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Ein Kurswechsel ist notwendig

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Mit Optimismus und neuen Plänen blickt der Direktor des von den USA zuletzt stiefmütterlich behandelten Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in die Zukunft.

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Mit Optimismus und neuen Plänen blickt der Direktor des von den USA zuletzt stiefmütterlich behandelten Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in die Zukunft.

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Das Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien ist eine in zweifacher Hinsicht interessante Einrichtung. Erstens ist das 1974 am Höhepunkt der Entspannungspolitik gegründete Institut insofern weltweit einzigartig, weil sonst nirgends Forscher aus Ost und West, Nord und Süd so eng kooperieren wie in Laxenburg. Und zweitens sind die Forschungsprogramme durchwegs wichtigen Weltproblemen gewidmet, können durch die Struktur des Instituts mit den neuesten Daten aus aller Welt arbeiten, und die Resultate sind relativ rasch in allen Erdteilen bekannt.

Wenn Länder — wie 1982 die USA und Großbritannien — die staatlichen Zuschüsse an das IIASA streichen oder vermindern, mag man darin deshalb auch eine politische Aktion gegen die Entspannung sehen (zumal damals auch Spionagevorwürfe gegenüber der Sowjetunion erhoben wurden), bisweilen mögen solche Rückzüge aber an finanziellen Problemen der Mitgliedsländer oder schlicht am Grad der Zufriedenheit mit der geleisteten Forschungsarbeit liegen.

Als jüngst der französische Forschungsminister Hubert Curien das IIASA besuchte, wurde bereits von einem möglichen Teilrückzug Frankreichs aus Laxenburg im Gefolge der USA und Großbritanniens gemunkelt. Wie sieht der aus den USA kommende IIASA-Direktor Thomas H. Lee die Situation?

„Die Lage sieht viel besser aus als vor sechs Monaten”, sagt Lee, der kürzlich zu Gesprächen in Washington weilte. „Präsident Reagans Wissenschaftsberater, der seinerzeit in den Rückzug der US-Regierung stark involviert war, sagte mir, daß er die Arbeit des IIASA nun für nützlich halte, und eine Rückkehr der US-Regierung möglich sei. Später fand ich heraus, daß er bereits dem französischen Forschungsminister das gleiche gesagt hatte.”

Da Lee sowohl im State Department als auch unter Kongreßabgeordneten Sympathien und Unterstützung für das IIASA feststellte, hofft er, daß sich die US-Regierung in Zukunft wieder an der Finanzierung des Instituts beteiligen wird.

Die Möglichkeit, daß Frankreich sich aus Laxenburg zurückziehen könnte, hält Direktor Lee nach einem „sehr guten Gespräch” mit Minister Curien, für

„mehr oder weniger verschwunden”. Im Grunde gehe es allen Ländern nur darum, daß am IIASA möglichst nützliche und relevante Forschung betrieben werde. Deshalb werde man die Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern in Politik und Industrie suchen und die Zielsetzung der Programme noch genauer überdenken.

„Ein Kurswechsel ist notwendig”, betont Thomas Lee, „und zwar im Sinne von mehr Relevanz und Einbeziehung der Anwender unserer Forschung in das Planungsstadium”.

Derzeit wird am IIASA vor allem auf den Sektoren Umwelt (Saurer Regen, Klimaveränderungen), Nahrung und Landwirtschaft (Welthungerproblem, vgl. FURCHE 29/84), Weltbevölkerung (Problem der Uberalterung der Bevölkerung, besonders in den Industrieländern), Mathematik und Energie (Gas) geforscht.

Einige dieser „alten Programme” laufen heuer aus, daher sieht Professor Lee den Zeitpunkt für einen Kurswechsel gekommen, was die Planung und Durchführung neuer Projekte betrifft.

Für das nächste Jahr kündigt Lee ein neues Programm über die Beziehungen zwischen Technologie, Wirtschaft und Gesellschaft an. Für die Planung lädt das IIASA ein Beratergremium von 45 bis 50 Personen ein, die—so Lee—„bewußt über den üblichen akademischen und Systemanalytiker-Rahmen hinausreichen: Spitzenleute aus Politik, Industrie und Wirtschaft”.

Auf dieser Basis glaubt Lee die IIASA-Arbeit zur Zufriedenheit der 16 Mitgliedsorganisationen fortsetzen zu können. Die IIASA-Kontakte gehen aber, wie Jean-Pierre Ayrault, Generalsekretär des Instituts, betont, weit über die betreffenden 16 Länder hinaus. Ständig arbeiten auch Forscher aus weiteren sechs bis sieben Ländern, vor allem aus Entwicklungsländern, in Laxenburg.

Auch China arbeitet bereits mit und wird möglicherweise sogar eines nicht allzufernen Tages Mitglied des IIASA, dessen Geschik-ke der IIASA-Rat unter einem russischen Vorsitzenden — Jer-men Gvishiani — und der amerikanische Direktor — Thomas H. Lee — lenken. Bemerkenswert ist ein am 14. Jänner 1985 unterzeichnetes Abkommen, das der IIASA als erster Institution im Westen einen On-Line-Zugang zu bibliographischen Informationen aus Datenbanken eines Instituts der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften verschafft.

Diese schon eingangs erwähnte Sonderstellung des Instituts zwischen Ost und West, Nord und Süd macht diese Einrichtung so wichtig und ihr gesichertes Uberleben wirklich wünschenswert.

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