Wadjda“ Veränderung anstoßen.

DIE FURCHE: "Das Mädchen Wadjda“ erzählt von einem mutigen, frechen Kind. Waren Sie auch so?
Haifaa Al Mansour: Ich war viel schüchterner, aber das Umfeld, in dem dieser Film spielt, ist ganz ähnlich meiner Herkunft. Ich bin von zwölf Kindern die Nummer acht, meine Eltern legen großen Wert auf Traditionen, aber sie haben uns immer unterstützt: Wir sind auch ins Ausland gereist, und mir war nie etwas verboten, nur weil ich ein Mädchen bin. Außerhalb meiner Familie war ich aber mit einer völlig anderen Ordnung konfrontiert: Ich sollte Dinge auf eine bestimmte Weise tun, mich besonders kleiden usw. In meiner Familie kann ich sein, wie ich will, aber viele meiner Mitschülerinnen hatten diese Gelegenheit nie.

DIE FURCHE: Sie sind in Saudi-Arabien eine prominente, auch kontroversielle Person. Wie geht Ihre Familie damit um?
Mansour: Vor allem meine Mutter ist unglaublich stolz, alle rufen an, wenn ich im Fernsehen bin. Aber Saudi-Arabien ist sehr konservativ. Ich versuche zwar, bei meiner Arbeit respektvoll zu sein, aber viele mögen es nicht, dass da eine Frau Filme über Frauenrechte macht. Die meinen, Frauen sollten daheim bleiben und sich verschleiern. Es gibt diese Leute - aber es gibt auch viele Menschen, die die Frauen freier sehen wollen.

DIE FURCHE: Kinos sind in Saudi-Arabien verboten. Findet Ihr Film trotzdem sein Publikum?
Mansour: Wir werden ihn auf DVD und im Fernsehen herausbringen, die Saudis sind sehr interessiert, Filme über das eigene Land zu sehen. Es ist zwar schade, dass es keine Kinos gibt, aber es gibt eine immer größere Bühne für Frauen und auch für die Kunst. Zwar können wir uns nur innerhalb bestimmter Grenzen ausdrücken, aber es ist wichtig, dass wir trotzdem Filme drehen und Bücher schreiben und Dinge tun, die die Debatte weiterbringen - gerade an einem so konservativen Ort.

DIE FURCHE: Saudi-Arabien ist sehr jung, ein Viertel der Bevölkerung ist unter 30. Ist diese Generation nicht hungrig nach mehr Freiheit - und wenn es nur Kinos sind?
Mansour: Ja, absolut, sie wollen Veränderung, sie sind ja auch anders aufgewachsen als früher: Sie hatten von Beginn an via Internet Zugang zu immenser Informationsvielfalt. Ich bin überzeugt, in naher Zukunft wird es große Umwälzungen geben. Wir werden sehen, was passiert, wenn die Wadjdas das Land führen - denn eines Tages werden sie das tun. Viele Mädchen bekommen Stipendien und gehen nach Amerika oder Europa, um zu studieren, und sie kommen voller Ideen zurück. Je mehr die jungen Leute die Welt kennenlernen, desto mehr wird sich ändern, auch wenn es Zeit braucht. Oft ist es gefährlich zu glauben, dass eine Veränderung über Nacht passieren kann, und dass nach einer Revolution die Dinge wirklich besser sind …

DIE FURCHE: … wie nach dem Arabischen Frühling?
Mansour: Ja. Ich finde es wichtig, den Menschen die Gelegenheit dazu zu geben, Veränderungen auch wirklich fassen zu können. Die geistige Haltung zu ändern ist wichtiger als gewaltsam einen Machtwechsel zu erzwingen. Ich halte es für notwendig, die Menschen entsprechend auszubilden und ihnen die Möglichkeit zu geben, die Welt wirklich zu verstehen. Veränderung ist ein schmerzhafter Prozess, die Menschen sind unsicher dabei. Sie müssen die Chance haben, beim Annehmen neuer Lebensstile ihr eigenes Tempo zu finden.

DIE FURCHE: Bei der Arbeit an "Das Mädchen Wadjda“ konnten Sie trotz Genehmigung nicht frei auf der Straße Regie führen. Warum können Sie als Frau nicht in der Öffentlichkeit arbeiten?
Mansour: Es ist ein sozialer Verhaltenscode, wie bei vielem in Saudi-Arabien, was Frauen betrifft. Es gibt kein Gesetz dagegen, als Frau mit dem Auto oder mit dem Rad zu fahren, es ist eine soziale Regel, an die sich alle halten.

DIE FURCHE: Was passiert, wenn Sie mit dem Auto unterwegs sind?
Mansour:
Die Polizei würde mich aufhalten und verwarnen. Obwohl es kein schriftliches Gesetz ist, gilt das als inakzeptable Übertretung der traditionellen Regeln. Saudi-Arabien hat eine sehr starke Stammeskultur. Da geht es um das Kollektiv, und dagegen kann man sich als einzelne nicht ohne weiteres stellen. Das mag seltsam wirken, weil es anderswo nicht üblich ist, aber in Saudi-Arabien ist es nicht nur ein Problem, ein Gesetz zu übertreten, sondern auch ein bestimmtes Konzept zu verletzen.

DIE FURCHE: Dennoch sagen Sie, Ihr Land öffnet sich!?
Mansour: In den letzten Jahren hat sich so viel geändert! Seit September 2012 sind zwölf Frauen im Schura-Rat (der obersten, allerdings nur beratenden Volksvertretung, Anm.). Bei den Olympischen Spielen im Vorjahr haben erstmals Sportlerinnen teilgenommen. Die offiziellen Stellen versuchen, Frauen in öffentliche Positionen zu holen, aber die saudische Gesellschaft ist in ihrem Herzen sehr konservativ, noch lehnen die Menschen das ab. Seit ein paar Jahren gibt es auch für Frauen den Personalausweis, früher wurde der nur an Männer ausgegeben. Zu Anfang holten sich aber nur die Gebildeten den Ausweis, Frauen aus der Elite. Die meisten ließen es bleiben, weil sie nicht fotografiert werden wollten. Jetzt sind sie dazu gezwungen, weil sie ohne den Ausweis nicht einmal ein Bankkonto eröffnen können - jetzt kleben sich diese Frauen auf das Ausweisfoto einen Sticker. Es ist absurd, sie möchten ihr Gesicht nicht unbedeckt lassen, lieber kleben sie einen Schmetterling oder Micky Maus aufs Passfoto.

DIE FURCHE: Aus traditionellen oder aus religiösen Gründen? Lässt sich das unterscheiden?
Mansour: Religion, Tradition, Erziehung - das ist alles miteinander verwoben. Aber die Leute ändern sich ganz allmählich. Deswegen wollte ich unbedingt einen Film machen: Es ist einfach, im Nahen Osten einen Film zu machen, in dem es um Opfer geht, um traurige Menschen und unterdrückte Frauen, denn die Lage ist ja tatsächlich schwierig. Aber ich will kein Mitleid, ich will lieber Bewunderung für dieses Mädchen, und die Zuversicht, dass die aktuelle Situation überwindbar ist.

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