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Peter Anich, der STERNSUCHER

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39. Fortsetzung

„Den will ich ja“, sagte der Pater und stellte den nürnbergischen wieder auf den Tisch zurück. „Kleine und mäßige haben wir genug. Einen großen will ich, der eine Zier sein kann für unser Kabinett. Drechseln kannst du, das Schreiben und Stechen wirst du lernen, dafür hab ich Bücher, dafür hast du deinen Fleiß. Deine Auslagen schreib auf, wir rechnen jeden Monat ab. Auch die Stunden, die du darauf verwendest, werde ich bezahlen. Und weshalb soll euer Kurat allein so ein künstliches Werk haben?' Eine Sonnenuhr ist's freilich nicht. Den Himmelsatlas aber kannst du einmal später mit dir heimtragen.“

„Weshalb darf ich ihn nicht gleich heut mitnehmen?“ Dem Professor lief es kalt über den Rücken, als er dem Bauern nun in die Augen blickte.

„Nimm ihn nur gleich mit“, sagte er, „und vielleicht vertraut mir der Peter jetzt.“

„Mein seliger Vater könnt nicht anders zu mir sein“, sagte Peter, wandte sich ab und trat ans Fenster. Die vielen unsichtbaren Gipfel und Zinken jenseits der Kare standen jetzt vor seinem Gesicht.

15, Kapitel K

In jenem Abend kam Peter spät heim. Er hatte schwer an dem Folianten getragen. Die Marie kam ihm schon bei der Urlaubskapelle entgegen. „Nein, er brauche sich nicht ängstigen“, sagte sie, „es sei nichts passiert daheim. Sie hätten nur den Nachmittag über die große.Stube ausgeräumt und seine Sachen eingeräumt und aufgestellt, die Drechselbank, den Tisch mit den Büchern, alles was da an Instrumenten herumliege, auch sein Bett, daß er gleich in der Werkstatt schlafen könne.“

„Hast mir gleich die frohe Botschaft gebracht“, sagte Peter.

Beim Essen erzählte er dann von dem neuen Auftrag, so wie der Professor ihn gegeben hatte, nicht wie er ihn bereits in seinen Gedanken hatte, und da,s war bereits sehr viel mehr. Zum erstenmal redete er bei Tische und zu allen von seiner Arbeit.

Doch jetzt, wo er nur frohe Gesichter erwartete und ihre Mitfreude brauchte, blieben sie seltsam still. „Es ist eine große Ehre“, sagte Leni, „er soll es besser machen als die Nürnberger Herren. Was der Peter nicht alles können soll!“

Die Mutter ließ sich diese seltsame Kugel, von der man die Sterne ablesen könne wie Vom lebendigen Himmel, noch einmal genau erklären, aber sie schüttelte auch nachher den Kopf. Erst die Marie fragte, was aller Frage war: „Und über das Feldmessen habt ihr nicht gesprochen?“

Gesprochen hätten sie wohl davon, sagte Peter, aber er könne doch nicht von daheim fort. Gleich Monate und Jahre lang. Bauer sein und Feldmesser, das vertrage sich schlecht.

„Weshalb kannst du nicht von daheim fort?“ Wieder war es die Marie.

„Wenn die teni heiratet?“

Dann sei doch auch sie selber da, die Marie. Sie hoffe wenigstens, daß man ihr ein Haus überlassen könne. Wenn sie dem Peter zu minder sei, dann gehe sie noch am nämlichen Tag auf und davon. Wenn er aber die Heirat der Leni nur vorschiebe und da meine, er dürfe nichts Besseres im Leben werden als ein Bauer, dann habe er sehr wenig von seinem Vater an sich, der hätte mit beiden Händen zugegriffen und säße, wenn er noch lebte, sicher nicht mehr in Perfuß.

„Darüber kann die Marie am wenigsten urteilen“, sagte Leni dazwischen. Die Mutter aber nickte der älteren Tochter zu. „Unser seliger Vater tat es schon begreifen. Ob er es selber getan hätte, das weiß ich nicht.“

Peter aber stand jetzt auf und ging in die Stube hinüber. Dort warf er sich angekleidet auf das Bett. Noch nie an einem Samstag war er so müd heimgekommen. Doch wenn er die Augen schloß, tanzte die Himmelskugel ungeheuerlich im Dunkel seiner Gedanken. Die väterliche Stimme des Professors redete wieder zu ihm und das fremde, das enttäuschte Wort der Seinen. Er sprang wieder auf und trat in den Garten hinaus. Als er vor dem alten Hokhaufen stand, trat ihm die Leni in den Weg. Ob sie etwas vergessen hätten, fragte sie mit zitternder Stimme.

