Den Kopf in den Kühlschrank stecken

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Erwin Wurm holt gesellschaftlich relevante Themen in die Kunst. Die Ausstellung im MUMOK wird begeistert aufgenommen.

Touristen, die fasziniert ihre Kameras zücken, um ein kopfüber "abgestürztes" Fertigteilhaus auf dem Dach eines Museums zu fotografieren. Jugendliche, die vor einem "verfetteten" roten Porsche darüber diskutieren, ob er jetzt aus dem neuen Zeichentrickfilm Cars stammt oder nicht und spielende Kinder, die ihre Köpfe abwechselnd in einen "durchlöcherten" Kühlschrank stecken. Angesichts der Begeisterung, mit der die Ausstellung von Erwin Wurm im MUMOK aufgenommen wird, scheint alles Lamentieren über das angebliche Desinteresse an Gegenwartskunst unglaubwürdig. Wenn diese Kunst aber so leicht konsumierbar ist, fehlen ihr dann nicht Tiefsinnigkeit und Reflexion? Keineswegs.

Fetische demaskieren

Dem 1954 in Bruck an der Mur geborenen Bildhauer gelingt es, gesellschaftspolitisch relevante Themen wie Schlankheitswahn und Fettsucht, Fetischisierung von Eigenheim und Auto in einer auf den ersten Blick leicht verständlichen Formensprache zum Thema von Kunst zu machen. Erwin Wurm weitet sein künstlerisches Handeln durch eine populäre Formensprache auf Bereiche wie Mode, Werbung und Alltagskultur aus. So veröffentlichte etwa Vogue eine seiner Fotoserien.

Zugleich spricht Wurm mit seinem multimedialen Werk philosophische Fragen an, die so alt sind wie die Kunst selbst. "Der Künstler, der die Welt verschluckte" nennt sich eine leitmotivisch zu verstehende Skulptur, die illustriert, was der Titel ankündigt: Ein mit grünem Hemd und grauer Hose bekleideter Mann besteht fast ausschließlich aus einem kugelförmigen überdimensionalen Körper. Die witzige Figur zeigt, dass es Wurm trotz seines konzeptuellen Ansatzes nie um ein l'art pour l'art geht. Vielmehr lotet er die Befindlichkeit des Menschen in seiner körperlichen, sozialen und psychischen Dimension aus, wie er selbst erzählt: "Mich interessieren Arbeiten, die über einen gesamten Menschen Aussagen treffen. Das Spirituelle, das Psychologische, das Physikalische, das Politische - all das macht zusammen das Bild einer Person aus, und jeder Aspekt bringt eigene Probleme mit sich. Ich möchte diese Probleme gleichsetzen."

Mit allen medialen Mitteln

Seine anthropologisch-skulpturale Recherche betreibt Erwin Wurm mit den vielfältigen medialen Mitteln, die der Gegenwartskunst zur Verfügung stehen. Sein Werk umfasst Gipsfiguren, gegossene Skulpturen aus Aluminium oder Bronze, Fotografie, Zeichnung, Video-und Computerkunst. Kein Wunder, dass Wurm zu den derzeit international gefragtesten österreichischen Künstlern gehört, dessen Arbeiten Höchstpreise erzielen und immer wieder von der Werbung kopiert werden. Eine umfangreiche Ausstellung war längst fällig - jetzt hat das MUMOK sie gemeinsam mit den Deichtorhallen in Hamburg, dem Kunstmuseum St. Gallen und dem Museé d'Art Contemporain in Lyon realisiert. Bisher war Erwin Wurm einem größeren Publikum vor allem als Erfinder der "One minute sculptures" ein Begriff, durch die über 400 Werke umfassende Retrospektive auf drei Ebenen des MUMOK bekommt man jetzt einen umfassenden Einblick die Denk-und Arbeitsweise dieses vielseitigen Künstlers.

Begonnen hat die Karriere des heutigen Angewandte-Professors vor 25 Jahren - zu einer Zeit, als sich in Österreich gerade der Neo-Expressionismus breit zu machen begann. Geld für teure Materialien hatte Wurm nach dem Akademie-Studium keines, also werkte er mit Abfallprodukten wie Holzlatten oder Blechteilen. Aus nicht mehr gebrauchten rechteckigen Holzbrettern einer Tischlerwerkstatt, die gegenüber von seinem Atelier lag, zimmerte er große Holzskulpturen. Zunächst wurden die Arbeiten im Zuge des Neoexpressionismus wahrgenommen, bald stellte sich aber heraus, dass man Erwin Wurm nicht so leicht einordnen kann. Mit seinen vergänglichen Staubskulpturen rückte er in die Tradition der Minimal Art - und plötzlich waren es nicht mehr harte Materialien, sondern Kleidungsstücke, aus denen Wurm Stoff-Skulpturen zauberte. Aus einer Reihe von Pullovern bastelte er abstrakte Wandreliefs aus aufgespannten Strumpfhosen Abfallkübel mit Mülltrennungsfunktion.

"One minute sculptures"

Wurm geht es dabei nicht um das Objekt an sich, sondern um das Verhältnis zwischen den Dingen und den Menschen. So auch in den legendären "One minute sculptures", bei denen Wurm Personen auffordert, sich auf spielerische Weise für einen kurzen Moment in akrobatische Positionen zu begeben und mit einem lapidaren Alltagsgegenstand zu hantieren. Wurm interessiert hier die Erweiterung des Skulpturenbegriffs in der Nachfolge von Beuys' "Sozialer Plastik" und den aktionistischen Tendenzen der Avantgarde. Neben den medialen, kunstrelevanten Fragen bestimmen inhaltliche Aspekte die grotesk-komischen Inszenierungen. Die minutenhaften Handlungsanweisungen sprechen in ihrer Vergänglichkeit die zerbrechliche Seite des Lebens an, auch die Grenze zwischen Normalität und Wahnsinn.

In der Ausstellung kann man selbst zum Darsteller einer "One minute sculpture" werden, indem man den Kopf in ein Kühlschrank-Objekt mit dem Titel Keep a Cool Head steckt oder mit Kübeln oder Besen nach Wurmscher Anleitung hantiert. Nicht allzu viele nehmen das Angebot wahr. Lieber sieht man sich doch in der Rolle des Betrachters - und staunt über eine waagrecht an der Wand montierte Riesenkartoffel, ein "fettes" amorphes Haus, das im Inneren auf einem Video zum Subjekt mutiert und zu sprechen beginnt.

Dass Erwin Wurm die Seilschaften und Beziehungsgeflechte innerhalb der Kunstszene zum Thema seiner Kunst macht, amüsiert beim Rundgang besonders. So trägt der Bildhauer auf der Fotoserie "Be nice to your Curator" (2006) MUMOK-Direktor Edelbert Köb auf den Händen \0x2212 und Kunsthallen-Direktor Gerald Matt wird von ihm aufs innigste geküsst.

ERWIN WURM.

Keep a Cool Head

MUMOK, Museumsplatz 1, 1070 Wien

www.mumok.at

Bis 11. 2. 2007 Di-So 10-18 Uhr,

Do 10-21 Uhr

Katalog/Künstlerbuch: Erwin Wurm. The Artist who swallod the world, Hatje Cantz Verlag, 304 Seiten, e 39,-

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