Wir guten Menschenrechtler

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Der Religionssoziologe Hans Joas flickt in seiner kleinen Streitschrift "Sind die Menschenrechte westlich?" einem grassierenden Triumphalismus am Zeug. Zwei Neuerscheinungen zum Thema.

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Der Religionssoziologe Hans Joas flickt in seiner kleinen Streitschrift "Sind die Menschenrechte westlich?" einem grassierenden Triumphalismus am Zeug. Zwei Neuerscheinungen zum Thema.

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Ein kleines Büchlein nur, das Hans Joas vorlegt. Der Titel der dennoch gewichtigen Streitschrift ist eine rhetorische Frage: "Sind die Menschenrechte westlich?" Auf wenigen Seiten malt der Religionssoziologe, einer der einflussreichsten Denker im Spannungsfeld Gesellschaft und Religion, mit grobem Pinsel ein warnendes Bild: Nein, obwohl der "Westen"(auch diesen Begriff zerpflückt Joas sowohl geografisch wie phänomenologisch) die Menschenrechte als die Errungenschaft vor sich herträgt, sind sie keineswegs ein westliche Erbpacht, auch kein westliches Erbgut. Die Menschenrechte muss man, so hat Joas schon in früheren Ausführungen dargelegt, als Ergebnis einer kulturellen Transformation verstehen, die er mit dem Begriff "Sakralität der Person" umschreibt. Diese Transformation wurzelt keineswegs allein in religiösen oder antireligiösen Entwicklungen, die im Diskurs in unseren Breiten gern unter dem Schlagwort "Aufklärung" subsumiert werden.

Joas sucht nachzuweisen, dass auch die konkrete Formulierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, an deren Redaktion u.a. der Libanese Charles Malik und der Chinese Peng-Chun Chang beteiligt waren, nicht bloß als Ergebnis "westlichen" Denkens gelten können. Die Geschichte der "Sakralität der Person" ortet er in allen Religionen, die zur sogenannten "Achsenzeit"(800 bis 200 v. Chr.), ein Begriff, den der Philosoph Karl Jaspers eingeführt hat, ihren Ursprung hatten -nicht nur der jüdischchristliche Kulturkreis kennt sie, sondern etwa auch der Konfuzianismus oder Buddhismus. Und die Entwicklungen zur heutigen Sicht der Menschenrechte sind alles andere als gradlinige Fortschritte: Für Joas gibt es in all diesen Religionen Vorgänge, die in Richtung des von ihm benannten Sakralisierungsprozesses fortgeschritten sind - wie auch in die Gegenrichtung. Gleiches gelte für philosophische Ansätze im Gefolge von Platon &Co. Aber auch gegen die Behauptung, die Menschenrechte seien hauptsächlich gegen die Ansprüche der Religion(en) durchgesetzt worden, stellt sich Joas.

Wider den moralischen Paternalismus

Der Autor der kleinen Streitschrift schreibt vor allem gegen einen westlichen Triumphalismus an, der meint, mit den Menschenrechten sein globales Handeln legitimieren zu können. Immerhin stehen viele der globalen Interventionen unter dem Titel der "Menschenrechte" - auch bei der Invasion des Irak 2003 etwa wurden derartige Banner vorangetragen. Joas versucht aufzuzeigen, wie brüchig und fragil diese moralische Legitimationen angesichts der Realitäten sind - die Bilder von den Untaten im irakischen Gefängnis Abu Ghraib sind noch in schlechter Erinnerung. Und auch wenn Sicherheitsargumente wie nach 9/11 oder den vielen Terroranschlägen seither in den Vordergrund treten, können Grundpfeiler der Menschenrechte wie das Folterverbot (Stichwort: Guantanamo) zur Makulatur werden.

Joas exemplifiziert das an zwei Entwicklungen, die für den Weg zur "Sakralität der Person" entscheidend waren: die Abschaffung der Sklaverei und das Folterverbot. Auch hier zeigt er auf, wie inkonsistent dies gerade im Westen vor sich ging. Auch bei der Sklaverei ist, so Joas, keine religiöse Eindeutigkeit zu finden, er findet religiös motivierte Akzeptanz der Sklaverei ebenso wie deren Ablehnung. Frappierend, wie Joas aufzeigt, dass gerade die Meilensteine der Menschenrechte scheinbar unbeeinflusst von der Sklaverei-Frage blieben: Die US-amerikanische Bill of Rights von 1789 hatte mitnichten die Abschaffung der Sklaverei im Blick, und während im 19. Jahrhundert in den europäischen Staaten Menschenwürde immer mehr auch in die Rechtssysteme Eingang fand, galt dies in den Kolonien nicht. Joas versucht sogar nachzuweisen, dass die rechtliche Legitimation der Sklaverei gleichzeitig mit der rechtlichen Verankerung von persönlichen Freiheitsrechten bei den Ländern im Norden einherging.

Abschaffung der Sklaverei und der Folter

Ähnlich ernüchternd fällt sein Befund zur Abschaffung der Folter aus, die auch im Westen keineswegs dauerhaft obsolet wurde - siehe die Foltergefängnisse auf europäischem Boden nach 2001. Das Büchlein mündet in die Konklusion, alle Prozesse, die zur "Sakralisierung der Person" geführt hätten, seien fragil. Joas: "Auch in der Rede von den 'europäischen Werten' höre ich häufig weniger die Herausforderung zur Selbstkritik und mehr den Tonfall des sicheren Besitzes. Eine solche Verwendung universalistischer Werte aber ist selbstwidersprüchlich in der Weise, die der ähnelt, die wir von der 'Verwendung des zentralen Leidens- und Opfersymbols des Kreuzes, als Kriegs- und Siegeszeichen in den Kreuzzügen' her kennen."

Hans Joas ist mit seinen Ausführungen ein Weckruf gelungen -auch wenn die Kritik daran nicht auf sich warten ließ. So moniert Andreas Zielcke in der Süddeutschen, es stimme wohl, dass etwa der Konfuzianismus Menschenwürde kenne, aber nirgends sei das auch ins Rechtssystem eingeflossen: "Eine originäre asiatische oder afrikanische Magna Charta oder Bill of Rights existiert nicht."

Unabhängig davon ist es lohnend, sich mit den religiösen und philosophischen Quellen der Menschenrechte auseinanderzusetzen. Der aus Österreich gebürtige, später in Kanada lehrende und bei zahlreichen internationalen Missionen ausgewiesene Experte und Völkerrechtler Peter Leuprecht tut dies in seinem Büchlein "Vernunft, Gerechtigkeit, Würde", das er im Untertitel als "Eine Reise zu chinesischen, islamischen und westlichen Quellen der Menschenrechte" ausweist. Leuprechts gut lesbare und informative Schrift kann durchaus komplementär zu Hans Joas gelesen werden, wobei dieser Autor auch ausführlich auf islamische Quellen eingeht: Leuprecht thematisiert da auch offen die Schwierigkeiten, die ein Gutteil der heutigen islamischen Welt mit einem Primat der Menschenrechte hat.

Vernunft, Gerechtigkeit, Würde

Eine Reise zu chinesischen, islamischen und westlichen Quellen der Menschenrechte. Von Peter Leuprecht. Drava 2015.136 Seiten, kt., € 15,80

Sind die Menschenrechte westlich?

Von Hans Joas

Kösel 2015

96 Seiten, geb. € 10,30

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