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Schwierige Heimkehr

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In Bozen beginnt in diesen Tagen die diesjährige Sessionsfolge des Regionalrates. Zwei wichtige politische Ereignisse werden diesmal, wie allgemein erwartet, in die Session fallen: die Vorlage der redigierten Texte der D u r c h f ü h -ivungsbestimmungen zum Autonomiestatut (mit dem endgültigen Erlaß darüber) und des Dekrets über die Durchführung von Gemeindewah-1 e n. Die ersteren werden die Regionalregierung zu größerer Tätigkeit ermächtigen, das letztere endlich ein klares Bild über die Verteilung der politischen Kräfte in den Südtiroler Land- und Berggemeinden geben, da bisher dort seit Kriegsende beziehungsweise seit Aufhebung der demokratischen Einrichtungen durch den Faschismus keine freien Gemeindewahlen mehr durchgeführt worden sind. Diese Verzögerung resultiert aus dem Umstand, daß das vom Regionalrat im Dezember beschlossene Gemeindewahlgesetz vom Regierungskommissär abgelehnt worden war und das römische Innenministerium sich auf den Standpunkt stellte, daß die Abfassung eines Gemeindewahlgesetzes ihm selbst zustehe. Beide Institutionen, Ministerium und Regionalrat, stützten ihre Ansichten auf die italienische Verfassung.

Trotz dieser hinderlichen Umstände haben sowohl die Regionalregierung als auch die Provinzialregierungen in letzter Zeit eine sehr regsame Verwaltungstätigkeit entfaltet und können auf eine stattliche Reihe anerkennenswerter Erfolge zurückblicken.

Weniger erfreulich hat sich die Durchführung der Optantenrück-Siedlung entwickelt. Wie bereits in der „Furche“ Nr. 6 vom 3. Februar 1951 mitgeteilt wurde, sind bisher kaum mehr als 3000 Personen im Zug der offiziellen Rücksiedlung nach Südtirol zurückgekommen. Es hat sich gezeigt, daß die staatsrechtlichen Voraussetzungen, die auf Grund des GrubeT-Degasperi-Abkommens vom September 1946, des italienischen Optantenstatuts und anderer österreichisch-italienischer Vereinbarungen geschaffen worden waren, nicht ausreichen, um einer größeren Zahl von abgewanderten Südtirolern den Weg in die Heimat zu öffnen. So erfreulich das erste Anlaufen der Rücksiedlung in den Jahren 1949 und 1950 aussehen mochte (die Verbände der Südtiroler in Deutschland, Oberösterreich der Südtiroler Optantenfrage von Piawenn und Kärnten haben insgesamt 15 Transporte abwickeln können), so bedauerlich ist die Tatsache, daß es vorläufig wohl bei dieser niedrigen Zahl bleiben wird. Die Haupthindernisse für eine großzügigere Rücksiedlungsaktion werden in der schleppenden Bearbeitung der Optionsgesuche, in dem drückenden Mangel an Wohnraum im übervölkerten Südtirol, in der Unmöglichkeit eines einigermaßen verlustfreien Vermögenstransfers aus Österreich nach Italien und schließlich auch in der Tatsache gesehen, daß die keineswegs mit finanziellen Mitteln gesegneten Südtiroler Verbände die zur Organisierung von Rücksiedlungstransporten nötigen Spesen selbst zu tragen haben.

