Beiläufiges Zerbrechen

Werbung
Werbung
Werbung

Der US-Bundesstaat Montana ist ein Ausbund an Eintönigkeit. Wer hierherzieht, flieht vor urbaner Hektik, aber auch vor beschaulichem Landleben, denn in der Kargheit der Rocky Mountains geht es allzu oft um pures Überleben. Etwa wenn die Waldbrände in den Bergen wüten und die Zivilisation bedrohen.

Aber auch eine Familie kann hier an den Rand ihrer Existenz geraten, und in "Wildlife" passiert genau das: Die Brinsons sind anno 1960 nach Great Falls gezogen, Vater Jerry, Mutter Jeanette und der 14-jährige Joe. Jerry hat eine unstete Arbeitsbiografie, muss sich also immer um einen neuen Job bemühen. Mutter Jeanette bleibt zu Hause, weil, wie sie es der örtlichen Schuldirektorin gegenüber einmal formuliert, es "mein Mann und ich so entschieden haben".

Ab zu den Firefightern

Jerry arbeitet als Hilfsarbeiter im örtlichen Golfclub, fast buchstäblich ist er zum Stiefellecken bei den reichen Clubmitgliedern verdammt. Als ihn der Clubbesitzer von einem Tag auf den anderen entlässt, gerät das Leben der Famile Brinson einmal mehr aus den Fugen, denn Jerry sucht sich (obwohl er seinen Golfclub-Job bald wiederhaben könnte) eine neue Arbeit, und zwar als Firefighter in den Rocky Mountains - schlecht bezahlt, Monate von zu Hause weg, aber das scheint Jerry nicht anzufechten.

Die Abwesenheit des Vater fördert viel zu Tage: Jeanette muss sich nun ums Auskommen für sich und Sohn Joe kümmern, der den Vater vermisst. Schritt um Schritt wird aber auch offenbar, dass die Liebe (wenn es diese je gab) zwischen Jerry und Jeanette längst nur mehr auf dem Papier existiert hat, die Mutter hält nach Geborgenheit bei einem solventen Herrn, dem lokalen Autohändler Warren Miller, Ausschau. Dies alles verstört den eigenbrötlerischen Joe, der das Zerbrechen der Ehe seiner Eltern und sein Erwachsenwerden bewältigen muss. Still, verzweifelt und scheinbar ohne Aussicht auf Besserung.

Der Plot von "Wildlife" beruht auf dem gleichnamigen Jugendroman von Robert Ford aus 1990. Das Schauspielerpaar Paul Dano und Zoe Kazan hat daraus das Drehbuch entwickelt, Dano führt auch Regie, "Wildlife" ist sein Debüt als Filmemacher. Und was für eines: Dano entpuppt sich als Meister der Langsamkeit, der seine Geschichte aus einer scheinbar ewig dauernden Beklemmung heraus erzählt. Kein Drama sind die Leben der drei Protagonisten. Aber am Ende wird und bleibt es dramatisch, denn aus der irgendwie heilen Welt zu Beginn entstehen Vereinzelung, Zerbrochenheit und Lebensperspektiven, die mit einem Bilderbuchfamilienideal gar wenig gemein haben. Dazu kommt die Mannwerdung von Joe, ein Prozess, der bekanntlich auch in Normalfällen kompliziert ist, der von diesen Gegebenheiten aber ordentlich verschärft wird.

Die Schönheit der Bilder

Die Schauspieler der drei Antihelden tragen wesentlich zur Authentizität von "Wildlife" bei, der ja im Titel schon das Changieren zwischen Wildheit und der Beschaulichkeit der Natur einfängt. Carey Mulligan zeigt eine Jeanette zwischen Hausmütterchen und laszivem Verlangen nach Geborgenheit, Jake Gyllenhaal gelingt der Loser-Vater genial, der keine Worte für irgendetwas findet, und Ed Oxenbould schafft es, hinter dem Braver-Sohn-Gesicht die seelischen Abgründe hervorblitzen zu lassen, die einen 14-Jährigen seit eh und je umtreiben.

Das alles filmen Paul Dano und Kameramann Diego Garcia in schönsten Bildern, die in der Langsamkeit, der sich "Wildlife" so verschrieben hat, erst recht zur Geltung kommen.

Wildlife USA 2018. Regie: Paul Dano. Mit Carey Mulligan, Jake Gyllenhaal, Ed Oxenbould. Sony. 104 Min.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung