Die deutschen Wahlen werden spannender als erwartet. Wiesen noch vor zwei Wochen alle Meinungsumfragen auf einen klaren Sieg der cdu/csu und eine eindeutige Mehrheit für eine Koalition der Christdemokraten mit der fdp hin, so ist nach den letzten Umfragen ein Kopf an Kopf-Rennen zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün zu erwarten.
Der Stimmungswandel hat mehrere Ursachen: Zunächst wirkte Schröders Ankündigung von Neuwahlen nach der schweren Niederlage in Nordrhein-Westfalen wie eine glatte Kapitulation vor den flüchtenden spd-Wählern. Der Satz Schröders aus dem Jahr 1998, man könne ihn abwählen, wenn er die Arbeitslosen nicht reduziere, wurde von den Medien genüsslich in Erinnerung gerufen. Und ohne Zweifel hat die spd in ihrem Kernthema, der Beschaffung von Arbeit, versagt. Obwohl sie alle vom derzeitigen wirtschaftspolitischen Mainstream geforderten Maßnahmen gesetzt hatte: Sie hatte die Sozialleistungen gekürzt, die Arbeitsgesetze "flexibilisiert" und die Unternehmenssteuern gesenkt. Trotzdem waren die Arbeitslosenzahlen auf über fünf Millionen gestiegen.
cdu/csu und Industrie hatten den rot-grünen Kurs unterstützt, aber zu noch größeren Einschnitten bei den Sozialleistungen aufgerufen. Der Enttäuschung über die Sozialdemokraten folgte die Angst vor weiterem Abbau des Sozialstaates. Einen Namen erhielt die diffuse Angst, als Angela Merkel Paul Kirchhof zu ihrem Finanz- und Steuerguru erkor. Dessen "Flat Tax"-Pläne präsentierte sogar die wirtschaftsfreundliche faz unter dem Titel "Die Reichen profitieren am meisten". Das Steuermodell des zum "Visionär" hochgeschriebenen künftigen Finanzministers brachte die Stimmung zum Kippen. Die Deutschen fürchten, nicht zu Unrecht, vom rot-grünen Regen in die schwarz-gelbe Traufe zu kommen.
Die Autorin war orf-Redakteurin und Dokumentarfilmerin.
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