„Ich schau nur gleich, ob ich genug buchene Scheiter für die Kugel daheim hab. Die hat der Vater noch heimgeführt, die sind sicher trocken.“ Er wandte sich scharf nach ihr um: „Ihr habt keine Freude damit.“

„Dann hätten wir dir nicht die beste Stube als Werkstatt eingeräumt. Die Marie hat es gewünscht, und wir könnten jetzt auch empfindlich sein, daß du dich so wenig darüber freust.“

„Mit der Heirat brauchst du deshalb nicht zu warten.“

Ach, sie denke doch nicht den ganzen Tag an die Heirat, jetzt erst recht nicht.

Nein, sie habe ein Recht darauf. Zu Lichtmeß kämen ein Knecht und eine Magd ins Haus, und im Fasching werde dann geheiratet. „Es ist doch gleidi, ob idi neben der Bauernarbeit Sonnenuhren mach oder eine Himmelskugel.“

Die Schwester drückte seine Hand.

„Es ist sdion seltsam, wie das alles kommt“, sagte Peter.

In der Früh ging Peter mit aufs Feld. An den Nachmittagen und jeden regnerischen Tag lief er im Dorf umher, auch nach Ranggen hinüber und nach Unterperfuß, bis er einen Birkenblock auftrieb, aus dem sich etwa eine Viertelkugel von drei Fuß Durchmesser drechseln ließ. Kleiner durfte die Himmelskugel nicht werden, das stand für ihn bereits fest. In Axams trieb er auch einen solchen Block auf, nach • weiteren drei Tagen lud ihn ein Flachsbauer vor dem Anichhofe ab. Gut sechs Himmelskugeln, wie sie der Professor von ihm erwartete, konnte er aus diesem Block schneiden. Eine Woche lang werkte Peter an der Drechselbank, verstärkte die Riemen, legte ein größeres Triebrad an das alte, es war noch eines vom Vater her da, und schnitt sich den Block mit dem Beil nach der groben Form zurecht. In die Bank brachte er ihn trotzdem nicht hinein, auch die vorläufige Rundung erschien ihm fragwürdig genug. Und wieder drei Tage später sägte er das Trumm der Länge nach durch.

Auch die Achtelkugel erwies sich noch als zu umständlich, und erst mit der nochmals geteilten kam er durch. Er brauchte jetzt auch nicht erst nach Axams um neue Blöcke laufen. Scheiter dieser Größe lagen etliche im Garten. An den beiden ersten Stücken arbeitete er gut zehn Tage. Dann waren aber die Außenkugelseiten blank wie eine Kegelkugel, und da er diese beiden ersten Stücke zusammenleimte, war die Fuge kaum zu tasten.

Der Erhardt wog denn auch das Stück, beäugte es bei Licht und strich prüfend über die blanke Krümmung. „Ich- kenn die Nürnberger Kugeln nicht“, sagte er, „aber ich möcht nicht unter ihre Haut sehn, ob sie so kunstvoll gedrechselt sind. Vorausgesetzt, daß die Nürnberger sich an so große Kugeln überhaupt wagen. Nur furcht ich, das Holz wird sich werfen, bald es in die Wärme kommt.“

Peter schwieg. Er legte aber das Stück die Nacht über in die Nähe des Herdes. Und es warf sich. Der Leim hielt. Doch an den künftigen Polen sah man das Trumm gebäumt und verbogen zu einer wahren Mustersammlung schwieriger Flächen und Kurven und Sdinitte.

Der Erhardt hatte gewarnt, der Erhardt wußte auch jetzt Rat. Peter schnitt die riesigen Blöcke in schmale Platten und Streifen, leimte sie aneinander und überquer und ließ sie eine Woche lang im Schraubstock trocknen. Die Dreharbeit erwies sich nun als schwieriger, doch die Stücke hielten die Form, auch wenn er sie neben das offene Feuer legte und vorher in Wasser.

