Ihr seid jetzt Staatsfeinde

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Das lange Gedächtnis der DDR sorgte dafür, dass in Storkow, einem Ort in Brandenburg etwa auf halbem Weg zwischen Berlin und Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, bis nach der Wiedervereinigung keine Reifeprüfungen abgehalten wurden. Anlass war jener Vorfall, den das historische Drama "Das schweigende Klassenzimmer" nachzeichnet: Im Herbst 1956 protestierte die zwölfte Klasse der Kurt-Steffelbauer-Oberschule im Unterricht gegen die Niederschlagung des Ungarn-Aufstands -mit Schweigeminuten. Ihre Aktion wurde denunziert, untersucht, ja der Volksbildungsminister höchstpersönlich reiste an, um die "Konterrevolution" zu stoppen und die "Rädelsführer" ausfindig zu machen. Dietrich Garstka, einer der Schüler von damals, der später im Westen selbst Gymnasiallehrer wurde, veröffentlichte 50 Jahre später ein Buch darüber, das als Vorlage für diese Charakterstudie in mehrfacher Ausgestaltung dient. Einerseits natürlich der Klasse als Gruppe, die sowohl an ihren inneren Spannungen, einer Dreiecksgeschichte etwa, kämpft, wie auch an den äußeren Kräften, die nun einen Angriffspunkt nach dem anderen probieren, um sie zu spalten. Der eine zum Beispiel ist sowieso ein Außenseiter, hat halbherzig mitgemacht und lässt sich leicht in Sachen Andenken an seinen Vater, den Frontkämpfer-Bündler, manipulieren. Ein anderer wieder, der Sohn eines Stahlkochers, wird täglich daran erinnert, dass er, der erste Abiturient seiner Familie, etwas zu verlieren hat.

Von solchen Biografien ausgehend, entwickelt Regisseur Lars Kraume auch ein umfassendes Panorama der jungen DDR, von gezeichneten Siegern, Aufsteigern, Bürgern auf Bewährung, Erpressbaren -und denjenigen, die in allen Regimen die Schwächsten sind.

Erinnerung an "Der Staat gegen Fritz Bauer"

In der Rolle des alten Edgar, eines homosexuellen Freidenkers und Freunds der Klasse, den Michael Gwisdek kernig-berührend spielt, nähert sich die Erzählung nicht das einzige Mal einem Film, den Regisseur Lars Kraume erst unlängst vorlegte: "Der Staat gegen Fritz Bauer". Mit seinem Blick auf Repressalien und Aufarbeitungs-(Un)Willen der Adenauerzeit ist dieser das westdeutsche Geschwisterstück von "Das schweigende Klassenzimmer". Auch diesmal weiß Kraume die historische, wenn auch allzu besenreine Szenerie dafür zu schaffen. Er weiß den typischen Jargon einfließen zu lassen und die Geschichte nicht ins absolut Melodramatische zu schärfen. In Richtung ihres "Club der toten Dichter"- oder hier besser "Spartacus"-Moments bewegt sie sich dann aber doch mit schlafwandlerischer Präzision. Angesichts der weitgehenden Solidität dieser halb fürs Fernsehen konzipierten Suche nach menschlichen Leuchtfeuern lässt sich das verschmerzen.

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