Zu unserem Glück vereint

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Die Politikerin hat von der Physikerin Angela Merkel gelernt: Ihr Berliner Experiment ist gelungen - beendet ist die EU-Versuchsreihe damit aber noch lange nicht.

Als Physikerin war Angela Merkel Spezialistin für den Mechanismus von Zerfallsreaktionen; als Politikerin versuchte sich die deutsche Bundeskanzlerin beim Berliner EU-Gipfel vom letzten Wochenende an einem gegenteiligen Experiment: mehr zusammen, mehr gemeinsam, mehr für-statt gegeneinander - denn "wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union", so Merkel in der Berliner Erklärung, "sind zu unserem Glück vereint".

Jetzt ist das aber mit dem Glück keine so leichte Sache: "Die meisten Menschen sind, um glücklich zu sein, entweder nicht gescheit oder nicht dumm genug", hat einmal einer von den Gescheiteren gemeint. Damit ist auch der Grund benannt, warum sich der Großteil der Europäer damit sehr schwer tut, über die EU so richtig glücklich zu sein: zu dumm, um angesichts des täglichen Hickhacks die welthistorische Bedeutung des europäischen Einigungsprozesses ausmachen zu können; und zu gescheit, um den Schalmeientönen über die angeblichen Segnungen der Union noch Glauben schenken zu können.

Einen wirklichen Glücksschub wird auch die Berliner Erklärung bei den wenigsten EU-Bürgerinnen und-Bürgern ausgelöst haben - wirklich glücklich sind über diesen Text wohl nur zwei und eine: der Europaberater der deutschen Kanzlerin und der Staatssekretär im deutschen Außenministerium, die beide fast drei Monate lang an diesen zweieinhalb Seiten Text gefeilt und um diese wenigen Zeilen mit den Vertretern der anderen 26 Mitgliedsländer gerungen haben; und natürlich Angela Merkel selbst. Ihr politisches Experiment ist gelungen, quod erat demonstrandum: ein bissl nostalgischer Rückblick, ein bissl mutiger Ausblick, die Drohkulisse des Scheiterns dann und wann kurz auf die Politbühne geschoben - und heraus kommt ein Text, mit dem gerade noch alle leben können; und der das Ziel benennt, "die Europäische Union bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament 2009 auf eine erneuerte gemeinsame Grundlage zu stellen". Bis vor diesem letzten Wochenende hat man dazu noch EU-Verfassung gesagt, das Wort ist aber ab jetzt tabu. Doch in der Substanz soll der Vertrag nach den französischen Wahlen im April mit einigen Tricks und Kniffen über die Hürde der nationalen Referenden gebracht werden.

Und dann? Verstehen die EU-Bürgerinnen und-Bürger mit dieser neuen Grundlage (vulgo Verfassung, psst!) endlich, wie zu ihrem Glück vereint sie doch sind? Ein paar hundert oder seien es tausend "Brüsselianer" tun sich damit sicher bei ihrer täglichen Arbeit leichter - siehe den Seufzer des scheidenden österreichischen EU-Botschafters Gregor Woschnagg im Furche-Gespräch auf Seite 9: "Glauben Sie mir, mit 27 Mitgliedsstaaten einstimmige Beschlüsse zusammenzubringen, ist wahrlich kein leichtes Geschäft - irgendjemand ist immer dabei, der ein Thema hochstilisiert und alles blockiert."

Aber Glücksgefühle außerhalb der EU-Institutionen? Entscheidend für das Glück der Europäerinnen und Europäer wird sein, ob sie spüren, dass da etwas zu ihrem Nutzen weitergeht: Nicht die epochalen Erklärungen zu Frieden und Sicherheit machen das EU-Kraut heute noch fett, der kleine Nutzen, die tägliche Erleichterung, die lange gewünschte Verbesserung macht EU-glücklich: wenn die überteuerten Handy-Roaming-Gebühren abgeschafft oder konsumentenfeindliche Kartelle zerschlagen werden; oder wenn eine litauische Studentin mit ihrem in Österreich geborenen Kind ohne Grenzschikanen nach Hause fahren kann …

"Die Welt wartet nicht auf Europa", hat Angela Merkel gesagt, und die Süddeutsche Zeitung hat diese Worte zu ihrem "klügsten Satz" gekürt. Einspruch! So klug ist der Satz wirklich nicht: Zuallererst wartet schon einmal Europa auf Europa. "Damals erschienen uns die Verträge als mäßig wichtig, wir hatten größere Sorgen", hat ein Zeitzeuge und Mitverhandler der Römischen Verträge vor 50 Jahren dieser Tage auf die Frage nach deren Bedeutung geantwortet. Das ist der richtige Zugang! Heute aber scheint es, dass man sich lieber mit den Formulierungen als mit den wirklichen Sorgen beschäftigt. Und zweitens ist der Merkel-Satz nicht so klug, weil sehr wohl auch die Welt auf die EU wartet: als Modell dafür, "zum Glück vereint zu sein".

wolfgang.machreich@furche.at

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