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Hoffiiung hat einen Namen

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Die heuer ihr 75-JahrJubiläum feiernde Schwe- sterngemeinschaft Caritas Socialis ist ohne ihre geniale Gründerin Hildegard Burjan nicht denkbar.

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Die heuer ihr 75-JahrJubiläum feiernde Schwe- sterngemeinschaft Caritas Socialis ist ohne ihre geniale Gründerin Hildegard Burjan nicht denkbar.

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Als am 4. Oktober 1919 zehn Mitglieder des damaligen Vereines Caritas Socialis vor dem Wiener Fürsterzbischof Kardinal Friedrich Gustav Piffl in einer kirchlichen Feier ihre Bereitschaft bekundeten, im Sinne der evangelischen Räte ein gemeinsames Leben zu führen und sich einer Leitung zu unterstellen, nahm die gleichnamige Schwesterngemein- schaft offiziell ihren Anfang. Gründerin dieser Frauenvereinigung mit sozialer Zielrichtung war keine geringere als die damals einzige christ- lichsozialö Abgeordnete und Vertreterin der katholischen Arbeiterinnen in der Konstituierenden Nationalversammlung Deutschösterreichs, Dr. Hildegard Burjan (1883-1933).

Die aus Preußisch-Schlesien stammende, zum katholischen Glauben konvertierte Jüdin wurde mit der Gründung von Vereinen und der Organisation der Heimarbeiterinnen und weiblichen Berufstätigen vor und während des Ersten Weltkrieges zur’ markanten Vorkämpferin und „Führerin“ der katholischen Arbeiterinnenbewegung. Ihre sozialpolitischen Forderungen zur Verbesserung der Lage der erwerbstätigen Frauen, wie umfassender Arbeiterinnenschutz, Fürsorgeeinrichtungen für Kinder erwerbstätiger Frauen, obligatorische Arbeitslosenunterstützung, gleiche Entlohnung für Frauen und Vermeidung von Massenentlassungen durch Streckung der Arbeit haben an Aktualität nichts eingebüßt.

Durch ihre Mitwirkung am Ausbau der Sozialgesetzgebung zählt Hildegard Burjan, die als erste katholische Politikerin in die obersten Gremien der christlichsozialen Partei gewählt wurde, zu den bedeutendsten Sozialpolitikem der Ersten Republik. So finden sich in Hildegard Burjans parlamentarischen Anträgen die ersten Anklänge eines Karenzurlaubes, die vieldiskutierte „Behaltefrist“, die Forderung nach Errichtung von Ent- bindungs- und Säuglingsheimen, die Erweiterung der Frauen- und Berufsausbildung nach der praktisch-wirt schaftlichen Seite, die Gleichberechtigung der Geschlechter in den öffentlichen Ämtern und die staatliche Subventionierung für private soziale Fürsorgeeinrichtungen. Auf ihre Initiative hin wurde 1920 das Hausgehilfengesetz, der erste gesetzliche Schutzbrief dieses Berufsstandes, verabschiedet. Wegen des keimenden Antisemitismus innerhalb des christlichsozialen Lagers und um dem aufstrebenden Führer der Christlichsozialen Partei, ihrem Wegbegleiter Ignaz Seipel, dem sie erstmals 1917 auf einer katholischen Frauentagung begegnete, nicht zu schaden, zog sich Hildegard Burjan nach nur 17 Monaten aus der aktiven Politik zurück.

AUCH HEUTE NOCH PIONIERHAFT

Ihr Abschied aus dem öffentlichen politischen Leben bedeutete gleichzeitig die intensive Hinwendung zu ihrem Lebenswerk Caritas Socialis, das sie gegen Ende des Ersten Weltkrieges zusammen mit Ignaz Seipel und dem Diözesanpräses der Katholischen Arbeiterinnenvereine, Monsignore August Schaurhofer, ins Leben rief. Während der Verein, der die führenden Mitglieder beinahe aller großen katholischen Wiener Frauenvereinigungen umfaßte, als das gemeinsame Werk dieser drei Gründerpersonen angesehen werden kann, ist die 1919 daraus entstandene Schwesternschaft, dir ureigene Idee Hildegard Burjans. Mit ihrer Schwesternschaft, die sie als „Hilfstruppe der Kirche“ bezeichnete und die „im engsten Einvernehmen“ mit dem Wiener Oberhirten arbeitete, schuf Hildegard Burjan eine neue Form zeitgemäßer sozialer Arbeit. Von der Gründung an bis zu ihrem Tod stand Hildegard Burjan als verheiratete Frau und Mutter der religiösen Schwestemgemeinschaft vor. Ihre Vorsorge, die Schwestern in die staatliche Pensions- und Krankenversicherung aufnehmen zu lassen, war bahnbrechend für viele Orden und religiöse Gemeinschaften, denn die soziale Gerechtigkeit habe vor den Toren einer kirchlichen Gemeinschaft nicht haltzumachen.

Die Errungenschaften und Ideen Hildegard Burjans auf sozial-fürsor- gerischem Gebiete bekommen in ihren zahlreichen Werken und ‘Initiativen in der Zwischenkriegszeit erst ein Gesicht. Sie brach mit überkommenen Vorstellungen und Tabus und betrieb „jeweils der Not der Zeit angepaßte“ Projekte.

Hildegard Burjan reaktivierte in Österreich die Bahnhofsmission, führte die Familienpflege ein, gründete Heime für ledige Mütter, Obdach- und Stellenlose, für sittlich gefährdete Jugendliche und den St. Elisabeth-Tisch, heute „Essen auf Rädern“. Sie setzte ihre Schwesternschaft dort ein, wo sich niemand für diese Aufgaben im sozialen Bereich zur Verfügung stellte. Daß die Schwesternschaft, die 1936 ihre kirchliche Approbation erhielt, auch heute noch den pionierhaften Weg, den ihr Hildegard Burjan vorgegeben hat, fortsetzt, zeigt paradigmatisch die jüngst in Angriff genommene Errichtung eines Pflegezentrums am Wiener Rennweg.

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