Südtirol selbst sieht sich in der Aufgabe, die rückkehrwilligen Landsleute wieder aufzunehmen, einem ungeheuren Problem gegenüber. Das Bevölkerungsverhältnis hat sich in den Jahren des Krieges und der Nachkriegszeit grundlegend geändert. Wenn auch in den Jahren 1940 und 1941 etwa 60.000 bis 70.000 Einwohner abgewandert waren, so hat die Aussicht auf eine bevorstehende gänzliche Entleerung dieser nördlichen Provinz ein Mehrfaches an raumsuchenden Menschen aus den alten Provinzen Italiens nach Südtirol gezogen. Zu diesem Umstand kam noch ein Strom von Flüchtlingen aus den italienischen Kriegsgebieten und aus den bombenbedrohten Großstädten. Dieser Strom hielt auch nach dem Kriege an, da 6ich anfangs hartnäckig das Gerücht erhielt, daß alle Einwohner der Provinz, die 1939 ihre' Stimme für Deutschland abgegeben hatten, ausgewiesen werden sollten. Das Gerücht wurde zwar durch die tatsächliche Entwicklung des Optantenproblems widerlegt, aber der Verlust Istriens und der italienischen Kolonien lenkte wieder einen Strom von Flüchtlingen und Ausgewiesenen nach Südtirol, das nun schon seit Jahren an einem geradezu katastrophalen Wohnraummangel krankt.

Dennoch ist man sich an Etsch und Eisack der Pflicht zur Aufnahme dei eigenen Brüder aus der Fremde wohl bewußt und sucht nun, durch den mittelsparenden Ausbau von Dachstöcken, leeren Magazinen und ungebrauchten Nebenbaulichkeiten menschenwürdige Wohnungen zu schaffen. Auch die Bildung von Selbstbauorganisationen wird erwogen. Die Mittel werden vor allem durch die Reglonalreglerung, durch die Provinzialregierung von Südtirol sowie durch großzügige Spendenaktionen aufgebracht. Gerade bei letzteren hat es sich gezeigt, daß der Gedanke einer weitgehenden Rücksiedlungshilfe teilweise sehr lebendig ist, da von manchen Unternehmern Millionenbeträge gespendet worden sind. -In einem großen Teil der Südtiroler Gemeinden haben sich Komitees gebildet, die sich die Betreuung, Unterbringung und Beschäftigung der Rücksiedler zur Aufgabe gemacht haben. Alle diese Komitees halten enge Verbindung mit dem zentralen Amt für Rücksiedlungshilfe in Bozen, das von der Regionalregierung eingerichtet worden ist. *

DasVerhärltniszwischenden beiden Volksgruppen in Südtirol hat in seiner Entwicklung ein zwiespältiges Aussehen gewonnen. Soweit sich die Beziehungen zwischen Deutsch und Italienisch außerhalb der Politik, etwa auf wirtschaftlichem oder auch nur privatem, rein menschlichem Gebiete abwickeln, darf man von einer fortschreitenden Besserung sprechen. In Gesellschaft maßvoller und verantwortungsbewußter Menschen beider Idiome wird man immer wieder das schöne Eingeständnis gegenseitiger Hochachtung hören sowie das Urteil, daß gerade im Laufe der letzten Jahre eine fühlbare Entspannung im Verkehr untereinander eingetreten sei. In der Atmosphäre der politischen Auseinandersetzungen jedoch scheint man bedauerlicherweise nach wie vor bestrebt zu sein, den langsamen und von allen Einsichtigen auch für notwendig erkannten Befriedungsprozeß aufzuhalten. Die .Unione Alto Atesina“, eine überparteiliehe Organisation, vertritt eine streng nationalistisch-zentralistische Linie, stellt sich daher auf die Seite jener Kreise, die im Autonomismus eine Gefahr für die nationale Einheit Italiens sehen. Die enge Verbindung zwischen dieser Organisation und einzelnen christlich-demokratischen Abgeordneten mag mit dazu beigetragen haben, daß sich die Südtiroler Volkspartei den trientinischen Autonomisten enger anschloß als der ihr weltanschaulich näherstehenden Democrazia Christiana.

So sieht sich nun für die nächsten zwei Jahre die Südtiroler Volkspartei in der Lenkung der inneren Geschicke Südtirols der starken Partei der christlichen Demokraten gegenübergestellt. Takt und politisches Fingerspitzengefühl werden sie allein der vielen und erheblichen Schwierigkeiten Herr werden lassen können.

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