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Filmfestival Venedig. Die Hauptpreise gingen an Mike Leighs Abtreibungsdrama "Vera Drake" und Alejandro Amenábas "Mar adentro".

Es sind die universellen, abstrakten Themen, die es besonders schwer haben, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zu erregen. Mit großem medialem Aufwand versuchen Organisationen wie Greenpeace oder der WWF für eine kostenpflichtige Mitgliedschaft zu werben. Von Sekten, Drogen oder Sozialarbeit hört jedes Kind im Laufe seiner Schulzeit immer wieder, ohne auch nur einmal unter den Deckmantel des Konkreten blicken zu können. Wer kennt schon Menschen, die an Aids leiden? Wer kennt jemanden, der offen zugibt, schon einmal abgetrieben zu haben?

Das Kino bietet einen ausgezeichneten Rahmen, um universelle Themen konkret nachvollziehbar zu machen. Jedes Thema muss auf ein Einzelschicksal heruntergebrochen werden. Dann weckt es in den Zuschauern Emotionen. Dann schafft es Identifikationsfiguren, die zum Nachdenken globaler Probleme anregen.

Beim diesjährigen Filmfestival von Venedig sind gleich zwei Filme die Hauptpreisträger, die sich mit abstrakt klingenden Themen befassen: Abtreibung auf der einen, Sterbehilfe auf der anderen Seite.

Tötungsfrage

Der britische Regisseur Mike Leigh, dessen Film "Vera Drake" beim Filmfestival von Venedig am Samstag mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde, erzählt in bekannt sozialkritischer Weise von einer "Engelmacherin": Vera Drake, die ein langweiliges Lower-Class-Leben im London der 50er Jahre führt, betätigt sich geheimerweise als Helferin für junge schwangere Mädchen, die ihr Kind nicht bekommen möchten - doch als eines der Opfer nach der Abtreibung im Spital landet, ermitteln die Behörden plötzlich gegen Vera.

Ein konventionelles Drama, das, zwar einfühlsam inszeniert, die Schuld im britischen Klassendenken sucht. Eine brav gemachte Abhandlung eines komplizierten Themas, das den Hauptpreis erhielt. Zugleich konnte Imelda Staunton für ihre Rolle den Preis für die beste Darstellerin entgegennehmen.

Sterbefrage

Der Spanier Alejandro Amenábar, der bereits Hollywood-Erfahrung aufweisen kann ("The Others"), beschäftigt sich in "Mar adentro" mit dem nicht weniger abstrakten, universellen Thema Behinderung und erhält für sein Werk den Großen Preis der Jury.

Ein alter Mann, der sich in seiner Jugend bei einem ungeschickten Sprung ins Wasser die Wirbelsäule brach und seither vom Kopf abwärts gelähmt im Bett liegt, beschließt zu sterben. Wie aber sterben ohne fremde Hilfe? Deshalb strebt er im katholischen Spanien einen Musterprozess für die Legalisierung von aktiver Sterbehilfe an. Ihm behilflich soll dabei eine Anwältin sein, die ihrerseits an einer unheilbaren Krankheit leidet - und in die sich der Patient schließlich verliebt. Amenábar greift tief in die Trickkiste der Rührseligkeiten, schaffte es aber dadurch, das Publikum zu packen, es fortzutragen und es am Ende des Dramas nachdenklich zu entlassen. Javier Bardem wurde für die Hauptrolle zum besten männlichen Darsteller gewählt.

Leider ohne Preise blieben Wim Wenders neuer Film "Land of Plenty", eine gelungene Post-9/11-Doku, sowie Todd Solondz' "Palindromes", für viele der stärkste und modernste Film des Wettbewerbs. Auch Francois Ozons "5 x 2" ging leer aus: Das Drama erzählt die verschiedenen Stadien einer Beziehung von hinten nach vorne. Ozon beginnt mit der Scheidung, setzt mit dem Alltagsleben fort, zeigt dann die Geburt des ersten Kindes, danach die Hochzeit und schließlich das Kennenlernen der beiden Protagonisten. In Ozons Filmen sind die Männer stets Nebendarsteller, der Regisseur versteht es, ganz tief in die weibliche Psyche einzudringen. "5 x 2" ist ein einfacher Film, durch seine umgekehrte Chronologie spannend wie ein Krimi, der - ebenso wie "Vera Drake" oder "Mar adentro" - ein universelles Thema auf ein Einzelschicksal herunterbricht.

Besuch aus Übersee

Der neue Festival-Leiter Marco Müller hat sich für sein Debüt am Lido in nur vier Monaten Vorbereitungszeit viel Mühe gegeben. Doch durch die Anwesenheit zahlreicher Hollywood-Stars wurde vom eigentlichen Zweck dieses Filmfestes abgelenkt: Die Filmkunst, sie muss sich immer mehr anstrengen, sich im medialen Trubel gegen die Filmereignisse aus Hollywood zu behaupten.

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