6826079-1974_13_01.jpg
Digital In Arbeit

Ost-West-Barometer

19451960198020002020

Auch politische Klimaveränderungen führen zu dem aus der Meteorologie bekannten Effekt, daß sie zu Entladungen in den Randzonen führen. An der Nahtstelle politischer Sphären ist die Sensibilität für Barometerstürze entsprechend stärker entwickelt. Die politischen Seismographen dieser Zone reagieren daher oft überhöht.

19451960198020002020

Auch politische Klimaveränderungen führen zu dem aus der Meteorologie bekannten Effekt, daß sie zu Entladungen in den Randzonen führen. An der Nahtstelle politischer Sphären ist die Sensibilität für Barometerstürze entsprechend stärker entwickelt. Die politischen Seismographen dieser Zone reagieren daher oft überhöht.

Werbung
Werbung
Werbung

An diesem Wochenende ließen die Barometerzeiger entlang der europäischen Naht zwischen Tries't und Rostock deutlich eine Kaltfront erkennen. Jugoslawien entlud seinen inneren Überdruck in der sogenannten Zone B des Raumes um Triest, die 1954 Belgrad zugesprochen worden war. Panzer in der istrischen Hafenstadt Köper, dem einstigen Capodistria, können zwar kaum als Anzeichen einer drohenden Ost-West-Konfrontation gesehen werden; wohl passen sie gut in das Bild verschärfter Reaktionen in beiden Lagern. Auch die Ausbootung der Köpfe des liberalen ungarischen Kurses der letzten Jahre läßt den gleichen Schluß zu. Allein die Pensionierung und Rangverschiebung von Männern im Alter zwischen 50 und 60, die geschlossen seit knapp acht Jahren an den Hebeln der politischen Macht waren, als politische Kursumkehr zu deuten, wäre zu oberflächlich. Die latenten Reibungen zwischen Österreich und seinem nördlichen Nachbarn sowie die Zähflüssigkeit, mit der die deutsche Ostpolitik zu kämpfen hat, erhärten einen bestimmten Eindruck.

Auch wenn die beiden Weltmächte in absehbarer Zeit das vitale Interesse verbinden wird, einen großen Krieg zu vermeiden, scheint das umfassende Arrangement in die Ferne zu rücken — anders, als es die Amerikaner noch vor kurzem erhofften. Die gleiche Kraft, die der Sowjetunion auf die Bahn der Entspannung verhalf, scheint sie nun wieder in die alte Bahn zurückzu-lenken. In der sowjetischen Politik haben wechselnde Phasen von Expansion und Absicherung immer eine große Rolle gespielt. Die Kreml-Strategen haben sich stets von der Maxime leiten lassen, daß Erfolge auch genügend gefestigt sein müssen, um sie zu einer neuen Plattform werden zu lassen.

Im Kreml scheint man in erster Linie die Gefahren unterschätzt zu haben, die eine Öffnung nach außen im Inneren bringen. Das Beharren der westlichen Öffentlichkeit auf der Durchlässigkeit des östlichen Systems nicht nur für Kapital- und „Know-<how“-Ströme, sondern auch für einen freien Austausch von Gedanken und Meinungen, hat der Kremlführung die Gefahren dieses Handels erst deutlich gemacht. Nach außen mag die Vorgangsweise gegen die Dissidenten als Lehrstück einer geschmeidigeren Politik der Breschnew-Ära gelten. Es bleibt nur schwer abzuschätzen, womit auf Dauer dieser Kurs erkauft wurde. Ist es eine Re-Stalinisierung, die sich als Wetterleuchten in den Randzonen entlädt? Der Kampf, den viele für die Zeit nach dem Ableben des jugoslawischen Staatsführers Tito voraussagen, scheint in der Tat längst stattgefunden zu haben. Was nach Titos Tod noch ausbricht, ist bestenfalls ein Flügelkampf zwischen dogmatischen und liberaleren Stalinisten. Der offene Aufstand gegen eine Okkupation wird nicht stattfinden, weil Moskau auch ohne Präsenz am Ort die Dinge in die von ihm gewünschte Richtung lenken kann. So dürfte alles, was auf der Ostbühne an Säbelrasseln geboten wird, gar nicht wirklich für den Westen bestimmt sein.

Auf den Konferenzen in Genf, den SALT und Sicherheitsgesprächen, wie auch bei den Beratungen über einen Truppenabbau in Wien tritt man augenscheinlich auf der Stelle. Die Verhandlungen in Genf hat man für den Zeitraum des Kissinger-Besuches in Moskau sogar unterbrochen. Für Rumänien — so der Staatschef Ceausescu kürzlich — ist eine politische Entspannung ohne ein militärisches Disengagement nicht denkbar. Wohl ist diese Haltung auch gegen eine dauernde europäische Präsenz der amerikanischen Truppen gerichtet, kann aber auch als Versuch gewertet werden, aus der Umklammerung durch die sowjetische Militärmacht zu schlüpfen. Bukarest verficht daher auch mit großem Nachdruck die Forderung, daß Truppen, die aus einem Land abgezogen, nicht in andere Länder Europas verlegt werden dürfen.

iDies scheint alles bei den Sowjets nicht die entsprechende Aufnahmebereitschaft gefunden zu haben.

Das neutrale Österreich ist von diesen Vorgängen mehr betroffen, als ihm der Umstand, daß sich die Delegationen in Wien auf eine Konferenz einzurichten scheinen, die noch Jahre dauern kann, lieb sein mag. Österreichs Sicherheitspolitik, und dies wird von der Regierung immer wieder hervorgehoben, ist im Zeitalter der Entspannung zu einem überdurchschnittlichen Maß vom politischen Klima dieser Entspannung abhängig. Die militärische Komponente der Selbstschutzpolitik wird hinter der außen- und sicherheits-politischen Komponente zurückgestellt. So war auch die offizielle Reaktion auf die Veröffentlichung der bereits genannten militärischen Pläne des Warschauer Paktes zu einer Neutralitäts- und Souveräni-tätsverletzung im Falle einer Intervention in Jugoslawien auf Argumente der Sicherheitspolitik abgestützt.

Der Unterstellungen ungeachtet, mit seinen Frühjahrsmanövern eine Eskalation der Invasionsverdächtigungen auszulösen, übte das österreichische Bundesheer dieser Tage genau in den Räumen, die auf den östlichen Generalstabskarten mit besonders vielen Angriffspfeilen übersät sind. Es ging dabei, wie mehrfach versichert wurde, von dem Grundsatz aus, der Neutrale sei zur Demonstration seiner Abwehrbereitschaft verpflichtet. Dabei hat sich die Mehrzahl der Bundesheerkomrnan-dawten der oberen und mittleren Führung im Kampf um die Selbs't-findung dieses Heeres zerschlissen. Von ihnen ist mehr als ein Engagement für eine Ochsentour nicht zu erwarten. Dies sollte man in Rechnung stellen, wenn man in absehbarer Zeit die personellen Weichen für die Kommandostruktur der Bereitschaftstruppe stellt. An den Militärs liegt es aber, neben den Politikern, auch den verunsicherten Staatsbürger auf den möglichen Klimaumschwung vorzubereiten. Der Steuerzahler hat ein Recht, zu erfahren, welche Planungen mit seinem Geld für den Staatsschutz getroffen werden. Warum soll er nicht wissen, was etwa an der Brücke von Mauthausen vorgesehen ist, um in einem Eventualfall einen Aggressor an der raschen Inbesitznahme unseres Landes zu hindern? Warum soll dies nur dem Gegner über seine Nachrichtendienste bekannt sein?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung