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„Katholische“ Presse und Politik in Oesterreich

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Das Thema muß sich eine weitgehende Einschränkung gefallen lassen, denn mit dem Wort Politik wird ein nicht mehr übersehbares Gebiet menschlichen Lebens bezeichnet. Die folgenden Ausführungen wollen lediglich versuchen, das Verhältnis der „katholischen" Tagespresse in Oesterreich zu jenen politischen Bewegungen und Parteien zu schildern, die zu unterstützen sie jeweils als ihre Pflicht und Aufgabe betrachtete.

Mit dem Ende der Restaurationspolitik des jungen Kaisers Franz Joseph, nach der Niederlage von Königgrätz, begann sich in Oesterreich jenes Zeitungswesen zu entfalten, das bald mit dem vieldeutigen Sammelnamen „die Presse“ bezeichnet wurde. Die Katholiken hatten ihren Gegnern darin bereits einen Vorsprung eingeräumt, den sie allen Anstrengungen zum Trotz nie mehr aufholen sollten. Denn erst, als im Jahre 1867 das sogenannte Vereinsgesetz die Bildung politischer Parteien und Organisationen gestattete, gingen sie daran, „katholische“ Tageszeitungen zu gründen, die den fast gleichzeitig entstehenden katholisch-konservativen Parteien als endlich unentbehrlich erkannte Waffe dienen sollten.

Die „katholische“ Presse wurde in Oesterreich also zur Unterstützung einer politischen Bewegung ins Leben gerufen. Ein Umstand war jedoch von entscheidender Bedeutung: die neuen Zeitungen, durch katholische Preßvereine gegründet, blieben deren Eigentum. Damit war für sie die Voraussetzung zu späterer segensreichen Unabhängigkeit gegeben. Vorerst marschierten freilich ihre verantwortlichen Schriftleiter mit den Parteiführern Hand in Hand, sofern sie nicht überhaupt mit diesen identisch waren. Mit dem Erscheinen der Enzyklika „Rerurn novarum“ änderte sich dieses Verhältnis. Das päpstliche Rundschreiben stellte eindringlich unzweideutige Forderungen an die Katholiken. Ihre politische Vertretung hat sie gewiß grundsätzlich bejaht, die praktische Verwirklichung derselben jedoch weithin ihren politischen und weltanschauKehen Gegnern überlassen. Die katholisch-konservative Partei hatte sich in viele# Schlachten verbraucht, und war müde geworden;. Es, fehlte ihr an Elan, sich einer so großen Aufgabe, wie sie die Weisungen Papst Leos XIII. bedeuteten, erfolgreich und begeistert zu unterziehen. Zum Teil aber hielten ihre Führer die Postulate der Enzyklika für zu weitgehend: Damals mußte ein in mancher Hinsicht bedauerlicher, in anderer Hinsicht erfreulicher Gegensatz, ja Kampf zwischen der politischen Führung der Katholiken und ihrer Presse entbrennen. Diese schlug sich nach kurzem Zögern, auf die Seite der Vorkämpfer und Anhänger der christlichen Sozialbewegung.

Und doch, welch verhängnisvollen Irrtum hätte die „katholische“ Presse begangen, wenn eine mißverstandene und mißverstehende „Disziplin“ über bessere Einsicht und Liebe zur Wahrhaftigkeit den Sieg davongetragen hätte! Die fast bedingungslose Treue, die sie dem neuen Führer, Dr. Karl Lueger, entgegenbrachten, ließ zunächst nicht erkennen, daß die Zeitungen der Katholiken auch in der neuen Lage ihre Unabhängigkeit zu wahren entschlossen waren. Als der große Volksmann starb, fand er vorerst keinen Nachfolger, der wie er bereit gewesen wäre,, das öffentliche Wohl über persönliche Wünsche und Empfindungen zu stellen. Die christlichsoziale Partei geriet in eine Krise, die wahrhaftig ihren Bestand in Frage stellte. Damals war es wieder die „katholische“ Presse, die ohne Ansehen der Person die unumgängliche Erneuerung der Partei an Haupt und Gliedern forderte.

Die christlichsoziale Bewegung hatte ihre triumphalen Erfolge errungen, nachdem inr Wählermassen zugeströmt waren, die ihrem geistigen Programm ungleich weniger Interesse entgegenbrachten, als den wirtschaftlichen Forderungen, die sie erhob und zu erfüllen versprach. Die Katholiken bildeten gewiß noch ihre Kerntruppen und die überhälftige Mehrheit, aber der Einfluß der Randschichten, war im Steigen.

Nach dem ersten Weltkrieg nahm diese „Entideologisierung“ der christlichsozialen Partei ihren beschleunigten Fortgang. Ihre oberste Führung war gewiß redlich bemüht, dieser entgegenzuarbeiten. In den Augen vieler Katholiken, die man damals als „Integralisten“ zu bezeichnen liebte, gelang ihr das immer weniger. Um so notwendiger war es, daß die „katholische" Presse ständig zur Grundsatztreue mahnte und immer wieder den Primat des Programms über die „unabweislichen Forderungen des Alltags“ forderte

Die Jahre 1933 34 brachten der ersten Re-

publik in tragischer Verstrickung von bestem Wollen und Schuld das entsetzliche Schicksal des Bürgerkrieges. Die tiefen Wunden, die er geschlagen hatte, bluteten noch, als „im Namen Gottes“ und bedroht vom finsteren Dämon, der das „Brudervolk“ regierte, der Versuch einer Neuordnung des öffentlichen Lebens unternommen wurde. Die Katholiken bekannten sich zu dem, was sie als das Rechte und Richtige erkannten. Auch damals hat sich die „katholische" Presse nie des Rechtes eigenständiger Kritik begeben. Man denke nur an den aufsehenerregenden Leitartikel, den der verewigte Fürsterzbischof ' von Salzburg, Dr. Sigismund Waitz, im Frühjahr 1937 in der „Reichspost“ schrieb, um den Widerspruch aufzuzeigen, der im christlichen Ständestaat zwischen Wollen und Vollbringen klaffte. Im März 193 8 mußten die meisten „katholischen“ Zeitungen „schlagartig“ ihr Erscheinen einstellen.

