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Der „schöne Karl...“

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Eine der wenigen ORF-Serien, mit denen der kostspielige Apparat unseres staatlichen Monopol-unternehmens “zeigen sollte, daß er mehr und Besseres kann, als schon ausprobierte und daher narrensichere Produktionen der westdeutschen Sender zu übernehmen, wäre die Sendung „Das österreichische Jahrhundert“. Über einzelne Sendungen dieser Serie konnte man bisher unterschiedlicher Meinung sein. Mit der letzten Folge, die dem „schönen Karl“, sprich dem Wiener Bürgermeister Dr. Karl Lueger, gewidmet war, gelang es dem Autor Hellmut Andics — man konnte ihn dafür eingangs in Großaufnahme sehen — sowie dem übrigen Team des ORF, den bisherigen Tiefpunkt der Serie „Das österreichische Jahrhundert“ zu erreichen. Da das Jahrhundert mit Karl Lueger immerhin zu Ende gegangen ist und ein neues, das zwanzigste, anbrach, ist zu hoffen, daß die alte bald einer neuen ORF-Serie Platz machen wird.

Sollte allerdings auch die neue Serie wieder Hellmut Andics betreuen, dann dürfte diese schlicht „Das sozialistische Jahrhundert“ heißen. Denn Andics stellte bereits mit seiner Lueger-Folge diesbezüglich die Weichen. Sein Konzept lautete anscheinend wie folgt: Lueger war ein braver, ein populärer, ein schöner Mann (eben der „schöne Karl“ mit der weißen Nelke im Knopfloch). Nur beschränkte sich seine Popularität auf eine untergehende Klasse, die der Greißler, deren unrühmliches Ende der in solchen Rollen unvergleichliche Fritz Muliar mit dem Strick in der Hand weinend, greinend, unerträglich lange hinauszog („Der Dr. Lueger hat einmal mir die Hand gereicht ...“). Hier wäre, wenn schon, dann ein schnelleres Ende des sentimentalen Gemischt-warenhändlers zu wünschen gewesen. Aber nein, Andics wollte es dem Dümmsten einpauken: So untüchtig, so jämmerlich bist du, wenn du die Zeichen der Zeit nicht verstehst und dich nicht rechtzeitig umstellst...

Die untergehende und gottlob auch untergegangene Zeit des Dr. Karl Lueger — die letzten lästigen Reste mit den ohnehin verwitterten Bauten des Otto Wagner und Konsorten werden hoffentlich bald aus dem Weg geräumt — zeichnete sich laut Andics vor allem durch Heurigengesang und Karikaturzeichnungen aus. Auf diese beiden Motive stützte sich die ganze Darstellung. Der alte ■ Kaiser freilich, sporadisch auftauchend, vertiefte den angestrebten Gesamteindruck auf das vorteilhafteste. Aber knapp vor dem Ende beschränkte sich Lueger überhaupt nur noch aufs Tarockieren.

Es ist typisch, daß selbst das Denkmal für Lueger eine sozialistische Stadtverwaltung errichten ließ (wie dies Andics auch hervorhob), wodurch ja einmal mehr bewiesen wurde, daß irgendwelche rühmenswerte Taten nur von den auf die Lueger-Zeit folgenden Wiener Stadtvätern gesetzt wurden. Wer das nicht glaubt, soll dem Beispiel Muliars folgen...

Im übrigen: eine sehr kursorische, oberflächliche Sendung, bei der anscheinend Zeit, Geld und Mühe gespart wurden. Das Aufzeigen und die Analyse der historischen Beweggründe, der geistigen Strömungen und der wirtschaftlichen und sozialen Komponente dieses „österreichischen Jahrhunderts“ blieben bis auf ganz kurze und daher eher nichtssagende Hinweise völlig aus. Es war halt weniger anstrengend, die Sendezeit mit läppischen Heurigenszenen und Dacapo-Darbietungen des Fritz Muliar zu füllen....

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