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Aus Tauben wurden Falken

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Das Trauma des verlorenen Vietnamkrieges hat jahrelang in die amerikanische Außenpolitik hineingewirkt. Nach der noch immer andauernden Geiselaffäre in Teheran und dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan dürfte diese Phase der sich außenpolitisch zurückhaltenden, weil durch Schuldgefühle hauptsächlich mit sich selber beschäftigten Weltmacht wohl endgültig zu Ende sein. Die Vereinigten Staaten, scheint's, sind aus ihrem Halbschlaf weltpolitischer Abstinenz rüde aufgeweckt worden.

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Das Trauma des verlorenen Vietnamkrieges hat jahrelang in die amerikanische Außenpolitik hineingewirkt. Nach der noch immer andauernden Geiselaffäre in Teheran und dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan dürfte diese Phase der sich außenpolitisch zurückhaltenden, weil durch Schuldgefühle hauptsächlich mit sich selber beschäftigten Weltmacht wohl endgültig zu Ende sein. Die Vereinigten Staaten, scheint's, sind aus ihrem Halbschlaf weltpolitischer Abstinenz rüde aufgeweckt worden.

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Der junge Mann, Mitarbeiter der Lobby „Americans for SALT" (Amerikaner für SALT), wußte nicht so recht, wie ihm geschah, als er seine ' Unterlagen im State Departement abliefern wollte. Vor der Eingangstür des amerikanischen Außenministeriums rannte auf einmal eine Horde Reporter auf ihn zu, Fernsehkameras begannen zu surren, einer der Journalisten stellte die Frage: „Haben Sie den Bericht über die Behandlung der amerikanischen Geiseln in Teheran? Was steht in dem Bericht?"

Die Antwort des SALT-Lobby-Mitarbeiters kam prompt, wenn auch unbefriedigend für die Femsehjour-nalisten: „Darüber weiß ich leider nichts. Aber ich kann Ihnen sagen, wie wichtig die Ratifizierung des SALT-Vertrages für unsere Zukunft ist..." Die Kameras hörten sofort auf zu surren, die Reporter steckten ihre Notizblöcke wieder ein: „Mein Gott, wer interessiert sich denn jetzt noch für den SALT-Vertrag", machte einer der Journalisten seinem Ärger über die Personenverwechslung Luft.

Und tatsächlich: Abrüstung ist im Washington dieser Tage ein Thema mit wenig Neuigkeitswert. Denn mit der sowjetischen Invasion in Afghanistan ist das Pendel der öffentlichen Meinung wieder endgültig ins andere

Extrem umgeschlagen, nachdem schon eine sowjetische Kampfbrigade auf Kuba und dann die Geiselnahme amerikanischer Botschaftsangehöriger in Teheran durch angebliche „Studenten" einen Stimmungsumschwung herbeigeführt hatten.

Ein Beamter im State Departement bestätigt: „Vor allem die Geiselaffäre in Teheran hat die Leute hier in den Vereinigten Staaten in einem Maße militant werden lassen, wie wir das seit vielen, vielen Jahren nicht mehr erlebt haben." Selbst Leute, die in Zusammenhang mit Ereignissen außerhalb der USA immer zur Zurückhaltung Washingtons gemahnt hätten, verträten jetzt die Ansicht: „Wir müssen endlich etwas unternehmen!"

Dabei entspricht das Bild des zornigen amerikanischen Anti-Iran-Demonstranten, der auf einem Transparent von seiner Regierung „Nuke Iran!" („Werft Atombomben auf den Iran!") fordert, sicherlich nicht der Meinung der breiten amerikanischen Öffentlichkeit.

Hysterisch sind etwa in Washington höchstens die Fernsehreporter, die den ganzen Tag zwischen iranischer, afghanischer und sowjetischer Botschaft sowie dem State Departement hin- und herrasen - auf der Suche nach „news", die von den großen Fernsehanstalten dann genauso präsentiert werden wie die Werbeeinschaltungen, die alle 15 bis 20 Minuten die Programme unterbrechen ...

Dennoch: eine Haltungsänderung im politischen Bewußtsein der US-Bürger ist unverkennbar, und derzeit steckt wohl die gesamte amerikanische Außenpolitik in einer Umbruchphase. Was die breite Masse der Amerikaner dabei von ihrer Regierung erwartet, sind weniger Dinge im Sinne des schon erwähnten „Nuke Iran", sondern schlicht und einfach Maßnahmen, die der tatsächlichen

Stärke der Vereinigten Staaten entsprechen. Eine Blockade Irans, um Teheran wirtschaftlich in die Knie zu zwingen, ist eine der Maßnahmen, an die viele Amerikaner denken.

Daß Hafenarbeiter sich weigern, sowjetische Schiffe zu ver- und entladen, zeigt auch, wie tief der Unmut der Amerikaner über den Sowjeteinmarsch in Afghanistan sitzt. Und das ist eigentlich schon überraschend. Schließlich betreffen die Ereignisse in Zentralasien ja nicht unmittelbar die amerikanischen Sicherheitsinteressen, sind die amerikanischen Gegenmaßnahmen - etwa die scharfe Kürzung der amerikanischen Getreidelieferungen an die Sowjetunion - eine Sache, für die jeder US-Bürger einen Preis zu zahlen hat.