Nach dem Ende der Fremdherrschaft des nationalistischen Totalitarismus durften nur Parteizeitungen und einige den Alliierten gehörige Blätter erscheinen. Als diese Bestimmungen fielen, machten die alten katholischen Zeitungsverlage von der wiedergewonnenen Freiheit keinen Gebrauch. Einmal aus wirtschaft-

liehen Gründen. Die Blätter, die von der OeVP gegründet worden waren, hatten längst die einstige Leserschaft der „katholischen“ Rresse an sich gezogen. Diese wiederzugewinnen, wäre, wenn überhaupt möglich und tunlich, ungemein kostspielig gewesen.

Die österreichischen Katholiken haben sich

mit dieser Tatsache bald und so ziemlich abgefunden. Einmal befleißigt sich die Presse der OeVP in kirchlichen Angelegenheiten einer Schreibweise, die kaum etwas zu wünschen übrig läßt, und dann ist noch eine zweite Ueber- legung und Tatsache von Belang. Wir versehen das Wort „katholisch", sooft es im Zusammen

hang mit der Presse verwendet wird, immer mit einem Anführungszeichen. Damit soll angedeutet werden, daß es seit Jahren problematisch geworden ist, ob es eine Tageszeitung geben kann, die sich mit Recht diese Bezeichnung beilegen darf.

Katholisch sein bedeutet ja Gelassenheit der Welt und ihrem Treiben gegenüber; Beurteilun; der Dinge sub specie aeternitatis. Heißt siel freihalten von dem Irritierenden, Flüchtiger und Nebensächlichen dieses Aeons. Die Tage: zeitung hingegen jagt fiebernd nach Aktualität und erstrebt nichts mehr, als sensationell zu

sein. Auch die „katholische" Presse, auch sie, redet ihren Lesern ein, mit ihr des jeweiligen Tagesgeschehens wegen erregt zu sein. Auch sie hält sich für verpflichtet und befähigt, zu jedem bedeutsamen Ereignis sofort etwas Bedeutendes, ja Endgültiges schreiben zu können. Viele Katholiken sind heute davon überzeugt, daß erst eine wöchentlich erscheinende Zeitung jene ruhige, überlegte Art des Betrachtens und Berichtens zu üben und zu bieten vermag, die das Kriterium katholischen Denkens und Handelns sein und bleiben muß; daß nur eine Wochenzeitung jene Gelassenheit zu bewahren imstande ist, die dem lebendigen und bewußten Christen auch als Zeitungsschreiber und Zeitungsleser nicht verloren gehen darf, die ihn von den Kindern dieser Welt unterscheiden soll; daß also nur eine Wochenzeitung im oben angeführten Sinn als katholisch bezęichnet werden sollte.

Nun hat im Sommer des Jahres 1945 der Nestor der katholischen Journalisten Oesterreichs, der ehrengekrönte Gründer und Herausgeber der „Furche“, Staatsrat a. D. Dr. Friedrich Funder, mit dieser Wochenzeitung die literarische und politische Großtat seines an Verdiensten überreichen Lebens gesetzt. Daß

dieses Blatt rasch auch zu internationalem Ansehen aufstieg, sei mit freudiger Dankbarkeit festgestellt. Weit wichtiger aber erscheint die überragende Bedeutung, die es in der und für die österreichische Innenpolitik erlangte. Es übernahm vom Anfang an und mit glücklichstem Erfolg die verantwortungsschwere und un-

dankbare Aufgabe, die vordem von etwa neun katholischen Tageszeitungen unter Führung der „Reichspost“ geleistet und getragen wurde: die den Katholiken von heute „nahestehende“ Partei und Politik nicht nur, wenn berechtigt, zu loben, sondern sie auch zu mahnen, sooft und sobald es Gewissen und Pflicht gebieten. Ja, die „Furche“ wagt es mit christlichem und verantwortungsbewußtem Mut, auch dem Gegner Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und schweigt nicht, wenn diesem rechtgegeben oder Anerkennung gezollt werden muß.

Das die kurze Geschichte eines langen Weges, einer konsequenten Haltung und ziemlich geradlinigen Entwicklung. Ihr Ergebnis fand und findet nicht immer das richtige und verdiente Verständnis. Begreiflicherweise. Den jeweils Betroffenen wäre es gewiß lieber, Kritik und Objektivität würden nicht in der Oeffentlichkeit, sondern „in. camera caritatis“ geübt oder überhaupt unterlassen. Im großen und ganzen aber hat sich ein befriedigender Modus vivendi herausgebildet. Die Sorge, der Ausfall der „katholischen“ Tageszeitungen hätte eine gefährliche oder merkliche Schwächung katholischer Positionen mit sich gebracht, ist wohl ebenso unbegründet wie die Hoffnung, ihr Wiedererstehen würde einen gewaltigen Aufschwung und Fortschritt religiösen Lebens bewirken.

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