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Damals im ersten Leben

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„Hoffmanns Erzählungen/ Aufzeichnungen eines verwirrten Germanisten” heißt der neue Roman des Autors, der demnächst bei Langen-Müller, München, erscheinen wird.

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„Hoffmanns Erzählungen/ Aufzeichnungen eines verwirrten Germanisten” heißt der neue Roman des Autors, der demnächst bei Langen-Müller, München, erscheinen wird.

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Dann saß er mir gegenüber, wie Tags zuvor.

Und sah noch ärger, als gestern, nach Hoffmann aus.

Zum blauseidenen Schlafrock trug er heute ein Käppchen aus dunkelrotem Samt. Und die Rauchkringel, die er aus seiner langen Tonpfeife stieß, schwebten, so schien es mir wenigstens, noch betörender und beharrlicher im Raum.

„Schön, lieber Kreisler”, sagte er schließlich, „schön, daß Sie da sind. Ehrlich gestanden, nach Ih-

rem gestrigen Aufbruch war ich mir Ihres Wiederkommens nicht sicher.”

Hier wollte ich einhaken, doch er schnitt mir das Wort ab.

„Allein, wie ich sehe, sind Sie begierig, weiter zu hören!”

Professor, was hätten denn Sie auf sowas gesagt? Die Art, wie er sprach und agierte, war einfach entwaffnend. Und ich, der ich noch vor fünf Minuten entschlossen gewesen war, offensiv zu bleiben, mir das alles (Was eigentlich? — Diese Nötigung! Dieses geistige Kidnapping! hatte ich sagen wollen) nicht mehr gefallen zu lassen, ich schwieg.

Was ich als Abwehr zustande brachte, war bestenfalls passive Resistenz.

Das heißt, er erzählte und ich ließ ihn erzählen.

Zuerst noch mit demonstrativem Desinteresse, doch dann … Nach jener ersten Vision mit seiner Schülerin Julia Marc war ihm einige Zeit nichts vergleichbar Okkultes passiert. Weitere, vorsätzlich angezündete Kerzen hatten nichts bewirkt.

Dann aber, eines Tages im folgenden Frühling, war er im Bus gefahren. Und zwar über Land, eines Engagements in der Provinz wegen. Ich habe, da ich hier, wie gesagt, noch nicht richtig zuhörte, zuhören wollte, den Namen der Stadt, mit deren Theater er korrespondiert hatte, vergessen. Doch jedenfalls gab es, nicht weit von dort, einen Unfall. Relativ harmlos: einem auf der Gegenspur überholenden Pkw ausweichend, hatte der Fahrer den Bus an die Böschung gelenkt. „Doch da durchzuckte mich” — so Kowalsky — „ein greller Schreck. Ich fiel ganz einfach” — erzählte er — „rückwärts vom Sitz. Aber im Geiste fiel ich viel weiter zurück. Ich habe” — erzählte er — „einen Schock erlitten. Man hat mir das Hemd auf gemacht und mir ein befeuchtetes Tuch auf die Stirn gelegt. Der Buschauffeur hat mich zu beruhigen versucht. Aber als das nichts genützt hat, hat man mich, gemeinsam mit einer leicht an der Stirn verletzten Dame, die zuerst neben mir gesessen war, ins nächste Krankenhaus gebracht. Dort habe ich schlimme Fieberträume gehabt. Eine in den Straßengraben gekippte Postkutsche habe ich vor mir gesehn und ein Rad, das sich, schwarzverschmutzt vom tiefen Boden, weiter und weiter gegen einen sehr roten Abendhimmel gedreht hat. Und immer wieder habe ich .Mischa!4 gerufen. Mischa. Nicht wahr, Sie wissen doch, wer das ist?”

Das fragte er mich. Ich nickte betroffen. „Natürlich. Ihre” — ich korrigierte mich — „Hoffmanns Frau.”

„Ich hab sie doch gern gehabt”, sagte er, „geben Sie’s zu!”

Sein Blick: eine Bitte.

„Sicher”, sagte ich. „Klar.”

Trotzdem schien er nicht ganz überzeugt zu sein.

In bezug auf die Dichterfrauen”, sagte er, „neigen nämlich die Biografen mehr noch als sonst zur abgeschmacktesten Gemeinheit. Denken Sie nur an die Vulpius, und an Frau Heine. Aber ich wollte von meinem Unfall erzählen…

Ich habe das alles wieder vor mir gesehn … dort, im Spital… diese ganze, schreckliche Szene … Sie wissen, das war auf dem Weg von Dresden nach Leipzig … 20. Mai 1812, dieses Datum habe ich zwei Leben lang nicht vergessen … Sie wissen weiters, wir reisten Seconda nach … Er hatte mich als Kapellmeister en- ‘

gagiertTheaterkapellmeister …

endlich, das hatte ich erträumt … Aber da kam mir Napoleon in die Quere… Rundum war Krieg, die Straßen waren voll von nachrückenden Truppen … Sogar in der Kutsche sa-

