Höchstrichterin und großer Bogen

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Nicht nur das Ergebnis der Midterm Elections war im November ein Thema im politisch polarisierten US-Amerika, sondern wieder einmal der Supreme Court: Bei einem Sturz brach sich Ruth Bader Ginsburg drei Rippen. Konservative witterten Morgenluft, dass sie bald eines ihrer größten Feindbilder los sein könnten, Progressive wiederum bangten um die 85-jährige, fast wie ein Popstar verehrte Höchstrichterin. Der Spitzname, der sich für sie eingebürgert hat, steckt auch im Titel des Dokumentarfilms "RBG -Ein Leben für die Gerechtigkeit". Priorität hat bei dem Regieduo Julie Cohen und Betsy West die Frage, wie weit der honorigen Dame ihr Status in der Öffentlichkeit bekannt ist. Ob sie weiß, wer der Gangsta-Rapper Notorious B.I.G. war, von dem sich das Notorious RBG ableitete, das sogar den Weg auf Fan-Pullover gefunden hat. Ob sie Ereignisse wie die Saturday-Night-Live-Parodie von ihr mitbekommt, und was sie davon hält. Es geht darum, die Abgehobenheit, die mangelnde Beziehung zur gesellschaftlichen Realität zu widerlegen, die Richtern manchmal zum Vorwurf gemacht wird.

Zur Sprache bringt es der Film explizit bei den Fällen, die Bader Ginsburg als Anwältin in den 1970ern vor dem Obersten Gerichtshof verhandelte. Dabei kann er die stilistische Nähe zum Fernsehen, jene zum Produktionshaus CNN nicht verhehlen, wenn er mit einem Pasticcio an Materialien, Fotos oder Interviews mit Zeitgenossen die Strategie im Kampf für Gleichberechtigung aufrollt. Ebenso nicht das Quäntchen Pathos, wenn die Kamera die heiligen Hallen des Supreme Court in Washington auslotet. Cohen und West versuchen den großen Bogen zu spannen: Zwischen der Atmosphäre der 1950er und 60er, von patriarchischen Gefügen und Denkweisen, in der Bader Ginsburg zwar eine der ersten Studentinnen in Harvard war, aber trotz bester Noten in keiner Kanzlei in New York eine Anstellung finden konnte, und heute.

Zum Publikum, das sich in den Veranstaltungen mit ihr als Gast drängt, oder zur Feier auf einer Militärakademie, die sich durch ihr Wirken vor Jahren für Rekrutinnen öffnen musste. Es ist ein buntes Bild, das aber nicht die Ernsthaftigkeit verliert, das immer wieder auf den Rückhalt in ihrer Ehe zurückkommt. Und auf die großen Details der zierlichen Dame: Natürlich wird zum Workout mitgegangen, das viele junge Leute überfordern würde und zum eigenen Phänomen mit zahlreicher Nachahmerschaft geworden ist. Selbstverständlich wird die Freundschaft zum erzkonservativen Kollegen Antonin Scalia illustriert, die im vergifteten Klima von heute so unwahrscheinlich wirkt - und natürlich die Umkleide geöffnet, damit sie die Ikonografie der Krägen erläutert, die sie zur Richterrobe trägt.

Nicht nur in solchen Momenten schreit "RBG" nach tieferen Vorkenntnissen über die Vereinigten Staaten, wird er zur Stichwortkarte für vernetztes Wissen über die amerikanische Politik und Gesellschaft der letzten 50 Jahre. Auf der Leinwand mag er nicht gerade heimisch sein und manchmal vernarrt ins Nebensächliche. Was er jedoch anstandslos erfüllt, ist sein Zweck als Podest für die Personifikation des gesellschaftlichen Fortschritts nicht nur für Frauen -und Auslage für Tugenden, die derzeit massiv unter Druck sind.

RBG -Ein Leben für die Gerechtigkeit (RBG) USA 2018. Regie: Julie Cohen, Betsy West. Thimfilm. 98 Min.

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