Verwirklichte Träume

Werbung
Werbung
Werbung

Nach der Marslandung des Wunder-"Sojourner" griff ich wieder einmal zu Goethes "Faust I", um sozusagen mit dem Faustischen näher und kompetent in Verbindung zu treten. Genau erinnere ich mich noch an die Gründgens-Inszenierung in Hamburg, als beim großen Monolog im Hintergrund der Atompilz plötzlich auf schaurige Weise sichtbar wurde. Gewiß, auch dorthin führt unser faustischer Drang, den wir eigentlich schon dem bös endenden Prometheus verdanken. Blättere ich nun im "Faust" wegen unserer friedlichen kosmischen Eroberungsversuche, so findet man bei Goethe schon allerlei Erstaunliches. Wenn Faust seinem Famulus ("Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht") antwortet: "O, ja, bis an die Sterne weit" - da verschwindet die Ironie ganz und gar. Ja, so weit haben wir es gebracht. Und wenn es vorher viel harmloser heißt: "Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht, den Himmel über mir und unter mir die Wellen, / Ein schöner Traum indessen sie entweicht. / Ach! Zu des Geistes Flügeln wird so leicht / Kein körperlicher Flügel sich gesellen." Nun, auch das ist heute kein Problem. Dieses Erlebnis hat jeder Beamte, der in der Früh nach Brüssel fliegt. "O daß kein Flügel mich vom Boden hebt", wie wir wissen, reine Routinesache. "Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein! Und trüg er mich in fremde Länder, / Mir sollt er um die köstlichsten Gewänder, / Nicht feil um einen Königsmantel sein." Im Reisebüro um die Ecke kann man jenes Papierchen ziemlich kostengünstig erwerben, das es uns ermöglicht, zum Land der Pyramiden oder der chinesischen Mauer zu fliegen, und zwar in kurzer Zeit, nonstop, komfortabel und mit exzellentem Menü. Statt des Gesangs der Geister steht der CD-Player zur Verfügung, der von Gregorianik über Palestrina bis zu Ernst Krenek natürlich sakrale Musik und ebenso hedonistisches Rokoko in Vollendung spendet. Als objektiver Leser von Goethes Faust muß man heute feststellen: Der arme Mann, wenn er jetzt lebte, könnte er sich seine sehnlichen Wünsche glatt sparen, denn das alles gibt es ja schon. Sogar zu Auerbachs Keller kommt er rasch, wohl auch übers Internet, und die Walpurgisnacht - was ahnte damals der arglose Faust! Famulus Wagner hatte schon recht, zumindest für später: "Wir haben es herrlich weit gebracht." Nur, was fangen wir damit an? Wir demonstrieren die Tragödie der erfüllten Wünsche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung