Tierische Übergänge zur Wirklichkeit

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In ihren Installationen entwickelt die Künstlerin Maaria Wirkkala die örtlichen Gegebenheiten eines ehemaligen Klosters zu neuen Erlebnisräumen weiter.

Es gibt keine Grenzen, es gibt nur Übergänge. Es gibt keine scharfkantigen Markierungslinien, sondern nur ein sanftes Verblassen des einen bei gleichzeitiger Zunahme eines anderen innerhalb eines Überschneidungsbereiches. Der Rest sind willkürlich gesetzte Hilfestellungen für die menschlichen Schwindsüchte des Alltags. So ähnlich könnte ein Zugang zur Wirklichkeit aussehen, der Aussicht auf eine Ankunft in derselben hätte. Zumindest legen dies die raumgreifenden Arbeiten von Maaria Wirkkala nahe, die derzeit im Kulturzentrum bei den Minoriten in Graz unter dem Titel "Sharing“ zu sehen sind.

Leiter aus Glas als Metapher

Die 1954 geborene finnische Künstlerin präsentiert dabei Installationen, die die örtlichen Gegebenheiten des ehemaligen Klosters zu neuen Erlebnisräumen weiterentwickeln. Neun unterschiedliche Einzelarbeiten verdichten auf je eigene Art einige Möglichkeiten von Übergängen zu jeweils geschlossenen Ensembles, denen es trotzdem nicht an Querverweisen untereinander mangelt. So balancieren bereits im Hof, auf einem von den vergitterten Fenstern des ersten Stocks in die Ausstellungsräume hinauf gespannten Seil, Tiere und rufen den Eintretenden mit dem Titel der Arbeit "SO WHAT“ - "Na und?“ - zu. Es sind Plastiktiere, aber beileibe kein Spielzeugzoo, eher Spaziergänger, aufgescheucht zu einer großen Wanderung. Schließlich erreicht die Karawane den Museumsbereich, drei Zebras blicken von einer alten Verstrebung, das Fenster hinter ihnen ist mit einer schwarzen Tapete verschlossen, von der in Golddruck eine Kinderzeichnung der Künstlerin leuchtet. "ESCAPE“ heißt hier der Titel, wiederum ohne Satzzeichen.

Im Nebenraum vollziehen drei stilisierte Kinderschaukeln ihr monotones Vor und Zurück, auf ihnen stehen halbvolle - oder halbleere? - Gläser, Prototypen, angefertigt vom Vater: DEPENDING ON, ein Arrangement in Abhängigkeit also, aber nicht nur freudianisch von der väterlichen Überfigur, ebenso im Sinne einer Beschreibung der Anordnung. Denn die monotonen Schaukeln erzeugen durch geschickte Über-Eck-Beleuchtung faszinierende Schattenspiele. Im Raum davor lehnt eine Leiter aus Glas, eine Übergangshilfe, die in ihrer Zerbrechlichkeit zur stärksten Metapher für unseren Weltzugang wird.

In der Videoinstallation "DREAM SCREEN/PRIME TIME“ wird das Konterfei der Betrachter in Echtzeit auf einen zentnerschweren Stein an der Wand übertragen, dieser Traumbildschirm sendet immer zur besten Zeit, nimmt gefangen, überwacht, kann aber nicht wie früher das Abbild in den Stein meißeln: Sobald man den Fokus der Kamera verlässt, kündigt sich rückstandslose Freiheit an. In der Doppelvideoprojektion "WAIT TO BE FETCHED“ werden die Betrachter in ähnlicher Weise ins Kunstwerk integriert. Die Videobilder zeigen in zarten Schwarz-Weiß-Tönen die Rundfahrt einer alten Kutsche.

Kleine, versteckte Irritation

Im Gang schwebt eine metallene Hängebrücke, am einen Ende der Brücke liegt eine aufgeschlagene Bibel, auf dem anderen ein Koran. Als Verbindung zwischen den beiden tummeln sich Tiere, wie man sie bereits aus der Hofsituation kennt. Beginnend bei den beiden Büchern wandern sie jeweils in lockeren Anordnungen auf die andere Seite zu, dazwischen gesellen sie sich zu kleinen Gruppen, um Austausch zu halten, vielleicht um Strategien zu besprechen. Ganz selten unterbrechen Raubtiere mit ihren Attacken den friedlichen Zug, man registriert dies als den Lauf der Welt. Dann aber passiert es: Beiläufig fährt ein Nashorn einem Zebra in der Manier eines Löwen an die Kehle. Nur eine kleine, versteckte Irritation, und das Kunstwerk hat den Übergang mitten in unsere Welt vollzogen.

Maaria Wirkkala: Sharing

Kulturzentrum bei den Minoriten

Mariahilferplatz 3/I, 8020 Graz

bis 22. 5., Di-Fr 10-17, Sa, So 11-16 Uhr

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