Finkelstein - © wikimedia.org

Norman Finkelstein: Der Anti-Holocaust-Bestseller

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In zwei Wochen wanderten 115.000 Exemplare von Norman Finkelsteins "Die Holocaust-Industrie" über die Ladentische. Nachbemerkungen zur Debatte um ein Buch, das mehr altbekannte Ressentiments bedient, als dass es richtige Fragen stellt.

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In zwei Wochen wanderten 115.000 Exemplare von Norman Finkelsteins "Die Holocaust-Industrie" über die Ladentische. Nachbemerkungen zur Debatte um ein Buch, das mehr altbekannte Ressentiments bedient, als dass es richtige Fragen stellt.

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Was unsereinem nie fiel ein / tat jetzt der Jude Finkelstein. / Er legt in einem Buche dar, / was Deutschen nie gestattet war / zu schreiben - nicht einmal zu denken ...

Mit diesen Versen bedachte Wolf Martin, Poet der Kronen Zeitung, die Philippika des amerikanischen Politologen Norman Finkelstein gegen die "Holocaust-Industrie", die seit Anfang Februar auf deutsch vorliegt und die Gemüter erhitzte.

Die erste Zeile obigen Gedichtes ist falsch: Natürlich ist es Wolf Martin & Co schon längst eingefallen, dass
* ein erklecklicher Teil der reichsten Amerikaner, der dortigen Universitätsprofessoren, der Anwälte New Yorks und Washingtons und so weiter Juden sind,
* diese Juden von den Deutschen, Schweizern, Österreichern ungerechtfertigt Unsummen an "Entschädigungen" erpressen,
* der Holocaust nichts Einzigartiges ist,
* die organisierten Juden Amerikas den Massenmord der Nazis ausgebeutet haben, "um Kritik an Israel und an ihrer eigenen unhaltbaren Politik abzuwehren",
* der Antisemitismus auch etwas mit den Handlungen der Juden zu tun hat.

Allerdings ist richtig, dass auch viele Österreicher das hier Aufgezählte glauben, es aber nicht zu sagen wagen - und zwar deswegen, (zumindest Norman Finkelsteins Logik zufolge), weil sie sich den "Dogmen" der "Holocaust-Ideologen" nicht zu widersetzen wagen.

Es sei "Holocaust Correctness", weshalb sein Buch, das obige "Thesen" verbreitet, in den USA verschwiegen werde - so wurde Finkelstein bereits im August, als das deutsche Feuilleton auf die englische Ausgabe seines Buches reagierte, von der Journalistin Eva Schweitzer in der "Berliner Zeitung" zitiert und verteidigt.

Zweifelsohne verhinderte bislang diese "Holocaust Correctness" auch, dass die Verharmloser und Apologeten der Schoa sich zu Wort meldeten. Norman Finkelstein lässt im Buch - nicht zuletzt in einem Interview, das in der deutschen Ausgabe hinzugefügt wurde - zwar keinen Zweifel aufkommen, dass er mit Auschwitz-Leugnern nichts am Hut hat. Trotzdem liefert er den Verschwörungstheoretikern, die überall und immer aufs Neue eine Konspiration des Weltjudentums wittern, die Argumentation bequem ins Haus: Wer dieser Tage den Begriff "Norman Finkelstein" in eine der Internet-Suchmaschinen eingibt, findet im Nu eine erkleckliche Anzahl von Homepages mit revisionistischen bis rechtsextremen Inhalten - angefangen beim britischen Holocaust-Leugner David Irving -, die den jüdischen Politologen für ihre Propaganda instrumentalisieren.

Finkelstein ist selbst von einer Verschwörungsidee besessen - und zwar von jener der "Holocaust-Industrie": Diese treibe mit der Erinnerung an die tatsächlichen Gräuel Schindluder und sei durch und durch geldgierig.

Das alles wäre unter Umständen in Kauf zu nehmen, würde Finkelsteins Theorie, der Holocaust werde erst seit dem Sechstagekrieg 1967 hochstilisiert - und zwar um jede Politik Israels zu entschuldigen, und um in immer neuen Wellen aus europäischen Ländern Geld herauszupressen - auch tatsächlich einer Debatte standhalten. Doch schon der Ton der Anklagen, die zwar schrill vorgebracht werden, den Leser aber ohne genauere Beweisführung allein lassen, nähren den Zweifel. Auch dass Finkelstein über die kritisierten Protagonisten - Organisationen wie Personen, allen voran: den Auschwitz-Überlebenden, Schriftsteller und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel - mit heftiger Polemik herfällt, ohne den kleinsten Versuch des Verstehens zu machen, spricht gegen das Buch.