Wenn einem Mannsbild in der ganzen Welt, dann vergönnte er die Leni dem Nachbarn.

Wenn Peter vom Drechseln und Sägen und Leimen und Spannen müde war, und in den Stunden des täglichen Feierabends, betrachtete er dann wieder die mächtigen

Sternkarten, verglich die angenommenen Kugelflächen mit den Doppelmayerschen Abbildern, entwarf maßgerechte Skizzen und zeichnete die gewählten Sterne ein, oder er maß an klaren Tagen die Polhöhen der einzelnen Gestirne und verzeichnete sie auf großen Bogen und verglich sie mit den Angaben des Buches. Noch heißer liebte er ein neues handliches Buch, das der Professor ihm mitgegeben hatte. Auf knappen einhundertzwanzig Seiten war da alles eingefangen, was er brauchte und im Atlas allein nicht vorgefunden hatte. Eine mathematische und historische Beschreibung des ganzen Weltgebäudes war da versprochen, wohl zum nützlichen Gebrauch zweier auf neue Art verfertigten Erd- und Himmelskugeln, immerhin aber nidit weniger nutzbar für einen, der selber eine noch neuere und bessere Himmelskugel zimmern wollte. Stern um Stern standen da in seitenlangen Tabellen ihrer Länge und Höhe nadi ver--zeidmet, so wie sie Herr Coronelle in Venedig gemessen hatte. Auch was die heidnischen Skribenten und sonderlich die Poeten über die Sterneund Sternbilder zu sagen wußten, stand da gedruckt. Aber auch die „breiten Striche und Fascii“ auf der Himmelskugel waren weitläufig beschrieben, der Zodiakus, die Ekliptik, die Himmlischen Häuser, das Sonnenhaus und das Mondhaus, die Parallelkreise. Das.Xl. Kapitel hinwieder brachte eine genaueste Beschreibung der Fixsterne, ihrer Stellungen und Bewegungen, ihrer Sternbilder und die Bestimmung der einzelnen zu den Bildern zählenden Sterne.

Die beiden Schwestern waren fast unversehens ins Streiten geraten. Es fing damit an, daß die Marie eines Tages mit Leni die Sdilafkammer tauschen wollte. Sie ertrüge den Leimgeruch sdilecht, sagte sie, und die stundenlange Hämmerei und das Brummen und Schnurren der Drehbank noch weniger. Ganze Nächte lang liege sie dann, einmal aus dem Schlaf geweckt, wach, ja ihr seliger Mann sei ihr auch bereits als grausige Wasserleiche erschienen. Die Leni aber hätte dodi an der Arbeit Peters ihr gemessenes Vergnügen, so sollte sie auch die Unannehmlichkeiten haben, für sie seien es sicherlich Annehmlidikeiten.

Die Marie zog denn auch am nämlichen Tag in die Kammer neben der Mutter in den oberen Stock.

Peter merkte das .neue Ungewitter kaum, nur daß die Mutter ihn gar so sorgenvoll anblickte, bedrückte ihn. Er dachte aber, sie sorge sich um seine Arbeit. Ob die Kugel auch fortschreite, ob ihr Bub einer so ungewöhnlichen und schwierigen Aufgabe gewachsen sei, ob so ein künstliches Werk für einen Bauern doch nicht gar kindisch herschaue und ob es ihn nicht von der nützlichen Feldmesserei abziehe. Aber je mehr er die Mutter an seiner Arbeit teilhaben ließ, desto stiller und nachdenklicher fand er sie. Nur der Leni gegenüber eröffnete sie ihr Herz. „Auch damals, eh Marie nach Hötting entlaufen ist, ist sie wie ein Gespenst im Haus umgegangen, nirgends hat sie schlafen können, kein Sessel ist ihr recht gestanden, jeden Tag hat sie die Truhen und die Betten herumgerückt. Ist nur die Unruhe in ihr, die sie uns unleidlich macht.“

„Wenn sie nur schon wieder aus dem Haus war“, rief Leni. „Ich kann doch nichts dafür, daß ihr Mann ein Landstreicher war.“

„Dafür kannst du nichts, aber für dein hartes Wort mußt am Ende büßen. Audi hat sie ihre unruhige Art nur von unserm

Vater. Auch der Peter ist nicht anders. Deshalb will er auch nicht fort, weil er es weiß.“

Sie redeten dann nicht mehr darüber.

