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Ein letztes Rätsel bleibt

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Zu Ende des vergangenen Jahres ist der im Westen bekannteste geistliche Würdenträger des Moskauer Patriarchats, der Metropolit Nikolaj von Kruticy und Kolomna (Jaruschewitsch) gestorben. Er wurde 1891 geboren, absolvierte das Gymnasium und die geistliche Akademie in Petersburg, wurde 1914 Mönch, 1918 zum Priester geweiht und wirkte in Peterhof, von 1922 bis 1936 als Bischof und Vorsteher der Eparchie Petersburg. 1936 bis 1940 war er Erzbischof und Vorsteher der Eparchien Novgorod und Pskov, 1941 bis 1942 Metropolit von Wolhynien und Luck, 1942 bis 1944 Stellvertreter des Metropoliten Sergius und von 1944 bis 1960 Leiter der Auslandsabteilung des Moskauer Patriarchats und Stellvertreter des Patriarchen von Moskau und Allrußland. 1960 wurde Metropolit Nikolaj nach einer offiziellen Verlautbarung mit Rücksicht auf seine Gesundheit seines Postens enthoben und verbrachte die letzten Monate seines Lebens in einem Kloster irgendwo in Rußland.

Metropolit Nikolaj hat sich im Ausland vor allem durch seine prominente Rolle im kommunistischen Weltfriedensrat und durch seine Auslassungen gegen die katholische Kirche einen schlechten Namen gemacht. Seine Reden wurden oft von den moskaufeindlichen orthodoxen wie auch andersgläubigen Kreisen als Beweis dafür angesehen, daß sich das Moskauer Patriarchat vollständig dem Staat unterworfen habe und als „bolschewistische Kirche“ abzulehnen .sei. Kenner der Verhältnisse betonen jedoch, daß es zu einem Großteil dem Mittun des Metropoliten im Friedensrat zu verdanken gewesen sei, daß der Kirche in der Sowjetunion seit dem Krieg die freie Ausübung des Gottesdienstes gestattet ist. Ohrenzeugen berichten, daß die in den Kirchen gehaltenen Predigten des Metropoliten in scharfem Gegensatz zu seinen amtlichen Erklärungen standen, weil sie von nichts anderem als dem reinen christlichen Geist getragen waren und für die bedrängten und verängstigten Gläubigen einen echten Trost darstellten. Die Vermutung einer von anderer Seite erfolgten „Bearbeitung“ der gedruckten Reden ist daher wohl nicht von der Hand zu weisen. Bezüge lieh der Angriffe des Metropoliten Nikolaj gegen die katholische Kirche ist auch folgender Absatz in Heft 1, 1961, der Benediktinerzeitschrift „Irenikon“ von Interesse: „Man wird sich erinnern, daß Metropolit Nikolaj, der jetzt seines Postens enthoben und durch Msgr. Pitirim ersetzt wurde, vor einigen Jahren mehrmals ähnliche Anschuldigungen (gegen die katholische Kirche) erhoben hat, daß er aber, als er auf einer Auslandsreise deswegen zur Rede gestellt wurde, seine Gesprächspartner bat, nicht mehr daran zu denken. Der Metropolit erklärte, er habe damals ,in einer Zeit großer Spannungen und Mißverständnisse' so gesprochen. ,Ich ziehe vor', sagte er, ,mich an diese unangenehmen Dinge, falls sie gesagt wurden, nicht mehr zu erinnern.' Tatsächlich hat man derartige Beschuldigungen aus seinem Munde nicht mehr gehört.“

Über die Abberufung des Metropoliten Nikolaj von seinem Posten weiß man nichts Genaueres. Es sei gestattet, in diesem Zusammenhang nochmals die Zeitschrift „Irenikon“ zu zitieren (Heft 2, 1960): „Wie die Religion im allgemeinen, so ist jetzt (in der UdSSR) auch die russischorthodoxe Kirche im besonderen das Ziel einer äußerst heftigen und geschickt abgestimmten Verleumdungskampagne. Unter diesen Umständen muß als neue Tatsache und äußerst mutiger Akt das Dekret des heiligen Synod vom 30. Dezember 1959 vermerkt werden, das drei abgefallene Priester exkommuniziert, weil sie .öffentlich den Namen Gottes gelästert' haben. Einer von ihnen ist der ehemalige Professor für Heilige Schrift an der theologischen Akademie von Leningrad ... Daß die russische Kirche nun ihre seit vielen Jahren eingenommene vorsichtige und konformistische Haltung aufgibt, scheint die zahlreichen Nachrichten zu bestätigen, denen zufolge der Antagonismus zwischen Religion und Atheismus sich in der UdSSR in eine öffentliche Konfrontation umwandelt.“ Die Gerüchte, das erwähnte Dekret sei auf den eben verstorbenen Metropoliten von Kruticy und Kolomna 7“riickziifiihren, dürften wohl von der Wahrheit nicht allzuweit entfernt sein.

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