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Digital In Arbeit

Christian Polster „Muß denken"

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Ein junger Mann geht zur Arbeit, er rasiert sich, er hört Musik, er räumt den Frühstückstisch ab, er telefoniert mit Freunden, mit seiner Mutter und er geht ins Gasthaus und in die Trafik. Von seinen Mitmenschen unterscheidet ihn sichtbar, daß er mongoloid ist und - nachdenkt.

„Muß denken" heißt der neueste Film von Niki List und Christa Polster, der dieser Tage in österreichischen Kinos anläuft. Als Fortsetzung von Niki Lists Film „Mama Lustig" dokumentiert er das Leben des Christian Polster, der mit dem „Down-Syndrom" (Mongolismus) geboren wurde. War es in „Mama Lustig" der jugendliche Christian, der mit überschwenglichen Gefühlen noch ungestüm seine Mitmenschen eroberte und auch erschreckte, so ist Christian heute - mit 24 Jahren - ein selbstbewußter und weitgehend selbständiger Mann geworden.

Er lebt in einer Wohngemeinschaft, geht zur Arbeit und ins Kino, sieht gerne fern und hört viel und laut Musik. Und er tanzt mit einem Bewegungsgefühl und einer Hingabe, die fasziniert und berührt.

Es ist ein fröhliches, klares und doch vielschichtiges Porträt, daß Christa Polster von ihrem Sohn gemeinsam mit Niki List gezeichnet hat. Das Porträt eines Menschen, der zwar manchmal mit der Realität Probleme hat, nicht immer deutlich spricht und oftmals „hab ich vergessen" sagen muß. Der aber in seinen Gefühlen mehr Klarheit ausdrückt, als viele sogenannte „Normale". Seine Mutter, enge Freunde umarmt er überschwenglich, der Trafikantin küßt er wie ein echter Kavalier die Hand. Selbst wenn er dem Wirt beim Abrechnen aufs Handgelenk greift und dessen tolle Uhr bewundert, ist es entwaffnend nett gemeint und keine Sekunde peinlich.

„Muß denken" verwischt 93 Minuten lang die Grenzen zwischen „normal" und „nicht normal". Und er zeigt, daß nicht nur gezieltes Erlernen von Alltagssituationen und Fertigkeiten für Christian wichtig war, sondern der emotionale Rückhalt im Familien- und Freundeskreis die Entwicklung eines faszinierenden Selbstbewußtseins ermöglicht haben.

Und damit macht dieser Film Mut. Er ermutigt zum Annehmen der Behinderung von Kindern und Erwachsenen, er ermutigt zum Kämpfen für optimale Förderungen und menschenwürdige Lebensbedingungen für sie und er ermutigt, eigene Ängste und Vorurteile gegenüber behinderten Menschen abzubauen, und manches an äußerlicher Einschränkung als Bereicherung erleben zu lernen. (Ab 6. März im Filmkasino, Wien, im Mo-viemento, Linz, und 18 Kinos in Oberösterreich; ab April im Cinema-tograph, Graz, und Augarten-Kino, Graz)

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