Offensichtlich sind sie bereit, diesen zu zahlen. Uberhaupt haben etwa ausländische politische Beobachter mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen müssen, zu was für einer Einmütigkeit in der öffentlichen Meinung Amerikas die Teheraner Geiselaffäre und der Sowjeteinmarsch in Afghanistan geführt haben. Zynischer Kommentar der „New York Times" dazu: „Ein Hurra für den Ayatollah." Stärker geworden ist durch diese Krisen aber nicht nur das amerikani-'sche Zusammengehörigkeitsgefühl, eewonnen hat dadurch vor allem auch Präsident Jimmy Carter, der noch vor Wochen als geradezu erbärmliche politische Figur in der breiten Öffentlichkeit dagestanden ist.

Allerdings: Daß die Nation in Krisenzeiten zum Präsidenten steht, ist in der amerikanischen Politik gewissermaßen ein historisches Faktum, das aus der Erkenntnis erwächst, daß der Präsident nun einmal am besten die politisch-strategische Situation in diesen Zeiten überblicken kann.

Insofern sind die Vorteile, die Carter aus der momentanen Situation in bezug auf die kommenden Präsidentschaftswahlen erwachsen, wohl auch nur kurzlebig.

Worauf Carter und alle anderen Bewerber um das höchste Amt in der amerikanischen Politik aufbauen können, ist sicherlich die bereits erwähnte Haltungsänderung in der öffentlichen Meinung der USA. Kein Gespräch mit amerikanischen Staatsbürgern, kein Informationsaustausch mit Beamten oder Politikern im State Departement, in dem die Gesprächspartner nicht die Feststellung machen: „Das Vietnamtrauma haben wir jetzt endgültig überwunden." Der Satz ist beinahe schon notorisch.

Was aber bedeutet dieses Überwinden des Vietnamtraumas? Fast scheint es, daß es in der amerikanischen Außenpolitik derzeit geradezu verpönt ist, gemäßigte Ansichten zu vertreten: Aus „Tauben" sind fast durchwegs „Falken" geworden -nicht zuletzt der Präsident selbst...

Sichtbares Zeichen der neuen Gangart in der amerikanischen Außenpolitik ist die Ankündigung Carters, die militärische Kampfkraft der USA zu verstärken. Im Rahmen eines Fünfjahresplanes soll der Verteidigungshaushalt in den Finanzjahren 1981 bis 1985 inflationsbereinigt um durchschnittlich 4,5 Prozent steigen, 1981 sogar um 5 Prozent.

Geplant sind dabei Maßnahmen, die von der Modernisierung aller Bereiche strategischer Waffen sowie der Verbesserung der Streitkräfte in der NATO und im Pazifik über den Aus-

bau oder die Schaffung einer Reihe amerikanischer Flotten- und Luftstützpunkte vom Nahen Osten bis in den Indischen Ozean bis zum beschleunigten Aufbau der Sondereingreiftruppe für Ubersee-Einsätze außerhalb der NATO reichen.

Der „clumsy giant", der „schwerfällige Gigant", wie sich die amerikanische Nation vielfach selbst empfindet, ist demnach nicht mehr länger gewillt, als Watschenmann der Weltöffentlichkeit dazustehen: Man will endlich Zähne zeigen...

Insofern ist derzeit in Washington niemand bereit, den Scherbenhaufen der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen, den die Sowjetunion durch ihren Einmarsch in Afghanistan verursacht hat, wegzuräumen. Jetzt will man den Sowjets mit Härte und Entschlossenheit gegenübertreten, selbst um den Preis, daß man damit vorübergehend von der Entspannungspolitik Abstand nehmen

muß, was manchen europäischen Alliierten wohl gar nicht behagen wird.

Im State Departement erklärt man dazu: „Dieses Mal dürfen wir nach einigen Monaten nicht wieder zum ,business as usual' (Geschäft wie üblich) zurückkehren, wie das in Zusammenhang mit der Invasion des Warschauer Paktes in der CSSR 1968 passiert ist."

Kurzfristig erwartet man sich im Außenamt nun eine Periode der Spannung, längerfristig gesehen gebe es aber zur Entspannung keine Alternative. Unnötig hinzuzufügen, daß es da wohl diplomatisch besonders geschickter Taktierer bedarf, die die amerikanische Politik gegenüber Moskau zwischen den Grundsätzen „no business as usual" und „Keine Alternative zur Entspannung" hindurchmanövrieren - und dabei auch noch glaubwürdig bleiben sollen.

Säbelrasseln allein hilft den US4 in ihrer Außenpolitik jedenfalls bestimmt nicht weiter. Aber wie ja der Besuch des amerikanischen Außenministers Harold Brown vergangene Woche in China gezeigt hat, wissen das die Amerikaner selber gut genug. Denn trotz der Parallelität der Interessen zwischen den USA und China in der derzeitigen weltpolitischen Situation, trotz ihrer gemeinsamen Empörung über die sowjetische Agression in Afghanistan, hat Brown in seinen Erklärungen stets Zurückhaltung geübt, um Moskau nicht zu sehr vor den Kopf zu stoßen.

Überhaupt stellt sich die Lage für die amerikanische Außenpolitik in Süd- und Zentralasien derzeit ja ganz besonders delikat dar: Betrachtet etwa nicht nur Moskau, sondern auch Indien die erweiterte Zusammenarbeit Chinas mit den USA mit besonders kritischen Augen, könnte die angekündigte Militärhilfe Washingtons an Pakistan die Inder unter ihrer neuen (alten) Regierungschefin Indira Gandhi wieder vollends in die Arme des Kreml treiben.

Bleibt nur zu hoffen, daß die Vereinigten Staaten in der momentan so kritischen Situation in der Welt außenpolitisch nicht genauso auftreten werden, wie es die Sowjets tun: nämlich wie ein Elefant im Porzellanladen ...

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