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Ein Mann der Mitte

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Die eineinhalb Millionen Griechisch-orthodoxen haben wieder einen ökumenischen Patriarchen. Es war eine schnelle Wahl, kaum zehn Tage nach dem Tod Athenagoras I. und fünf Tage nach seiner Beerdigung. Eine Wahl, die so ziemlich alle ein wenig überrascht hat. Gewählt wurde Demetrios, der den Namen Demetrios I. angenommen hat. Er ist einer der jüngsten der- griechischorthodoxen Metropoliten, geboren 1914. Seit kurzem, seit kaum fünf Jahren, war er Metropolit von Imros und Tenedos. Er hat, könnte man sagen, eine steile Karriere gemacht.

Wie verlief die Wahl, die an einem Sonntag, um 8.15 Uhr, begann? Versuchen wir, kurz die Etappen dieses Ereignisses aufzuzeigen, das für den weiteren Weg des Ökumenismus von fundamentaler Bedeutung sein kann. Drei Tage nach der Beerdigung des Patriarchen

Athenagoras hat der Heilige Synod der 15 Metropoliten — bei dieser Gelegenheit Endimoussa genannt — der türkischen Regierung eine Liste mit 16 möglichen Kandidaten präsentiert. Welche Kandidaten wurden von der türkischen Regierung gestrichen? Mit Sicherheit die beiden aussichtsreichsten Kandidaten: Die Metropoliten Meliton von Chalcedon und Maximos von Laodicea. Meliton hatte nach dem Tod des Patriarchen Athenagoras interimistisch die Amtsgeschäfte übernommen und seine Aussichten, zum Nachfolger gewählt zu werden, wurden allseits hoch eingeschätzt. Es scheint, daß er wegen seiner Freundschaft mit dem Metropoliten Jako-vos, dem griechisch-orthodoxen Erz-bischof von Nord- und Südamerika, dem nicht einmal das Einreisevisum für die Wahl erteilt wurde, von der Liste gestrichen wurde. Unklar sind die Gründe für die Streichung des Metropoliten Maximos, der zum konservativen Flügel des Heiligen Synods zählt. Von der Kandidatenliste gestrichen hat die Regierung ferner Kyrill von Chaldies sowie die Metropoliten Jakovos von Darcon und Maximos von Stradopolis. Auch diesen dreien wurden gewisse Aussichten zuerkannt.

Als der Heilige Synod am Sonntagmorgen zur Wahl zusammentrat, konnte er jedenfalls nur unter drei Kandidaten wählen: den Metropoliten Gabriel von Colonia, Nicolaus von Anneon und Demetrios von Imbros und Tenedos. Die Aussprache dauerte knapp drei Stunden. Sie war natürlich geheim, während die eigentliche Wahl sich vor den Augen der Öffentlichkeit in der Patriarchatskirche vollzog. Gegen Mittag zogen die Metropoliten in die Kirche ein, angeführt von Meliton, dem Rangältesten, der seit dem Tod Athenagoras I. als Primus inter pares die Geschäfte geführt hatte. In der Kirche waren nur wenige Leute; man hatte nicht erwartet, daß die Wahl am Sonntag stattfinden werde.

Die Metropoliten füllten ihre Stimmzettel auf dem Altartisch aus und legten sie dann in die Wahlurne. Ein Notar führte die Aufsicht, entsprechend einer neuen Verfügung der Regierung. Die Auszählung der

Stimmen war öffentlich: zehn Voten erhielt Metropolit Demetrios, vier Metropolit Nikolaus und eine Metropolit Gabriel. Damit war Demetrios gewählt. Das Protokoll der Wahl wurde verlesen. Der Erwählte begab sich zum Thron und umarmte die Metropoliten einzeln, während das Volk mit einem dreifachen „Axios“ seine Zustimmung zur Wahl bekundete. Der neue Patriarch erteilte den Segen — die Wahlversammlung, die Endimoussa, war geschlossen.

Für den Chronisten stellte sich die Hauptfrage: Welcher Richtung gehört der Gewählte an? Nach ersten Informationen und Indiskretionen dürfte es eine „vorsichtige“ Wahl gewesen sein. Demetrios. I. ist ein Mann der Mitte, zwischen dem konservativen und dem progressiven Flügel des Heiligen Synods. Er hat sich wiederholt für eine stärkere Wiederannäherung der christlichen Kirchen ausgesprochen, immer jedoch mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten, die sich dem entgegenstellen und die erst ausgeräumt werden müßten. Die Tatsache, daß einer der jüngsten Metropoliten gewählt wurde, dürfte aber zur Hoffnung berechtigen, daß der von Athenagoras begonnene Weg nicht blockiert werden wird.

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