ßen französische Offiziere … Ich erinnere mich noch genau, sie trugen rotweißblaue Uniformen, hielten die Dreispitze auf dem Schoß … Und einer von ihnen, der hatte so eine schreckliche Narbe, mitten durchs Gesicht…

Die Kutsche rumpelte furchtbar, mir war speiübel. … Aber ich ließ mir nichts anmerken, Mischa’s wegen … Mischa, die gute Sęele, sie saß neben mir … Ihr Kopf lag an meiner Schulter, sie war einfach da… Treu, obwohl ich sie zahllose Male betrogen hatte… Letzthin mit Käthchen, ich meine, mit Julchen, zumindest geistigHören Sie, Kreisler, ich liebte sie wirklich, die Mischa … Das ist ein Punkt, den ich unbedingt klären muß … Ja, ich weiß, man hat anderes kolportiert. Aber ich sage Ihnen, ohne Mischa wäre ich nur ein halber Mensch gewesen. Anderseits, wissen Sie, solche wie wir sind durch Schönheit verführbar.

Denn was ist denn das, was wir erträumen, Satz für Satz, auch wenn wir dann manchmal den Ge- gen-Satz hinschreiben, Häßliches, Krankes, Morbides — was sonst, als die Schönheit? — Und weshalb kritisieren wir sie denn so vehement, die sogenannte Realität? — In ihr ist die Schönheit, die wir ersehnen, so selten verwirklicht! — Nur manchmal, da schimmert sie durch, da kommt sie zum Vorschein. In der Natur, in der Kunst und — in exquisiten Augenblicken (wahrscheinlich auch nur für exquisite Augenblicke … ) in Fleisch und Blut!

Das soll im übrigen keineswegs heißen, daß Mischa nicht hübsch war. Im Gegenteil: sie hatte nicht nur eine gute Seele … Aber sie war von ganz und gar irdischer

Art. Julia hingegen - vielleicht kann man das nicht verstehn, wenn man späte Bilder von ihr sieht - Julia in ihrer frühen Bamberger Blüte, kam mir vor wie ein Engel… Aber zurück zu jenem 20. Mai…

Wir fuhren in der Postkutsche, Bamberg lag hinter mir, an mich gelehnt saß Mischa … Und mir war übel, ich hatte ganz einfach Angst… Draußen war Krieg: zertrampelte Felder, verbrannte Dörfer … Vor einer Woche war eine Granate geplatzt auf dem Altmarkt in Dresden … Und dann war ein Greis auf dem Straßenpflaster gelegen, wie amputiert … Vorgestern war ich in ein Scharmützel geraten … Eine verirrte — französische? preußische? russische? Kugel hatte gottlob nur den Schaft meines Stiefels getroffen — mein Bein schmerzte ^ trotzdem…

Also, Sie merken schon, Kreisler, ich war kein Held … Und dennoch hatte ich weniger Angst um mich … sondern vor allem um sie, meine Frau, um Mischa … Vielleicht, Sie verstehn, was ich meine, aus schlechtem Gewissen … Da saß sie, an meiner Seite, die Augen geschlossen … Die Augen zu schließen, ja das war ihre Art… Oft hatte ich mich, sie umarmend, gewundert, daß sie nichts merkte … Aber sie liebte auch mit geschlossenen Augen … Also ich hatte so eine Ahnung, verstehn Sie? … Und vielleicht ahnte ich auch das Unheil herbei… Als jedenfalls dann, an der ersten Poststation, nicht weit von Meissen, ein junges Pferd scheute und nach dem Graben lenkte, war ich nicht einmal überrascht … Da dachte ich nur: Na also, jetzt ist es so weit… Dann wurde ich über Mischa hinweggeschleudert … Und dann … mein Gott, ihr Gesicht war blutüberströmt! … Im ersten Augenn- blick glaubte ich — aber genug! Warten Sie, heute öffnen wir wirklich den Wein!”

Mit diesen Worten erhob er sich sehr abrupt und verschwand in der Küche. Und ich? Ich saß da und war trotz meiner Skepsis betroffen, erschüttert. Wie ging das bloß zu — wenn dieser Mann nicht tatsächlich der reinkarnierte Hoffmann war (und das glaubte ich nicht, das zu glauben wehrte ich mich …)? Wie konnte er sich dann derart in Hoffmanns gelebtes Leben zurückfantasieren, zurückprojizieren?

Nach einer Weile, die länger schien, als man zum Holen der Weinflasche brauchte, kam er zurück. Stellte zwei Gläser auf den Tisch, schenkte ein — der Wein klang sehr alt. Er schmeckte auch so. Wir tranken mit Andacht und schwiegen. Nur der Kater, zwischen uns sitzend, schnurrte.

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