Werbung
Werbung
Werbung

Antike Tragödie als Gospel bei den Festwochen.

So etwas hat die Gustav Adolf Kirche noch nicht erlebt: eine griechische Tragödie in Form eines afroamerikanischen Gottesdienstes. Mit "The Gospel at Colonus" brachten die Wiener Festwochen ein in jeder Hinsicht beeindruckendes Schauspiel in das evangelische Gotteshaus in Wien-Gumpendorf. Die Zuschauer, von denen einige ein gewöhnliches Gospel-Konzert erwartet hatten, fanden sich in einem bunten Spektakel wieder, das einem authentischen Gottesdienst einer afroamerikanischen Gemeinde sehr nahe kam - obwohl die zugrunde liegende Geschichte keine biblische war, sondern Sophokles' klassisches Drama "Ödipus auf Kolonos".

Ein waschechter Bischof (Carl Williams Jr.) und ein mitreißend predigender Reverend (Earl F. Miller) wurden aufgeboten, um das letzte Kapitel im Leben des Ödipus so lebendig zu darzustellen, wie Bibelgeschichten bei einem afroamerikanischen Gottesdienst erzählt werden. Dazu sangen im typischen, an Blues-und Jazzeinflüssen reichen Gospel-Stil - inbrünstiger und reich verzierter Gesang, Wechselgesänge ("Call & Response") - unter anderen die "Blind Boys of Alabama" mit Clarence Fountain (Bild), die "Soul Stirrers" sowie Jevetta Steele; für Gospel-Kenner sind das klingende Namen.

Dem (weißen) amerikanischen Regisseur Lee Breuer ist mit "The Gospel at Colonus" von nunmehr 23 Jahren eine faszinierende Zusammenführung zweier scheinbar so unterschiedlicher theatralischer Welten gelungen, die von Anfang an funktioniert. Die soulige Musik von Bob Telson (ebenfalls weiß), der selbst am Klavier saß, ist im richtigen Maß zeitgenössisch arrangiert und lässt erahnen, wie viel Gospel zur Entstehung schwarzer Popmusik beigetragen hat. Michael Kraßnitzer

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung