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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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SCHILLER-EHRUNG! Der sogenannte „Ring volkstreuer Verbände” hatte für den 10. Oktober die Bevölkerung Wiens zu seinem Fackelzug über die Ringstraße zum Heldenplatz geladen. Thema: Schiller-Ehrung. Welchen Hintergrund diese Feiern hatten, machten die im Farbenspiel Schwarzweißrot gehaltenen Ankündigungen für jeden politisch nicht Blinden deutlich. Im letzten Moment hatte die Polizei den Fackelzug verboten, es blieb jedoch erlaubt der Marsch vom Rathaus zur Hofburg. Gegendemonstranten stürzten sich mit den Rufen „Ihr habt schon genug Unheil angerichtet!” auf die Marschierenden. Es kam zu Schlägereien. Die Berichte und Nichtberichte der österreichischen Presse über dieses Ereignis wären allein eines Kommentars wert. Geben wir statt dessen die Titelzeilen einer der größten deutschen Tageszeitungen, dann der größten Zeitung der österreichischen Bundesländer wieder. Die deutsche Zeitung meldet: „Schiller-Feier mit blutigen Köpfen — Oesterreichische Jugendverbände gerieten bei politischen Demonstrationen aneinander." Die österreichische Zeitung meldet: „Wiener Polizei verhinderte politischen Wirbel —’Kommunisten und Pafentdemokraten wollten Schiller-Feier der Rechtsextremen sprengen.” Hierzulande ist also jemand ein „Patentdemokrat", der gegen einen Unfug demonstriert; es ist ein Unfug, den Dichter der deutschen Freiheit und Demokratie, Friedrich Schiller, für die Wiederkehr von Kräften zu mißbrauchen, denen wir bittere Jahre der Not und Unfreiheit verdankten. Nicht aber der Unfug der Jugendlichen ist der Skandal: dieser fällt jenen Vätern und Müttern, die aus zwei Weltkriegen nichts gelernt haben, zur Last; und fällt, was nicht vergessen werden sollte, jenen mitverantwortlichen österreichischen Politikern zur Schuldenlast, die gerade gewisse unbelehrbare „Nationale” als ihr liebstes Kind verhätschelt haben. Nichts gegen diese „Nationalen": alles aber gegen jene, die sie dazu verführen, ihren falschen Weg weiterzugehen, wieder auf ihn einzuschwenken. Wobei uns allerdings ein gewichtiger Vorwurf gemacht werden kann: warum sollen die Jungen nicht über die Ringstraße ziehen, wenn ihre Väter längst willkommene Aufnahme in den Ministerien, auf zahlreichen wichtigen Posten, nicht zuletzt auf den Lehrstühlen der Universitäten gefunden haben?

NUR SIEGER hat es auf den ersten Blick bei den Vorarlberger Landtagswahlen am vergangenen Sonntag gegeben. Die Mandatszahl der OeVP stieg von 16 auf 21, die der Sozialisten von 7 auf 10 und die der FPOe von 3 auf 5. Aber der erste Blick täuscht, denn es gibt in Wahrheit Nuancen der einzelnen „Siege”. Von der erhöhten Mandatszahl 36 statt 26 haben nämlich die verschiedenen Parteien verschieden fette Happen erwischt: die OeVP um 1 Mandat weniger, als sie bei gleichbleibender Stärke hätte erringen müssen, die FPOe um eines mehr; die Sozialisten wurden durch die Wahlarithmetik geschädigt und blieben gleich. Die prozentuellen Anteile der Parteien, gemessen an der Mandatsverteilung, betrugen zuletzt: 61 Prozent OeVP, 27 SPOe, 12 FPOe, jetzt aber 58:28:14. Die Ursache der kleinen OeVP- Schlappe dürfte rein lokaler Nafur sein unter anderem das Abspringen ihres Abgeordneten Prof. Reichart zur FPOe und auf die kommenden Wiener Wahlen kaum irgendwie Rückschlüsse zu ziehen erlauben. Dagegen wird sich der Auftrieb der FPOe wohl auch in Wien wiederholen. Ueberdeutlich setzt sich auch der Zerbröckelungsprozeß der Kommunisten fort. Ihre Sfimmenanzahl Mandat erhielten sie diesmal, wie schon letzthin, keines fiel in Vorarlberg frotz der ständig fortschreitenden Industrialisierung von 2518 auf 1238 — man geht wohl nicht fehl, für die bevorstehende Wiener Wahl eine ähnliche Tendenz vorauszusagen.

GEWERKSCHAFTLICHE DISKUSSION UM DAS MITEIGENTUM. Die letzte gewerkschaftliche Tagung des Instituts für Sozialpolitfl: und Sozialreform beschäftigte sich mit dem gerade in der Bundesrepublik besonders aktuell gewordenen Problem des Miteigentums der Dienstnehmer. Die deutschen Referenten, Dr. D i 11 m a r von der Deutschen Angestelltengewerkschaft, und Dr. Herrmann, brachten beachtliche Argumente für die Verwirklichung des Mifeigen- tumgedankens vor und konnten — was wesentlich ist — auf eine Reihe gelungener Versuche im westlichen Ausland hinweisen. Die Annahme, daß es si :h etwa um ein sozialutopisches Unferfangen handle, konnte mit Erfolg und gerade von den Praktikern widerlegt werden. Am zweiten Tag sprach als erster für die sozialistische Gewerkschaffsfrakfion Nationalrat Hiille- g e i s t. In einer überraschenden Aggressivität vertrat der Referent die Annahme, daß das Miteigentum der Dienstnehmer in keiner Weise geeignet sei, eine soziale Funktion zu erfüllen. Die Darstellungen des Redners stellten eine Wiederholung orthodoxer marxistischer Argumente dar und ließen den Schluß zu, daß es kaum ein Mittel zur Lösung der sozialen Frage gäbe als jenes, das schon Marx in einer durchaus anderen sozialökonomischen Situation empfohlen habe: Alles Eigentum an den Produktionsmitteln sei auf die Gesellschaft praktisch: die Gebietskörperschaffen zu überfragen. Der zweite Referent, Nationalrat Dr. Kummer, ging davon aus, daß gerade um der Sozialreform willen der Versuch mit dem Miteigentum gemacht werden müsse. Freilich wies der Refe-rent darauf hin, daß neben dem Institut des Miteigentums eine Fülle von anderen Möglichkeiten der Sozialreform bestände. Darin, in der Vielfalt der Methoden, Situation;- und zeifange- paßt, unterscheidet sich eben — dafür brachte das Referat von Dr. Kummer den Beweis — die christliche und auch die freiheitlich-sozialistische Methodik der Sozialreform von der orthodoxmarxistischen, die aus ihrer Verklammerung mit einer längst liquidierten geschichtlichen Situation nicht herauszufinden vermag. Am zweiten Tag war ein Großteil der Gewerkschaffsprominenz der Sozialisten im Vortragssaal und konnte zum Teil in der Diskussion zu Worte kommen. Von der christlichen Gewerkschaffsfrakfion war dagegen wenig zu sehen, wenn man von den beiden Kammervizepräsidenfen von Wien und Vorarlberg absieht. Es zeigt sich auch hier das gleiche Schauspiel: Ein großer Teil der Führer der OeVP, die genau soviel und sowenig wie die Sozialisten im Wahlkampf engagiert sind, vermeidet es, zu Tagungen zu gehen, bei denen man sich nicht „zeigen” kann. Darin liegt ein Teil der „Krise” der OeVP begründet: In der falschen Annahme, daß alle Probleme auf der Ebene der Macht und im Bereich der politischen Institutionen gelöst werden müßten. Echte intellektuelle Auseinandersetzungen, welche beispielsweise die keineswegs immer akademisch vorgebildeten Sozialisten kaum scheuen, werden weithin vermieden.

HEERFÜHRER GEGEN DEN HUNGER. Auf dem Friedhof von Arlington, der vielen Großen der amerikanischen Geschichte als letzte Ruhestätte dient, sind om vergangenen Dienstag die sterblichen Ueberresfe eines Mannes beigesetzt worden, der in seltenem Maß militärische und staatsmännische Begabung in sich vereinte. Unbestritten sind die außerordentlichen Verdienste, die sich George C. Marshall, bei Kriegsausbruch 1939 zum Generalstabschef ernannt, um den Aufbau eines Vielmillionenheeres und die Entwicklung der gigantischen Rüstungsindustrie erwarb, der die Alliierten das entscheidende Werkzeug des Sieges verdankten; und ebenso unbestritten die eiserne Konsequenz, mit der er, belehrt durch den tragischen Fehlschlag seiner Mission in China, an der Spitze des amerikanischen Außenamfes alle Kraft dafür eingesetzt hat, die Völker Westeuropas vor dem drohenden Zugriff des kommunistischen Imperialismus zu bewahren. Marshall war ein führender Baumeister des nordatlantischen Bündnissystems und der Luftbrücke, an der die sowjetische Blockade Berlins zerbrach. Aber sein eigentlicher Ruhm liegt in den weitblickenden und beispiellos großzügigen amerikanischen Hilfsmaßnahmen, zu deren Durchführung er das ganze Gewicht seiner charakterstarken, einflußreichen Persönlichkeit in die Waagschale warf; in den unter der Bezeichnung Marshall-Plan bekannt gewordenen grandiosen Hilfeleistungen, die ungezählte Millionen Menschen vom Hungertod errettet und den Wiederaufbau und einen neuen Aufschwung der kriegsverwüsteten Länder, gleichgültig auf welcher Seite der Kampffronten sie gelegen waren, überhaupt erst ermöglicht haben. Wegen dieser Tat eines großen Herzens wird der Name George C. Marshall in dankbarer Erinnerung forfleben, auch wenn die meisten der großen Heroen unserer Zeit schon längst der Vergessenheit anheimgefallen sind.

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