Vom Unbehagen in dieser Welt

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Jan Bosse inszeniert Georg Büchners "Dantons Tod" sehr konzentriert, dicht und mit heutiger Lesart. Dabei bedient er sich jedoch nicht bei aktuellen Ereignissen wie dem Arabischen Frühling oder Maidan.

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Jan Bosse inszeniert Georg Büchners "Dantons Tod" sehr konzentriert, dicht und mit heutiger Lesart. Dabei bedient er sich jedoch nicht bei aktuellen Ereignissen wie dem Arabischen Frühling oder Maidan.

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Wenn sich der eiserne Vorhang im Burgtheater zur Premiere von Georg Büchners sprachgewaltigem Revolutionsdrama "Dantons Tod" hebt, ist sein tragischer Held Danton schon beinahe am Ende. Im bunten Kimono kauert der wunderbare Joachim Meyerhoff nahe an der Rampe über einen Kübel und weißelt sich Körper und Schädel. "Ich mag nicht mehr", sind seine ersten Worte. Da ist er längst nicht mehr der energische, Frauen und gutes Essen gleichermaßen verzehrende Genussmensch und auch nicht mehr der lässig leichtfertige Phrasen dreschende Justizminister der noch jungen Republik. Ein untot Toter ist er da, gelähmt angesichts des Terrors, müde vom undurchschaubaren Lauf der Geschichte.

"Lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen", sagt er später einmal. Statt politisch handelndes Subjekt ist er nunmehr ein von Selbstzweifeln zermarterter, vergrübelter Visionär, ein von existenzialistischen Heimsuchungen Geplagter. Nur einmal noch wird er den Morgenmantel ablegen und seine Jakobinerkleidung überziehen, sie vollstopfen mit einigen der zahllosen Kleidungsstücken, die den Bühnenboden übersäen, ein an Christian Boltanski Inventar-Installationen erinnerndes Zeichen, das einerseits für das Volk und andererseits für die gemordeten Opfer der Revolution stehen mag. Aber seine große Verteidigungsrede wird nichts nützen, die Zeit verliert ihn, der Täter wird zum Opfer, die Revolution frisst ihre Kinder.

Das Drama des Individuums

Stéphane Laimé hat ein mehrstöckiges schwarzes Gerüst in Form eines Heptagons auf die Drehbühne gestellt, das verschiedene Schauplätze aus dem Drama zitiert und andere sprechende Gegenstände versammelt: eine Uhr, eine Weltkugel, ein Archiv. Es ist der Ort des Robespierre, den Michael Maertens als personifizierte Banalität des Bösen spielt. Stets sanft von Tugend fistelnd, erinnert er mit Pagenschnitt und bis obenhin zugeknöpfter schwarzer Bluse an eine viktorianische Handarbeitslehrerin. Im Zentrum ragt das hohe Schafott empor, auf dem am Ende Danton und seine Getreuen den Kopf verlieren. Unablässig dreht sich diese Bühne, die so zum Protagonisten wird. Danton gehört schon nicht mehr zu dieser Welt, kaum einmal betritt er sie, sondern befindet sich stets davor und Regisseur Jan Bosse lässt ihn ganz buchstäblich gegen diese Welt anrennen. Mehr noch als sich mit dieser aufwändigen Bühnenlösung Büchners Montageprinzip mit den häufig ganz kurzen Szenen und wechselnden Schauplätzen elegant bewältigen lässt, ist in diesem Bild vielleicht das Motiv zu erkennen, das Büchners Text für Bosse hat wichtig werden lassen.

Büchner war 21, als er "Dantons Tod" schrieb und wurde in Hessen wegen "staatsverräterischer Handlungen" steckbrieflich gesucht. Aus eigener Anschauung erkannte er den romantisch verklärten Gestus der Revolution, der viel mehr mit Posen, mit Theater und wenig mit der realen Revolution und den Menschen zu tun hatte. So schildert er in seinem 1834 geschriebenen Drama einerseits den Prozess der Revolution, interessiert sich aber im Grunde fast mehr für das Drama des Individuums Danton. Darin besteht auch die Schwierigkeit dieses Dramas, von ungebrochener Modernität und immenser poetischer Kraft: es hat wenig Handlung, dafür wird viel gesprochen über Liebe, Frauen, Religion, Gewalt und Tod, aber auch über Sünde, Schuld und das Gewissen.

Dantons Unbehagen

Bosse kürzt den Text und ergänzt ihn durch Briefstellen und Passagen aus dem "Woyzeck", um das Dilemma in den Fokus zu rücken, das privates Glücksverlangen immer wieder gegen politische Utopien stellt. Und aus diesem Grund gibt es keine Hoffnung auf die soziale Revolution, von der Robespierre spricht. Denn alle anfangs anständigen Gründe für eine revolutionäre Veränderung münden unweigerlich in Verbrechen bis zu dem Punkt, wo sie sich unkontrolliert verselbstständigen. "Die Revolution hat uns gemacht, nicht wir die Revolution", sagt Danton einmal. Mehr als um die Frage aber nach der Un-Möglichkeit, den skandalösen Gegensatz von arm und reich (das Büchner hellsichtig als das einzig revolutionäre Moment erkannte!) in eine soziale Revolte zu führen, interessiert sich Bosse für das Unbehagen des In-der-Welt-Seins des Menschen Danton. Danton ist sich fremd als Mensch, als Puppe fühlt er sich noch kurz vor seinem Ende "von unbekannten Gewalten am Draht gezogen". Und darin vermag er nicht Gott zu erkennen, denn was wäre das dann, was "in uns hurt, lügt, stiehlt und mordet?"

"Gott ist tot", ruft Danton einmal und in diesem Moment lässt Jan Bosse eine Kinderschar unter Protest die Bühne stürmen. Ein irritierender Einfall, in dem aber vielleicht auch eine Botschaft für zukünftige Veränderungen steckt: Es gibt keine Revolte ohne Volk und ein Reich der Freiheit ist ohne gute Sitten nicht zu haben, die zu festigen aber ist ohne einen Glauben auch nicht möglich. Vielleicht, denn in der Welt sein heißt im Unklaren sein. Und so zeigt diese stimmige, subtile Inszenierung, dass sie ein feines Ohr hat für die existentiellen Fragen, die Büchner im "Danton" aufwirft, auf die letztlich aber auch er selbst keine Antwort wusste.

Dantons Tod

Burgtheater: 31. Oktober, 4., 7., 10., 16., 19. November, 6., 26. Dezember

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