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In memoriam Josef Kainz, 20. Sept. 1910

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O hält ich seine Stimme, hier um ihn Zu klagen! Seinen königlichen Anstand,

Mit meiner Klage dazustehen vor euchl Dann wahrlich wäre diese Stunde grorj Und Glanz und Königtum auf mir, und mehr Als Trauer: denn dem Tun der Könige Ist Herrlichkeit und Jubel beigemengt, Auch wo sie klagen und ein Totenfest begehen.

O seine Stimme, dal} sie unter uns Die Flügel schlügel Woher tönte sie? Woher drang dies an unser Ohr? Wer sprach Mit solcher Zunge? Welcher Fürst und Dämon Sprach da zu uns? Wer sprach von diesen Brettern Herab? Wer redete da aus dem Leib 1

Des unglückseligen Richard Plantagenet Oder des Tasso? Wer?

Ein Unverwandelter in viel Verwandlungen, Ein nie bezauberter Bezaubere!-, Ein Ungerührter, der uns rührte, einer,

Der fern war, dg!wjr;jrjßinten„eri,l5fti nfflh^ . u raaasna

Ein Fremdling über allen Fremdlingen,

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Der Bote aller Boten, namenlos Und Bote eines namenlosen Herrn.

Er ist an uns vorüber. Seine Seele War eine allzu schnelle Seele, und Sein Aug glich allzusehr dem Aug des Vogels, Dies Haus hat ihn gehabt — doch hielt es ihn? Wir haben ihn gehabt — er fiel dahin, Wie unsere eigene Jugend uns entfällt, Grausam und prangend, gleich dem Wassersturz.

O Unrast! O Geheimnis, offenkundiges Geheimnis menschlicher Natur! O Wesen, Wer warst du? O Schweifender! O Fremdling! O nächtlicher Gespräche Einsamkeit Mit deinen höchst zufälligen Genossen! O starrend tiefe Herzenseinsamkeit! O ruheloser Geist! Geist ohne Schlaf! O Geist! O Stimme! Wundervolles Licht! Wie du hinliefest, weifjes Licht, und rings Ins Dunkel aus den Worten dir Paläste Hinbaues!, drin für eines Herzschlags Frist Wir mit dir wohnten — Stimme, die wir nie Vergessen werden — o Geschick — o Ende — Geheimnisvolles Leben! Dunkler Tod! O wie das Leben um ihn,rang und niemals Ihn ganz verstricken konnte ins Geheimnis Wollüstiger Verwandlung! Wie er blieb! Wie königlich er standhielt! Wie er, schmal, gleich einem Knaben, stand! O kleine Hand Voll Kraft, o kleines Haupt auf feinen Schultern, O vogeihaffes Auge, das verschmähte, Jung oder alt zu sein, schlafloses Aug, O Aug des Sperbers, der auch vor der Sonne Den Blick nicht niederschlägt, o kühnes Aug, Das beiderlei Abgrund gemessen hat, Des Lebens wie des Todes — Aug des Bolen! O Bote aller Boten, Geist! Du Geist! Dein Bleiben unter uns war ein Verschmähen, Fortwollender! Enteilter! Aufgeflogenerl

Ich klage nicht um dich. Ich weih jetzt, wer du warst, Schauspieler ohne Maske du, Vergeistiger, Du bist empor, und wo mein Auge dich Nicht sieht, dort kreisest du, dem Sperber gleich, Dem Unzerstörbaren, und hältst in Fängen Den Spiegel, der ein weifjes Licht herabwirft, Weiher als Licht der Sterne: dieses Lichtes Bote und Träger bist du immerdar, Und als des Schwebend-Unzerstörbaren Gedenken wir des Geistes, der du bist.

O Stimme! Seele! aufgeflogene!

Dieses Gedicht, schrieb Hugo von Hofmannsthal im Jahre 1910 unter dem unmittelbaren Eindruck der Todesnachricht. Die mit freundlicher GenehmAauna des Verlages hier abgedruckten Verse finden sich heute im ersten Band der „Oesammelten Werke in Einzelausgaben“, die im S.-Fischer-Verlag, Frankfurt, erschienen sind.

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SEITE 10 / NUMMER 38 17. SEPTEMBER 1960

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