Fakten zurechtgestutzt Seriöse Recherche und Bewertung bleiben so auf der Strecke. Ein Beispiel: Finkelstein wirft Saul Kagan, einem Funktionär der Claims Conference (einer jener inkriminierten Organisationen, welche jüdische Überlebende bei den Restitutionsverhandlungen vertraten) sein Jahresgehalt vor, das sich "angeblich" auf 105.000 Dollar belaufe. Des Weiteren führt Finkelstein gegen Kagan ins Treffen, dass dieser als Vorstand einer New Yorker Bank "in 33 Anklagepunkten wegen vorsätzlicher Zweckentfremdung von Geldern" verurteilt worden sei. Kagan wurde zwar freigesprochen, aber im Buch liest sich das so: "Das Urteil wurde erst nach mehreren Berufungsverfahren aufgehoben."

Solch offensichtliche Voreingenommenheit ist allein schon ärgerlich. Dazu kommt, dass gewichtige Expertenstimmen Finkelsteins Vorwürfe zurückweisen. So zeigte - nach einem Bericht der "Neuen Zürcher Zeitung" - der Vizepräsident des European Jewish Congress, Rolf Bloch, bei einer Diskussion mit Finkelstein in Zürich auf, dass der Schweizer humanitäre Fonds 273 Millionen Franken an 300.000 Holocaust-Überlebende verteilt und kontrolliert habe, dass die Zahlungen auch ankamen. Finkelstein behauptet hingegen durchgängig, dass Organisationen wie die Claims Conference oder der Jüdische Weltkongress die Gelder kassierten, ohne sie den Holocaust-Überlebenden zugute kommen zu lassen.

Auch der Wiener Historiker Oliver Rathkolb belegt im letzten "Spectrum", der Wochenendbeilage der "Presse", wie ideologisch und wie wenig an Fakten orientiert Finkelstein vorgeht: ein Treppenwitz, wollte Finkelstein doch nachweisen, dass es die von ihm Angegriffenen sind, die durch und durch ideologisch agieren. Die vernichtendste Qualifizierung ereilte Finkelstein jedoch durch den Chicagoer Historiker Peter Novick, der sich ebenfalls mit dem Missbrauch des Gedenkens beschäftigt, und dessen Buch "Nach dem Holocaust - Der Umgang mit dem Massenmord" (München, 2001) dieser Tage gleichfalls auf deutsch erschienen ist. Finkelstein bezieht sich in seiner Argumentation immer wieder auf Novicks Buch, wirft diesem allerdings vor, es gehe in seiner Kritik nicht an die Wurzel.

Am 6. Februar schrieb Novick in der Süddeutschen Zeitung unter anderem: "Keine von Finkelstein behauptete Tatsache ist unbesehen als Tatsache, kein Zitat unbesehen als korrekt anzunehmen." Und Novick wird noch schärfer: "Ich hätte nie geglaubt, dass es in Deutschland [...] noch Menschen gibt, die diesen Neuaufguss der ,Protokolle der Weisen von Zion' ernst nehmen ..."

Auffällig an der Finkelstein-Debatte bleibt, dass sein Buch "Die Holocaust-Industrie" in den USA kaum registriert wurde, in Großbritannien wesentlich stärker, im deutschen Sprachraum kurz - und hysterisch. In der Logik seiner ideologischen Argumentation, in die sich der - politisch links stehende - Finkelstein verstrickt hat, behält er dennoch immer die Oberhand: Wenn er verschwiegen wird, hat die Holocaust-Industrie zugeschlagen; wird er rezipiert, fühlt er sich erst recht bestätigt.

Die Diskussion, ob die Schoa und die Erinnerung daran mythisiert und instrumentalisiert werden, ist selbstverständlich zu führen - in den USA wie hierzulande. Auch, was die damit verbundenen finanziellen Implikationen betrifft. Man wünscht sich diese Diskussion ohne antisemitische Ressentiments. Aber in Zukunft auch ohne die Ressentiments von Norman Finkelstein.

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