Dafür kam in jenen Tagen der Schwager heim. Er hatte'in Südtirol Wein zusammengekauft und jedesmal gleich wieder zu guten Preisen weiterverhandelt. Mit drei Fuhren gutem Wein kam er jetzt heim und mit einer vollen Geldkatze. Man merkte es seinen harten federnden Schritten an. Vor der nun fast fertigen Kugel stand er lange Zeit, dann schüttelte er den Kopf und ging aus der Stube. Er habe für Spielereien jetzt wenig Zeit, sagte er draußen, und sie sollten um Himmels willen auf den Peter ein Aug haben, der Professor mache aus ihm mit den Jahren noch wirklich einen Narren.

Peter war ihm nachgegangen und hörte das letzte Wort, Da drehte er sich scharf um, ging in die Stube zurück und setzte den letzten Kugelzwickel ein. Er paßte fugenlos.

Am nächsten Vormittag, daß er nur keinem Menschen dabei begegne, eilte Peter in die Schmiede hinüber. Dort breitete er die großen Papiere vor dem Hörtnagl aus. Alles, was er an Eisenteilen braudite, stand da sauber vorgezeichnet'und mit den ridi-tigen Maßen versehn. Die Achse der Kugel, der Meridiankreis und der Himmelsäquator, die Beschläge für das Gestell. Sie prüften und maßen das alles noch einmal und beredeten, aus welchen Eisen es zu schmieden sei und was man aus glattem Eisen belassen könne oder wie man die äußeren Kreise und Beschläge mit Messing überziehen lassen müsse. Für die Beschläge und die noch nicht festgelegten Räderdien sdilug Hörtnagl reines Messing vor, freilich sei er ein Grobschmied und kein Messingschmied, auch auf Zähne oder Zahnräder verstehe er sich schlecht. Überhaupt scheine ihm die ganze Anlage allzu künstlich. Am Ende ward er auch an den einfachen Stangen und Kreisen irr, und der Hörtnagl war kein langweiliger oder gar dem Peter mißgünstiger Mann. Am besten sei es dodi, man probiere die Eisenachse gleich an Ort und Stelle aus, meinte er dann. Das sei sicherlich am besten, sagte Peter, denn er brannte nur darauf, daß nunmehr einer, der sich auf solche Arbeiten verstand oder wenigstens nicht von vornherein dagegen war, die fertige Kugel besichtige.

Mit den Papieren und einer mächtigen Eisenstange ausgerüstet, begegneten sie in der Nähe der Poltenkapelle dem Kuraten. Ob sie da eine neue Sonnenuhr anpaßten, fragte er freudig, die Stange deute darauf. Als er dann aber hörte, es handle sich diesmal um keine Sonnenuhr, sondern um eine riesige hölzerne Kugel, der man freilich noch nicht ansehe, daß sie einst weit über tausend Sterne und an die siebzig Sternbilder tragen werde, also sdiier den ganzen wirklichen Himmel oder , wenigstens ein ausreichendes Abbild dieses Himmels, da ward der Kurat sehr nachdenklich, und er bat Peter, daß er mit ihm einige Schritte vorangehe. Er selbst müsse ja wieder heim. Ob er denn mit dem Professor noch nicht geredet habe, fragte er dann, und wenn ja und diese Kugel nun dabei rferausgekommen sei, ob denn Herr von Weinhart ein so ganz unmöglicher Menschenkenner “sei oder bloß einer von den Gelehrten, die vor lauter eigener, 'zumeist höchst überflüssiger Arbeit einfach den absonderlichsten und gefährlichsten Wünschen ihrer Sdiüler nachgebe. Er selbst habe ja die Rederei, daß der Peter wieder etwas Neues und höchst Heimliches betreibe, bislang nicht geglaubt. Aber die Leute hätten, das ersehe man auch an diesem Fall, doch immer nicht so unrecht. Ein Sterndeuter wolle er werden, sagten sie schon, ein Kalendermacher, an sich gar keine so nutzlose Person, halbe Nächte lang sitze er nun wieder auf dem Birnbaum, eine Sternenuhr, eine ganz neuartige, wolle er bauen, und wenn der Peter dann wirklich närrisch werde, habe er, der Kurat, die ganze Schuld.

(Fortsetzung folgt.)

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