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Sein und Schein im Ost-West-Konflikt

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Die Rhetorik in den Ost-West-Beziehungen ist nach wie vor schrill, das Verhältnis der beiden Supermächte aber vielleicht nicht so miserabel, wie es derzeit den Anschein haben mag. Ein Seminar der US-Botschaft in Baden bei Wien zeigte dies ebenso wie US-Außenminister Alexander Haigs Rede vor der Amerikanischen Handelskammer letzte Woche.

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Die Rhetorik in den Ost-West-Beziehungen ist nach wie vor schrill, das Verhältnis der beiden Supermächte aber vielleicht nicht so miserabel, wie es derzeit den Anschein haben mag. Ein Seminar der US-Botschaft in Baden bei Wien zeigte dies ebenso wie US-Außenminister Alexander Haigs Rede vor der Amerikanischen Handelskammer letzte Woche.

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Bemerkenswert an Außenminister Haigs Rede Mitte vergangener Woche in Washington war die Zurückhaltung, die er sich bei der Einschätzung der künftigen Beziehungen der USA zur Sowjetunion auferlegte. Er forderte mehr Anstrengungen „bei der Suche nach konstruktiven Beziehungen mit dem Osten" und vertrat die Auffassung, „daß wichtige Veränderungen in der Welt und innerhalb des sowjetischen Imperiums vor sich gehen, die Moskau für die Früchte von Zurückhaltung empfänglicher machen könnten".

Nicht, daß Haig von der „Politik der Stärke" der USA gegenüber der Sowjetunion abgerückt wäre, aber Washington legt offensichtlich wieder mehr Wert auf Verhandlungen mit Moskau. Und in einer Zeit des Uberganges in der sowjetischen Führung will man dem Kreml klarmachen, daß Aggression sich nicht lohne.

Ahnliches hörten Teilnehmer eines von der US-Botschaft in Wien veranstalteten Ost-West-Seminars in Baden wenige Tage vor Alexander Haigs Rede. Wichtigster Redner war Prof. Richard Pipes, führendes Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der USA.

Natürlich waren die Ereignisse in Polen ein wichtiger Punkt dieses Seminars. Dennoch: Prof. Pipes — und hier drang der Historiker in ihm durch — sieht Polen nur als eine Episode, wenngleich eine „sehr wichtige Episode", in den sich seit Mitte der siebziger Jahre verschlechternden amerikanischsowjetischen Beziehungen an.

Für Pipes verlaufen die Beziehungen zwischen Washington und Moskau in einer Pendelbewegung: von heiß zu kalt. Dabei ist er überzeugt, daß es - historisch gesehen - stets die Sowjets waren, die agierten: die Amerikaner hätten immer nur reagiert.

Die sowjetische „Linie" in der Außenpolitik wiederum werde von zwei Faktoren bestimmt:

# vom inneren Zustand des sowjetischen Imperiums, und zwar in Sachen Wirtschaft, öffentliche Moral und politische Stabilität Wenn diese Dinge unter Kontrolle sind — so Pipes — trete die Sowjetunion in der Außenpolitik aggressiv auf; wenn nicht, führe das zu einem gemäßigteren außenpolitischen Kurs;

• von den äußeren Bedingungen und Möglichkeiten; Pipes: „Sieht sich Moskau mit einer starken, geschlossenen nichtkommunistischen Welt konfrontiert tendiert es zu einer anpassungswilligeren Linie, als wenn die Opponenten zerstritten sind."

In einem kurzen historischen Rückblick auf die sowjetischamerikanischen Beziehungen untermauerte Prof. Pipes diese Thesen und kam dann auf das derzeitige Verhältnis zu sprechen, das wieder einen Tiefpunkt erreicht habe.

Die Ursachen der amerikanischen Desillusionierung über die sowjetische Politik sind allzu gut bekannt: Stichworte dazu: Angola, Südostasien, Afghanistan, die rapide sowjetische Aufrüstung in der Zeit der Entspannung, jüngst Polen.

Was die Politik der Reagan-Administration gegenüber der Sowjetunion anbetrifft, nannte Pipes drei wesentliche Punkte:

• Die militärische Aufrüstung der USA, vor allem im strategischen Bereich: Dabei gehe es vor allem darum, der strategischen Abschreckung wieder Glaubwürdigkeit zu geben. Professor Pipes ist davon überzeugt, daß Präsident Reagan dieses Programm durchziehen werde, selbst wenn es auf Kosten eines ausgeglichenen Budgets ginge.

• Die Abdichtung beziehungsweise Kanalisierung des westlichen Technologie- und Kreditflusses in die Sowjetunion: Amerikanische Studien hätten gezeigt, daß der Westen wesentlich zum militärischen Aufbau der Sowjetunion beigetragen, ihn teilweise sogar finanziert habe.

• Schließlich Verhandlungen mit den Sowjets in den verschiedenen militärischen Bereichen: Den USA gehe es dabei darum, tatsächlich wirksame Abkommen zustande zu bringen.

Am Ende der Ära Breschnew und nach Pipes damit auch der Nachstalin-Ära kracht das sowjetische System in allen Fugen, und befindet sich außen- wie innenpolitisch in einer schweren Krise.

Damit, so Pipes, ist auch die Zeit für eine grundsätzliche Wende in der sowjetischen Politik gekommen, was auch eine nicht unbedeutende Gruppe innerhalb der sowjetischen Führung erkannt hätte. Eine Reform des Systems selbst sei unwahrscheinlich, wohl aber Reformen innerhalb des Systems, um der Krise Herr zu werden.

Genau dazu wollen die USA mit Wirtschaftssanktionen die Sowjetunion offensichtlich bringen: daß sie mit den fatalen Konsequenzen ihres Systems — gerade im wirtschaftlichen Bereichkonfrontiert wird und, vor die Wahl gestellt zwischen dem weiteren militärischen Aufbau (und damit einer noch furchtbareren Wirtschaftsmisere) und ökonomischen Reformen, sich für das letztere entscheidet.

Für wie wichtig die Reagan-Administration die ganze Frage der Kontrolle des Technologie-Transfers von West nach Ost nimmt, bewies bei diesem Seminar in Baden die Anwesenheit eines Unterstaatssekretärs des US-Handelsministeriums. Bohdan Denysyk konnte nicht genug vor den „Verwundbarkeiten", warnen, die sich für den Westen — in erster Linie natürlich für Westeuropa — aus zu engen Handelsbeziehungen mit der UdSSR ergeben könnten. Auch hiezu ein paar Stichworte: Elektronik- und Computer-Transfer, Erdgas-Röhrengeschäft, subventionierte Kredite an die Sowjetunion.

Die Regierung Reagan wolle verhindern, daß die westliche Wirtschaft in eine immer stärkere Abhängigkeit von sowjetischen Rohstoffen und dem sowjetischen Markt gerate, zumal — was die Rohstoffversorgung anbetrifft — Alternativen in Großbritannien und vor allem Norwegen vorhanden seien.

Trotz der „Kalten-Kriegs-At-mosphäre", die der Politologe Robert McGeehan, derzeit in London lehrend, in den Beziehungen zwischen den Supermächten konstatiert, glaubt er, daß zwischen den Supermächten durchaus nicht alles in schlechtesten Bahnen verlaufe: „Man muß darauf achten, was getan und nicht nur, was gesagt wird." Und McGeehan sieht sogar gewisse Chancen für eine neue Art der Entspannung, wofür freilich ein militärisches Gleichgewicht Grundvoraussetzung ist.

Speziell den Faktor Osteuropa in den Ost-West-Beziehungen behandelte der gebürtige Tscheche Vojtech Mastny, heute designierter Professor am Naval-War-Col-lege. Osteuropa, ursprünglich als Sicherheitszone für den Kreml gedacht, sei heute eine Quelle höchster Unsicherheit

Dabei sei Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion — historisch gesehen — nicht immer mit der territorialen Ausdehnung des KP-Systems — speziell in Osteuropa verbunden gewesen — und deshalb nur eine historische Kategorie, die nicht immer da war und deshalb auch nicht immer da zu sein brauche.

Auch deshalb Mastnys Schlußfolgerung, daß eine Änderung der sowjetischen Haltung gegenüber den osteuropäischen Satelliten nicht unmöglich und Moskau mit „Gegengeschäften" (z. B. Handel und Krediten für eine Mäßigung in Osteuropa) gerade in einer Zeit der Unsicherheit angesichts eines Führungswechsels zum Einlenken gebracht werden könnte.

Prof. Robert W. Tucker schließlich, Politologe von der Johns Hopkins University, behandelte speziell die europäisch-amerikanischen Beziehungen angesichts des abgekühlten Ost-West-Verhältnisses.

Die derzeitige Krise in den transatlantischen Beziehungen lasse sich keineswegs mit früheren Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und ihren westeuropäischen Verbündeten vergleichen. Zu kritisch und aufgebracht seien die Stimmungen in den Vereinigten Staaten gegen die Europäer und zu ehrgeizig gleichzeitig die Ansätze im Hintergrund zu einer neuen globalen Politik.

Das Stichwort hier lautet „globaler Unilateralismus", ein Abstandnehmen der USA von Westeuropa, damit auch eine radikale Wende der gesamten amerikanischen Nachkriegspolitik. Und selbst wenn dies irrational erscheine und die Konsequenzen in diesem Fall nicht klar seien, könne ein Kurswechsel in diese Richtung nicht ausgeschlossen werden.

Viele Amerikaner wollten wieder der Herr der eigenen Dinge sein und sich in der Außenpolitik nicht von den Zwängen und Nötigungen der europäischen Alliierten einschränken lassen.

Was die Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und den europäischen Verbündeten in Fragen der Politik gegenüber der Sowjetunion anbetrifft: Während die USA nach Tucker die globale Entspannung als völlig gescheitert betrachteten und wieder ganz auf Eindämmung setzen, wollten die Europäer sowohl an der Entspannung festhalten wie an der Eindämmung.

Meinungsverschiedenheiten gebe es picht so sehr über die sowjetische Bedrohung selbst, als vielmehr darüber, was dagegen getan werden könne.

Zum Ausklang also Warnsignale eines Wissenschaftlers, die aus gutgemeinten Gründen eher scharf ausfielen. Haigs Rede in Washington letzte Woche wirkte dagegen wie Balsam für die Westeuropäer:

Wohlhättendieverschiedensten Faktoren zu einer Lockerung der engen Bindungen zwischen den USA und Westeuropa beigetragen. Aber in Amerika sei die Haltung der Europäer zum Teil als Widerwille gegen die eigene Verteidigung ausgelegt worden — fälschlicherweise.

Denn während die USA im letzten Jahrzehnt ihren Verteidigungsaufwand gesenkt hätten, hätten die Europäer den ihren erhöht und stellten heute einen hohen Anteil an der konventionellen Abschreckungsstreitmacht

Haig wörtlich: „Die Vereinigten Staaten müssen eben nicht nur eine starke, sondern auch eine kontinuierliche Führung ausüben. Die Alliierten müssen wissen, wo es hingeht, wenn wir von ihnen erwarten, daß sie uns folgen..

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