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Feldeidechse gegen Seidenraupe

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Zwei Rauernfamilien auf Kreta spiegeln die politischen Wirren zu Reginn des 20. Jahrhunderts in Griechenland. Monarchie, Militärregierung, Ausrufung der Republik, Rückkehr des Königs und schließlich 1936 Installierung eines autoritären Regimes unter Metaxas bilden die Kulisse des Romans, in dem das Schicksal von zwei Familien durch einen Mord verwoben wird. • Warum dieser Mord verübt wird und wie er letztlich gesühnt wird, das bietet dem - für diesen Roman mit dem „Griechischen Nationalpreis für Literatur" bedachten - griechischen Autor Jorgi Jatromanolakis Gelegenheit, die versunkene Kultur seiner Heimat auferstehen zu lassen.

Die Rrüche sind selbst in der einfachen Landbevölkerung unüber-windbar: Die Familie des Mörders lebt in der „Lebensart der Feldeidechse ... die zeigt, daß, je trockener der Roden ist, in dem sie lebt, und je glühender Wind und Sonne sind, desto leichter sie sich nährt." Diese Familie findet mit dem Verkauf von Oliven, Rosinen und Johannisbrotschoten gerade ihr Auslangen. Die Familie des Ermordeten lebt nach Art der „Seidenraupe in einer feuchten und dunklen Umgebung dank der ununterbrochenen Sorge der anderen." Mit den Zinsen für kleine Darlehen, der Zucht von Seidenraupen und den guten Kontakten zu den Regionalpolitikern wächst ihr Reichtum.

Der Roman beschreibt spiralenför-mig die Ereignisse, immer wieder zu bereits Geschildertem zurückkehrend, sie aus immerer geringerer Distanz betrachtend. Der einfache Erzählton verdichtet sich zu einem Werk großer Tiefe, dem die äußeren Ereignisse, Politik, Naturgewalten, die Kulisse liefern, wobei die entscheidenden Kämpfe aber im Inneren der Personen stattfinden und von Glaube und Aberglaube, Ahnungen und Großväter-Wissen bestimmt werden.

Der Mord geschieht aus letztlich unerklärlichen Motiven und erscheint trotzdem logisch. Er wird mit Blutrache vergolten und ändert doch nichts am Schicksal der Familien. Er versetzt den Sohn des Mörders in den „Schlaf der Binder", einen Zustand höchster Gespanntheit und Sensibilität, in dem er durch Dinge und Menschen sieht und „die Schritte der Eidechsen, das Wachsen der Blätter oder das Wiederkäuen der Seidenraupen" hört.

Dieser Schlaf gleicht dem Augenblick der Intuition des Künstlers und gilt hier wohl als Metapher für die aufflackernde Erkenntnis tiefer Zusammenhänge in Grenzsituationen, die vieles erahnen läßt und doch nie wirklich Klarheit schafft.

DER SCHLAF DER RINDER

Roman von Jorgi Jatromanolakis. I 'bersetzung: Norbert Hauser. Verlag Bruckner & Thünker 1996. 191 Seiten, geb., Preis 277,-

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